Materialien 1984

Marsch gegen Rassismus und ausländerfeindliche Politik

Weg mit den Sondergesetzen für Ausländer!

Innenminister Zimmermann hat einen Entwurf zur Verschärfung der Ausländergesetze vorgelegt. Er soll im Herbst verabschiedet werden. Im Wesentlichen sieht er vor:
□ Wer Arbeitslosen- oder Sozialhilfe empfängt, soll raus.
□ Wer politisch nicht genehm ist, soll ebenfalls gehen.
□ Kinder über 6 Jahre dürfen nicht mehr zu ihren Eltern, die in der Bundesrepublik sind, nachziehen.
□ Ausländer, die in der Bundesrepublik geboren sind, dürfen nur ihre Ehegatten nachholen, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben (Voraussetzung: „Hinwendung zu Deutschland“).

In Bonn geplant – in Bayern bereits Praxis

Damit soll jetzt Gesetz werden, was zum Teil in Bayern schon lange praktiziert wird. Insbesondere der Kreisverwaltungsreferent Peter Gauweiler und der Sozialreferent Hans Stützle gehen massiv gegen unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen vor.

Die Ausweisungspraxis gegenüber 900 türkischen Jugendlichen wegen gefälschter (mit Unterstützung einiger Beamter) Meldebestätigungen, schlugen selbst in der Tagespresse Wellen: 37 Jugendliche wurden umgehend ausgewiesen. 65 Jugendliche wurde die Aufenthaltsgenehmigung nachträglich befristet. (Sie hatten vorher unbefristete). 85 Jugendlichen wurde die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängert. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erklärte dazu im November 1983: Es kommt nicht darauf an, „ob … ein persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden kann. Es genügt, dass die darin liegende Störung der öffentlichen Ordnung in seinen Verantwortungsbereich fällt.“ Kreisveraltungsreferent Gauweiler dazu: „Der Ausgang etwaiger strafrechtlicher Ermittlungsverfahren braucht nicht abgewartet zu werden.“

Doch damit nicht genug. Es liegt schon ein Vorschlag auf dem Tisch, nach dem straffällig gewordene Ausländer noch härter bestraft werden sollen als Deutsche. Die Ausweisung soll noch schneller gehen. Überlegungen werden angestellt, Ausländer vor einer rechtskräftigen Verurteilung ausweisen zu können. In Bayern zwar nicht neu – aber dann mit gesetzlicher Grundlage.

Ein anderes Beispiel: In München sollten nach dem Willen von Gauweiler 200 ausländische Kollegen aus einem Fabrikgebäude in der Planegger Straße. das früher leer stand, wieder verschwinden. Dieses war ihnen von der Stadt zur Verfügung gestellt worden. Sie sollten bis 1. Juli nachweisen, dass sie eine Wohnung, die groß genug ist, haben. Wer nach dem 1. Juli noch keinen entsprechenden Mietvertrag hatte, sollte ausgewiesen werden. Durch öffentlichen Protest konnte das Schlimmste verhindert werden. Die Frist wurde verlängert.

Aufenthaltsgenehmigung nur bei „gesichertem“ Lebensunterhalt

Die Aufenthaltserlaubnis soll nur verlängert werden:
□ Wenn sich der Ausländer keine „erheblichen Verstöße gegen die deutsche Rechtordnung“ zuschulden kommen lässt. – Was heißt erheblich? Schlimmer wie Falschparken?
□ Wenn der Lebensunterhalt für den Ausländer und seiner unterhaltspflichtigen Familienangehörigen gesichert ist. – Er soll dem Staat nicht zur Last fallen. Zahlen Ausländer keine Steuern und Sozialversicherungen?

Weiter ist geplant, die Bundesregierung zu ermächtigen, „gegebenenfalls allgemein oder für bestimmte Gruppen von Ausländern oder für bestimmte Aufenthaltszwecke die Erteilung oder die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auszuschließen.“ Sind mit bestimmten Gruppen etwa politisch nicht genehme Organisationen gemeint?

Sozialreferent Stützle’s Ausländerhetze

Das massive Vorgehen gegen unsere ausländischen Mitbürger wird ideologisch von Personen wie z.B. dem Sozialreferenten Stützle abgesichert, der schon Anfang 1982 mit seinen rassistischen Ideen … versuchte, die Münchener Bürger zum Zusammenhalt gegen die „ausländische Überfremdung“ aufzuhetzen.

