Materialien 1984
Musterentwurf eines Briefes an Ämter
An
Kriminalobermeister Thomeczek
Polizeipräsidium
K 143 / Polit. Polizei
Ettstr. 2 – 4
8000 München 2
12. Mai 1984
Sehr geehrter Herr Kriminalobermeister Thomeczek,
wie sich vielleicht im K 143 herumgesprochen haben sollte, stehe ich Ihrer Organisation durchaus ablehnend gegenüber. bin also auch nicht geneigt, Ihrer Einladung zum 18. Mai 1984 (und gar um 8 Uhr früh) Folge zu leisten, seien die Anwürfe auch noch so erheiternd. Die Bezeichnung „Eingang Löwengrube“ stimmt auch vorsichtig. Sie ermitteln gegen mich „wegen Verdacht(es) eines Vergehens gemäß §§ 14, 26 Versammlungsgesetz, als Leiter einer unangemeldeten Versammlung“. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, ahne noch nicht einmal, auf was Sie anspielen, rate Ihnen aber in dieser großen Zeit der Amnestie für Staatsverbrecher auch einmal Unschuldige unbehelligt zu lassen. Stellen Sie also diese Verschwendung von Steuergeldern ein. Die Tage erst erhielt ich von Ihrer Organisation die korrekt frankierte Bestätigung über die „Sicherstellung“ eines Ausrufezeichens („!“). Das Ausrufezeichen hatte sich bei mir ausgesprochen sicher gefühlt, Unsicherheit kam erst nach der Beschlagnahme auf. Ich bitte also, solche Scherze in Zukunft zu unterlassen, sonst fühle ich mich gezwungen, zu Wahrheiten zu greifen, die von munter delirierenden Staatsanwälten als beleidigend betrachtet werden – denn in diesem miesen Staat, in dem die Wahrheit in Permanenz beleidigt wird, ist Wahrheit beleidigend.
Hochachtungsvoll
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Meine Weisung wurde nicht beachtet, ich wurde unmittelbar darauf wieder zum Versammlungsleiter erkoren und entwarf die folgende Resignationserklärung.
Wie ich bereits hinreichend geschildert habe, lege ich keinerlei Wert auf Kontakte mit Ihrer Organisation und somit auch nicht mit Ihnen, so gern ich Sie vielleicht persönlich haben könnte oder Sie mich auch. Zu einer privaten Verstimmung zwischen uns sollte es also nicht kommen, auch wenn Sie mit Belastungen der Bundespost und des unbestreitbar zu großen Etats der Politischen Polizei fortfahren. Mich können Sie wiederum nicht entscheidend belästigen, ich bekomme zu viel Schund und Schmutz in den Briefkasten, bin abgehärtet, weiß die Dinge gelassen zu nehmen – und doch kommt leiser Ärger auf, da ich sehen muss, wie unfolgsam Sie sind. Schützen Sie doch bitte nicht in diesem unseren Staate rechtsstaatliche Überlegungen vor, wenn Sie mich immer wieder in immer neuen Fällen zu immer obsoleteren Verhörterminen bitten.
Ich soll – wie viele andere – am 19. Mai 1984 schon wieder einmal eine unangemeldete Versammlung geleitet haben. Diese Betrachtungsweise ist doch so töricht wie albern: alle Teilnehmer sollen Leiter gewesen sein? Die reinste Anarchie – wo wir doch Mao Zedong, Ältere Linie, zugeordnet werden. Aber kommen wir von den Kindereien zu den ernsteren Dingen des Lebens. Sie BITTEN in die „Löwengrube“, die aufzusuchen tunlich erscheint, drohen Sie doch mit zwei Übeln: entweder lässt man sich von der Charybdis in der Löwengrube verschlingen, oder man kriegt gleich die Scylla frei Haus, nämlich staatsanwaltschaftliche Maßnahmen. Nun habe ich an beidem keinerlei Interesse und lasse die Bitte also auf sich beruhen, hoffend, dass Ihre Vorstellungen wie so oft auf holdem Wahn beruhen.
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Seitdem sind wir geschiedene Leute, ich hörte nichts mehr, dafür waren die folgenden Verurteilungen saftig.
Heinz Jacobi
Der Bote Nr. 11. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift, München 1986, 18 ff.