Materialien 1984
Die CSU bittet zum Tanz
Die anatolischen Tänze der türkischen Frauen und Männer stimmen die Zuschauermenge fröhlich. Vor allem die Kinder drängeln nach vorne – wollen ganz nahe bei den Tänzern sein – lösen sich aus der Hand der Mutter, aus der Hand des Vaters, klatschen in die Hände. Möchten am liebsten mittanzen an diesem sonnigen Mittag.
Auch die Verantwortlichen dieser Veranstaltung im Rahmen des Europawahlkampfes – denn es geht um die Europawahl – sind wohlgelaunt – ja sie haben allen Grund zufrieden zu sein. Denn wer möchte beim Anblick der Tänzer aus Südtirol, Griechenland und der Türkei noch behaupten, dass diese Herren Politiker von der CSU nicht weltoffen sind – nicht europäisch denken und handeln? All das Gerede von der ausländerfeindlichen Politik der CDU/CSU kann doch nur Propaganda der Linken sein. Schließlich kann hier jedermann sehen, dass die Südtiroler, die Griechen und die Türken gleichermaßen gleichberechtigt auftreten, ja alle können es sehen, das Auge lügt nicht. Sie sehen den lebendigen Beweis, den Beweis für die geschriebenen Lügen der anderen.
Einer der etwas abseits steht, blättert in der Werbezeitschrift der CSU „Löwe & Raute“, die dort am CSU-Stand im Hochglanz zu haben ist. Auf Seite 46 hört er auf einmal mit dem Blättern auf. Da steht etwas über die Position der CSU in der Aus1änderpolitik, geschrieben von Dr. Friedrich Zimmermann – Bundesminister des Innern.
Nur ein paar Sätze liest er – immer wieder von den Tänzen abgelenkt – dass ihnen, den Ausländern, die für ein Leben in Westeuropa unerlässlichen Industrietugenden, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, die gemeinhin im Kindergarten und in der Schule erworben werden, fehlen … Kurz denkt er daran, dass ihnen diese Eigenschaften damals, als sie hergeholt wurden, wohl nicht fehlten.
Er liest, „dass die Türken gegenwärtig die größten Sorgen bereiten, weil sie aus einem für uns relativ fremden Kulturkreis stammen, eine weitgehend andere Mentalität haben und mit über 1,5 Millionen Menschen die größte fremde Bevölkerungsgruppe stellen.
Unwillkürlich denkt er an die rassistischen Thesen des Münchner Sozialreferenten Hans Stützle, die 1982 erstmals bekannt wurden und in denen dieser Stützle vom Aussterben der deutschen Rasse faselt, von der Gefahr der Überfremdung, von Frauen, die für ein Facharbeitergehalt so 5 bis 7 Kinder für den Erhalt des deutschen Volkes werfen sollen. Vor zwei Jahren nahm er das alles noch nicht sonderlich ernst. Das Geschreibsel eines Unverbesserlichen, eines Wichtelmannes unter den Großen der CSU. Ihm störte damals nur, dass dieser Bursche nicht sofort aus seinem Amt verschwand. Aber müssten nicht auch die, die ihn gehätschelt und gefördert haben, verschwinden?
„Die deutsche Bevölkerung hat ein Recht, auch eigene Integrationsbeiträge der Türken erwarten zu können.“ Eigene Integrationsbeiträge? Wie denn? Bei diesen Gesetzten! Man muss sich doch nur einmal das Ausländergesetz mit seinen 55 Paragraphen oder das Asylverfahrensgesetz anschauen. Paragraphen, die alle Rechte nehmen. Mit Recht und Gesetz braucht so einer nicht kommen. Wie eine Zeitbombe wirken diese Paragraphen. Sollen sich die Ausländer auf einer Zeitbombe häuslich einrichten?
Auf dieser Zeitbombe nützt ihnen kein Ducken, selbst wenn sie sich auf ihr wie eine Flunder ganz flach machen – damit können sie die Bombe nicht entschärfen.
Wie heißt es da?
„Die wesentlichen Inhalte des neuen Ausländergesetzes werden sein:“
die Ausdehnung der Aufenthaltserlaubnispflicht auf Ausländer unter 16 Jahre,
die Schaffung eines zeitlich begrenzten Aufenthaltsrechts für von vornherein begrenzte Aufenthaltszwecke, etwa eine Ausbildung, das einen späteren Daueraufenthalt ausschließt,
die Fixierung konkreter Versagungsgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis,
die rechtliche Verfestigung des Aufenthalts derjenigen Ausländer, die seit vielen Jahren in unserer Gesellschaft leben und arbeiten,
klare gesetzliche Regelungen für den Famiiennachzug, sowie effektive Vorschriften bezüglich der Ausweisung.
