Materialien 1984

Alles unter Kontrolle ...

Innenministerium testet Polizisten-Verhalten bei Demonstrationen

4. Juni 1984, 17.00 Uhr. Während der Kundgebung des DGB-Landesbezirk Bayern für das Recht auf Arbeit gegen Aussperrung und Unternehmerwillkür spricht gerade Jakob Deffner. Der Marienplatz ist gut gefüllt. Die Gitterabsperrungen, die den Raum für die Kundgebungsteilnehmer abgrenzen und Passanten die Wege zu Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln freihalten sollen, werden von Polizisten aufmerksam bewacht.

Ein junger Polizist steht mir vis-a-vis außerhalb der Absperrung. Ein älterer Herr, er trägt einen braunen Anzug und Krawatte, stellt sich neben ihn. Er macht den Eindruck, als höre er dem Kund-
ebungsredner zu. Wie ich richtig vermute, darf man das von außerhalb der Absperrung nicht tun, zumindest nicht, wenn man dabei direkt an der Absperrung steht. Das hat nämlich – wie ich später erfahre – Nachahmungen zur Folge, was wiederum dazu führen kann, dass der freie Passanten-
strom gestört wird. Vielleicht hat es auch andere Gründe?

Wie es auch sei, nach wenigen Augenblicken spricht der junge Polizist den älteren Herrn an. Er fragt ihn, ob er hier stehen würde, um zuzuhören. Der Mann bejaht dies, worauf der Polizist ihn höflich bittet, in den abgesperrten Bereich hineinzugehen. Das müsse er ihm erklären, meint der
so Angesprochene, es sei doch wohl egal, von wo er zuhöre. Daraufhin erklärt ihm der Polizist den Zusammenhang. Dieser Zusammenhang entspricht meiner Vermutung. Der extra freigehaltene Weg zu den Geschäften wäre gefährdet.

Der ältere Herr scheint uneinsichtig und lässt sich die gerade erst vorgetragene Begründung des Polizisten noch ein zweites Mal vortragen. Dabei bemüht sich der Polizist augenscheinlich um Haltung, er will offensichtlich keine Konfrontation. Doch das Gespräch geht weiter. Nun fragt der Mann wörtlich: „Was machen Sie jetzt, wenn ich nicht gehe, dann müssen Sie mich doch des Platzes verweisen?“ Der Polizist wirkt jetzt leicht nervös. Er bestätigt die in der Frage enthaltene Antwort. Daraufhin weist sich sein Gesprächspartner als Bediensteter des Innenministeriums aus. Ich habe bei den Gesprächsfetzen, die ich mitbekomme, den Eindruck, dass er mit seinem Verhal-
ten (auftragsgemäß?) herausfinden wollte, ob sich der Polizist an seine Dienstanweisungen hält.

Was macht der Polizist? Er bedankt sich und macht einen verwirrten Eindruck. Kein Wunder, wie mir scheint. Ihm war wohl klar. Das war eine Kontrolle.

Ich selber stelle mir jetzt die Fragen: Was genau wollte der Mann vom Innenministerium herausfinden? Wie bewertet er das Verhalten des Polizisten? Kannte er den Namen des „so kontrollierten“ Polizeibeamten? Werden stichprobenhaft alle Polizeibeamten bei ähnlichen Einsätzen unter Kenntnis der Identität getestet? Welche Konsequenzen werden aus solchen Kontrollen gezogen? Welche Schlüsse zieht ein so kontrollierter Polizeibeamter für sein künftiges Dienstverhalten?

Um den Polizeibeamten nicht in Verlegenheit zu bringen, habe ich ihm diese Fragen nicht gestellt. Es ergab sich aber ein intensives Gespräch über gewerkschaftliche Argumente für die Einführung der 35-Stunden-Woche. Die vorangegangene Kontrolle hatte erfreulicherweise sein Interesse an solchen Fragen nicht blockiert. Der Kontrolleur war allerdings zwischenzeitlich weitergegangen. Diskussion mit Polizeibeamten ist hoffentlich noch erlaubt.

N.B.


wir. Information für Münchner Gewerkschafter, hg. vom DGB-Kreis München 3/1984, 14.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Bürgerrechte

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