Materialien 1984

Abstimmungs-Mathematik

Kommentar zur Rathauspolitik

„Regieren wird als eine tief mysteriöse Kunst bezeichnet nicht darum, weil sie das ist, sondern um Revolutionäre abzuschrecken und den schlichten Untertan nicht sehen zu lassen, wie wenig man zu können und um wie viel weniger man zu wissen braucht, um zu regieren. Wie viele Trottel und Idioten haben Völker ein halbes Jahrhundert hindurch segensreich und friedlich regiert.“
(B. Traven, „Regierung“)

Münchner Oberbürgermeister regieren kein halbes Jahrhundert, sondern sechs Jahre. Da es dabei manchmal weniger segensreich und friedlich zugeht, ist wohl der Tatsache zuzuschreiben, dass wir es weder mit Trotteln noch mit Idioten zu tun haben. Denn welcher Trottel hätte es so elegant fertiggebracht, die nach vorn drängenden Frauen vom Bürgermeisterposten fernzuhalten. Welcher Idiot würde es fertigbringen, die Opposition mit einem Bürgermeistersessel in die Regierung einzubinden. Dazu gehören Intelligenz, Wissen und Können. Das alles vereint sich in unserem Schorschi Kronawitter, wie wir aus seiner Wahlkampfbroschüre wissen.

Es gehört denn auch höhere Mathematik dazu, verstehen zu können, wie ein SPD-OB zusammen mit CSU- und FDP-Opposition Abstimmungsniederlagen „erleiden“ muss gegen seine eigene Fraktion und die Grünen. Zumindest Einser-Abitur ist notwendig, erklären zu können, weshalb der OB für den sofortigen Ausstieg der Stadt als Gesellschafter aus dem Kabelpilotprojekt im Plenum stimmt, obwohl er sich im zuständigen Ausschuss dagegen aussprach.

Womit bewiesen ist: Regieren ist eine Kunst, eine tief mysteriöse.

Günter Müller


wir. Information für Münchner Gewerkschafter, hg. vom DGB-Kreis München 3/1984, 13.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: SPD

Referenzen