Die Saat geht auf.

Faschistische Gruppen grölen schon in Fußballstadien: „Ausländer verrecke“.

Ein türkischer Kollege wurde kürzlich in Freising aufgehängt. Nur im Scherz – sagt man. Ein Grieche wurde an der Isar niedergestochen. Er liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Anderen ausländischen Kollegen zünden sie die Häuser an. Und die Parole: „Türken (Ausländer) raus“ stellt laut Bundesgerichtshof deshalb keine Volksverhetzung dar, „weil“ allgemeine geschichtliche Erfahrungen fehlen. Eine Judenverfolgung hat anscheinend nie stattgefunden. Damals hieß es zuerst: Juden raus! Das Ende ist bekannt.

Sind Ausländer Schuld an der Arbeitslosigkeit? – Das Beispiel MAN

Dass die Vorstellungen von Stützle und anderen verfangen, dass viele Menschen Angst vor „Überfremdung“ haben, hat unter anderem in der Wirtschaftskrise seinen Grund. Über 2 Millionen ohne Arbeit. Leicht kann man auf den Gedanken kommen, wo jetzt ein Ausländer arbeitet, könnte auch ein Deutscher stehen. Oder: Die Ausländer sind an der Arbeitslosigkeit schuld. – „Bei all dem darf man aber nicht vergessen, dass mit einem nennenswerten Abbau der Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann.“ Sagt Franz Josef Strauß (SZ 3. September 1984).

Denn wer entlässt die Kollegen? Wer schließt Betriebe wie Zündapp oder Agfa? Sind das die ausländischen Kollegen – oder die deutschen Firmenchefs? Wer rationalisiert die Arbeitsplätze weg? Und wer hat über 17 Milliarden DM auf amerikanischen Konten liegen, wie Siemens, statt Arbeitsplätze zu schaffen? Die ausländischen Kolleginnen und Kollegen oder die deutschen Unternehmer? Von einem ausländischen Kollegen wurde kein deutscher Arbeiter auf die Straße gesetzt.

Schuld an der Arbeitslosigkeit ist der Wettlauf um Gewinn, Gewinn und nochmals Gewinn. Ein Beispiel dafür ist MAN:

MAN konzentriert seit 1983 seine Produktion von Sattelschleppern und LKW’s in Ankara. Statt 2.600 Fahrzeugen gibt es jetzt eine Kapazität für die Produktion von 6.000 Fahrzeugen jährlich. Das Omnibuswerk in Istanbul soll statt bisher 600 in Zukunft 1.400 Omnibusse bauen. Seit 1984 laufen in Ankara 7.000 Dieselmotoren vom Band. – Der Hintergrund: Der Bruttostundenlohn in der BRD: 12 DM, in der Türkei: 2 DM. Klar doch, dass die Arbeitsplätze bei uns verloren gehen. Die türkischen Diktatoren garantieren zudem, dass es zu keinem Streik kommt, Streik zieht Folter und Mord nach sich. Auch die Steuern liegen für MAN dort niedriger. Die Gewinne sind so garantiert. Für diese Produktion möchte MAN auf sein Gastarbeiter-Reservoir von 2.600 Beschäftigten in der Bundesrepublik zurückgreifen.

Damit die türkischen Kollegen unter diesen Bedingungen in die Türkei zurückkehren, sind die Verschärfungen der Ausländergesetze nicht gerade unnützlich. Arbeitsplatzverlust – wegen der Ausländer? Oder wegen den Gewinnen von MAN?

Die Stadt München zieht ihren Nutzen

Doch die Nutznießer dieser Ausländerpolitik sind nicht nur die großen Konzerne wie MAN, Auch die Stadt München zieht ihren Nutzen daraus: Für 1.55   DM Stundenlohn müssen Sozialhilfeempfänger, Deutsche wie Ausländer, für die Stadt arbeiten. Man kann dies auch Zwangsarbeit nennen. 2.000 Menschen waren 1983 davon betroffen. Wie viele „normale“ Arbeitsplätze könnten dies sein?