Hier beginnt sein Gesicht sichtlich zu zucken. Der Familiennachzug war schon jetzt beschränkt genug: 3 Jahre muss die Ehefrau warten, bis sie nachziehen darf. Nach so langer Trennung gilt eine deutsche Ehe schon als gescheitert. Nun sollen auch noch die Kinder leiden, bis 6 Jahre dürfen sie kommen, älter nicht mehr, dann seien sie nicht mehr zu integrieren. Ehegatten sollen nur einreisen dürfen, wenn die Ausländer sich hier einbürgern lassen wollen. Es ist klar, der Malocher ist noch gefragt, Familie haben soll er nicht. Und effektive Vorschriften bezüglich der Ausweisung, die brauchen sie wohl dringend. Er denkt an die Planegger Straße 125, in deren Fabrikgebäude, das im Besitz der Stadt München ist, 200 ausländische Arbeiter untergebracht sind. Zuvor lebten die doch in einer Baracke in der Dachauer Straße. Abgebrannt ist die – zufällig. Jetzt soll dort gebaut werden. Er denkt an sein eigenes Haus, für das Gebiet, wo er bauen wollte, gab es damals noch keinen Bebauungsplan.
Jahre dauerte das, bis der durch alle Instanzen war. Vielleicht haben die Behörden für das Grundstück an der Dachauer Straße schon einen? Leer soll ja der Platz wohl nicht bleiben. Aus der Planegger Straße sollen die 200 nach dem Willen des Kreisverwaltungsreferats, deren Chef Gauweiler heißt, nun auch raus.
„Die Notwendigkeit einer ausreichenden und ordnungsgemäßen Wohnung ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Satz 2 des Ausländergesetzes. Sie werden daher gebeten, der Ausländerbehörde spätestens bis zum 01. 07. 84 durch Vorlage eines Mietvertrages nachzuweisen, dass ihnen der erforderliche Wohnraum zur Verfügung steht.“
Acht Quadratmeter pro Mann sind da vorgeschrieben. Und das bei dieser Wohnungsnot! Gar nicht dumm. Ein wenig aufwendig vielleicht, der Weg bis zur Ausweisung.
Wieder blickt er auf die türkische Folkloregruppe mit ihren Tänzen aus der anatolischen Heimat. Sieht auf die Kinder, die drängeln, damit sie ganz nah bei den tanzenden Frauen und Männern aus der Türkei stehen. Ihnen gefällt’s – der Rhythmus, die Musik. Bald haben sie gefälligst zu begreifen, dass die Kultur dieser Menschen nicht nur fremd ist, sondern dass diese Menschen eine Bedrohung für unsere Gesellschaft darstellen, dass sie Schuld an der Arbeitslosigkeit haben und nicht etwa unser beispielhaftes System – der Kapitalismus!
Noch immer blickt er auf die tanzende Gruppe, au einmal erkennt er seinen Freund unter ihnen – der bei denen? Abrupt wendet er sich von dem ganzen faulen Zauber ab. Einige Tage später trifft er seinen Freund wieder, fragt ihn, wie er dazu kommt, sich und seine Leute für so eine verlogene Sache herzugeben.
Der Freund aber erklärt ihm, dass er gar nicht wusste, dass diese Veranstaltung von der CSU organisiert ist. Da er von einer Frau von Terre des Hommes dazu eingeladen wurde und da er annehmen musste, dass das eine Veranstaltung der Gemeinde sei und keine Wahlpropaganda. Nein, er wusste wirklich nicht, dass er für die CSU-Propaganda missbraucht werden sollte und als er dort schon ein klein wenig zu spät ankam, sah er erst die Plakate. Die Frage, warum er dann nicht einfach mit seinen Leuten gegangen sei, blieb unbeantwortet, nur das Schulterzucken sagte mehr als irgendeine Antwort.
Der türkische Kollege erzählte schnell, dass er schriftlichen Protest bei dieser Frau eingelegt habe. Der Freund ist mit seinen Gedanken längst wieder auf dem Platz. Er denkt an das Gelesene, an die Gesetze, an die Zeitbombe, an das sinnlose Ducken.
Auf einmal denkt er an ihre Freundschaft, er muss ganz einfach lächeln – nein so kriegen die uns nicht entzwei, so nicht.
Demokratischer Informationsdienst . Hg. vom Anti-Strauß-Komitee 54 vom September 1984, 21 f.