Materialien 1984
Zehn Bräute am Rand des Katholikentages
Ganz in Weiß
Katholikentag in München. Gleich stand für uns fest, dass wir bei diesem Spektakel nicht nur zähneknirschende Zuschauerinnen sein wollten. Wir waren Frauen aus der Münchner Humanisti-
schen Union, zu uns gesellten sich noch ein paar Frauen vom Frauenforum. Gemeinsam überleg-
ten wir:
Wie können wir der Kirche zeigen, was wir von ihr halten? Eine Art Prozession wurde vorgeschla-
gen, eine Monstranz auf einer Sänfte, kirchliche Sozialpolitik anklagend. Katholische Freunde rie-
ten ab; das Allerheiligste veräppeln, bewirke nur Aggressionen. Dann vielleicht eine Art Trauerzug: wir trauern um alle die Frauen, die die katholische Kirche auf dem Gewissen hat? Die Hexen, die Heiligen, die Mütter, die Töchter? Abgelehnt, weil Schwarz unter all den Schwarzröcken nicht auf-
fallen würde. Wenn nicht Schwarz, dann vielleicht Weiß? Die Idee des Frauenforums, ein Straßen-
theater nur mit Bräuten zu machen, fanden wir nachahmenswert. Thema? Abtreibung? Abgelehnt. Der Ruf „Mörderinnen“ klang uns noch in den Ohren von den letzten 218-Demonstrationen, als Nonnen unsere Flugblätter nicht nur zerknüllten, sondern auch noch versuchten, sie mit ihren schwarzen Thalysia-Schuhen in den Boden reinzustampfen. Wir hatten keine große Lust, uns schon wieder diesem Hass auszusetzen, und dieser Hass scheint beim Thema Abtreibung in Kir-
chenkreisen vorläufig unvermeidlich.
Und dann war das Thema plötzlich klar: Verhütung! Das Nein der Kirche zu jeder Art von Verhü-
tung (bis aufs Zählen) ist noch immer ein absolutes Verbot. Mit dem Thema Verhütung könnten wir vielleicht Katholikentagsbesucher/innen erreichen und nachdenklich stimmen. Und es sollte locker sein und was zum Lachen geben – das war unser Ziel!
Also sahen sich die Gläubigen am strahlenden Sonntag auf ihrem Weg zur Großkundgebung „Für das Leben“ auf dem Olympiagelände überraschenderweise mit zehn Bräuten konfrontiert, ganz in Weiß, mit wehenden Tüllvorhängen als Schleier. Sie standen im Halbkreis, hatten kleine Bauchlä-
den an rosa Bändern umgebunden. In diesen Bauchläden lagen – zierlich von weißen Spitzen um-
rüscht – sechs Verhütungsmittel, die nicht auf dem Index stehen, 6(!) Verhütungsmittel mit kirch-
lichem Imprimatur. Und die wurden nun vorgestellt, teils gereimt, teils in Prosa. Eine von uns stand jeweils in der Mitte, auf einem Bierkasten als Podest und trug den Text vor. Die anderen zeigten stumm im Chor die Objekte vor (wie Stewardessen die Sauerstoffmasken).
Da horchte und sah auch manch’ Priesterlein auf, wenn wir die Spirale für den Mann rumreichten (äußerlich zu tragen) oder den Schaum zur Verhütung uns gegenseitig in Form von Schlagsahne in den Mund sprühten. Und selbst Nonnen kicherten, wenn wir das neue Verhüterli anpriesen: mo-
dische Netzsöckchen, garantiert unzuverlässig, weil garantiert durchlässig!
Das Publikum, das stehen blieb und sich amüsierte, war vorwiegend jung und hatte offenbar eben-
so viel Spaß, wie wir beim Spielen. Aber die Gaudi war auch ernsthaft untermauert, es gab als Be-
gleitlektüre ein Flugblatt mit Aufklärung über alle verfügbaren Verhütungsmittel, eine kritische List auf dem neuesten medizinischen Stand, einschließlich „Pille danach“.
Die Polizei schien misstrauisch; dreimal hintereinander wurde unsere Genehmigung für den In-
formationstisch kontrolliert. Schließlich kam auch noch berittene Polizei vorbei, blieb aber in einiger Entfernung stehen und schmunzelte. Als wir dann in unserem Schlußsong auf die „großen Tiere“ zu singen kamen, konnten wir gleich auf die beiden Reiter verweisen, was diese mit Amuse-
ment hinnahmen.
Das Ende kam mittags, als die Großkundgebung zu Ende ging. Mit Broschüren der „Aktion für das Leben“ unter dem Arm, großen Farbfotos von blutigem Schleim mit Ärmchen und Beinchen darin, aufgeheizt von Horrorparolen über abgeschlachtete Robbenbabies und Abtreibungen, konnten einige Rückkehrer/innen gar nicht mehr hinhören, was wir sagen wollten, sondern gifteten schon von weitem: Alles Lüge! Lügen! Und dann mussten wir es doch wieder hören: Mörderinnen!
Etwas verdutzt packten wir daraufhin nach fünf Stunden non-stop-Show Spirale und Schaum ein. Wir waren erschöpft, aber auch zufrieden über die alles in allem gute Resonanz für unser Spiel und über die guten (manchmal aber auch erfolglosen) Diskussionen, die unsere Begleitpersonen um uns herum mit dem Publikum führten.
Das war am Sonntag. Schlagzeile am Montag: Papst bekräftigt: keinerlei Verhütungsmittel erlaubt! Schlagzeile am Dienstag: Weltbankpräsident: ohne Verhütungsmittel steuert die Weltbevölkerung dem Abgrund zu!
Heide Hering
Mitteilungen der Humanistischen Union vom September 1984, 26.