Die Stadt begründet dies damit, dass z.B. die betroffenen Asylbewerber Gelegenheit haben müssen zu beweisen, dass sie nicht faul von Steuergeldern leben. – Doch warum dürfen sie nicht normal arbeiten? Warum verbietet man ihnen dies gar für die ersten zwei Jahre? Die Sozialhilfe könnte die Stadt sich dann sparen. Stattdessen besteht auch nach Ablauf dieser zwei Jahre kein Rechtsanspruch auf Arbeitserlaubnis.

Auch wenn es so aussieht, dass die Verschärfung der Ausländergesetze sich „nur“ gegen unsere ausländischen Mitbürger richtet, täuscht dies …

Gefügig und kräftig: Ausländer als moderne Lohnsklaven

Die neuen Verschärfungen des Ausländergesetzes bedeuten nicht, dass die deutsche Wirtschaft alle Ausländer raus haben will. Dies bestätigen sie selbst immer wieder. Sie will gefügige, anspruchslose und wehrlose Lohnsklaven haben. Die ausländischen Arbeiter sollen an die Kette gelegt werden. Sie sollen, solange sie gesund sind, das bestmöglichste zum Profit beitragen.

Lassen wir uns nicht spalten!

Deutsche und Ausländer gemeinsam gegen die Ausländergesetze – sie betreffen uns alle!

Weg mit den Sondergesetzen für Ausländer!

Herausgeber: Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit, IgA München.

V.i.S.d.P. (und Kontakt): Christian Vordemfelde, Am Glockenbach 3, 8 München 2, Tel. 26 52 45
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WER PROFITIERT?

Lebten 1980 in München noch 220.200 Ausländer, so sind es 1984 nur noch 208.700. Davon im wesentlichen:

24,7 Prozent Jugoslawen
19,5 Prozent Türken
10,0 Prozent Italiener
9,3 Prozent Griechen

Ihre Verweildauer liegt hauptsächlich zwischen 1 bis 4 Jahren (14,9 Prozent) und 10 bis 15 Jahren (37,3 Prozent).

Die Unternehmer wollen die ausländische Arbeitskraft billigst vernutzen. Immerhin waren 1983 119.900 (= 14,5 Prozent aller Beschäftigten) ausländische Kollegen. Davon im
Baugewerbe: 19.924 = 16,6 Prozent
verarbeitendes Gewerbe: 46.086 = 38,4 Prozent (BMW, Siemens usw.)
Öffentlicher Dienst: 30.690 = 25,5 Prozent
Handel: 11.792 = 9,8 Prozent

Jung, kräftig, fleißig und billig sollen die Ausländer sein. Ihre Altersstruktur gibt darüber Aufschluss:

Alter  ausländische Beschäftigte  deutsche Beschäftigte

                   Bayern:     BRD:

25 – 30    9,0 Prozent      7,15 Prozent
30 – 35  12,4 Prozent      6,90 Prozent
35 – 40  12,7 Prozent      6,14 Prozent
40 – 45  10,6 Prozent      8,02 Prozent
25 – 45  44.7 Prozent     28,21 Prozent

Da leuchten die Augen eines jeden Unternehmers: Im produktivsten Alter befanden sich also 1983 44,7 Prozent aller ausländischen Kollegen, dagegen „nur“ 28,2 Prozent der bundesdeutschen.

Kosten? – Ja, Kosten dürfen die Ausländer nicht verursachen. Dabei waren von allen Arbeitslosen in München:

1977:   3.310 Ausländer = 11,5 Prozent
1980:   3.210 Ausländer = 15,0 Prozent
1982:   9.297 Ausländer = 22,5 Prozent
1984: 12.297 Ausländer = 23,0 Prozent

Diese „Belastungen“ der Arbeitslosenkassen, der Krankenkassen und dann auch noch der Rentenversicherung ist der Regierung ein Dorn im Auge. Sie treibt die ausländischen Arbeitslosen, Kranken und Verbrauchten zur „Heimkehr“. Bis jetzt sind es bundesweit 250.000 Türken. Bei jedem von ihnen, der die „Rückkehrhilfe“ in Anspruch genommen hat, kassiert der Staat rund 35.000 DM an einbehaltenen Beiträgen.


Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: AusländerInnen

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