Materialien 1984

Stadtteilausverkauf

Das schicke Univiertel wird Stück für Stück verscherbelt

Am Beginn der „Aktion Maxvorstadt“ im Winter 1970/71 stand eine Verzweiflungstat, der Selbstmord einer alten Frau. Ihr war gekündigt worden, sie sollte raus. Nicht als einzige. Das Maß war voll. Dr. Werner Suerbaum, heute Professor und Dekan an der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, verfasste einen Aufschrei: „Eine Provokation – Unsere Gemeinde im Abbruch.“ In der Pfarrgemeinde St. Ludwig war es zuerst aufgefallen, dass so viele alte Maxvorstädter auf einmal nicht mehr da waren. Ralf Dantscher, damals Kaplan bei St. Ludwig, später Bhagwan-Jünger, wurde einer der führenden Köpfe der „Aktion Maxvorstadt“, einer der ersten Bürgerinitiativen Münchens.

1971, beim ersten Protestmarsch durch das bedrohte Viertel („Wie viel Banken braucht der Mensch?“) sagte Dantscher: „Ich hoffe, dass jener Stadtrat nicht recht behält, der uns gesagt hat: Eure Forderungen werden erst gehört, wenn ihr mit Steinen werft.“

Die Steine sind nicht geworfen worden in der Maxvorstadt. Die Forderungen wurden angehört- Ob sie auch gehört wurden? Werner Suerbaum faßt zehn Jahre Initiativ-Arbeit zusammen: „Ich weiß nicht, ob die ‚Aktion Maxvorstadt’ das Gesicht dieses unseres Stadtteils verändert hat, aber ich glaube, sie hat etwas wichtiges verändert: das Bewusstsein.“ Immerhin. Ansonsten: Ratlosigkeit, als Anton Steiner, einer der Aktiven, den Fahrplan für die Maxvorstadt in die zweite Hälfte der Achtziger Jahre vorliest:

„Amalienstraße 15 ist verkauft; Nr. 38 gehört dem Freistaat Bayern, dort ist ein Professoren-Wohnheim geplant; Nr. 39 ist verkauft, Eigentumswohnungen geplant; in Nr. 45 wurden die Mieter vor zehn Jahren vertrieben, von fünfundzwanzig Wohnungen sind dreiundzwanzig gewerblich genutzt; Nr. 81 von Umwandlung bedroht; Nr. 91 soll abgebrochen werden; Blütenstraße 9 ist zweckentfremdet; Georgenstraße 15 soll in Eigentumswohnungen umgewandelt werden; ebenso Nr. 28, 30, 34, 36, 42, die Theresienstraße 29, 31, die Türkenstraße 28, 32; in der Türkenstraße 51 sind einzelne Wohnungen zweckentfremdet, das Rückgebäude Schönfeldstraße 30 steht leer.“ Schweigen – dann fasst Dieter Sumser, auch einer der „Aktion Maxvorstadt“ seine Befürchtungen zusammen: „Viele der Eigentumswohnungen werden keine Mietwohnungen mehr sein, viele werden Zweitwohnungen sein, die Einwohnerzahlen werden drastisch zurückgehen.“

Er hat recht. Um 1910 hatte das Viertel noch rund achtzehntausend Einwohner. 1983 lebten hier elftausendsechshundertachtzig Bewohner, achtzigtausend Menschen strömten tagsüber durchs Viertel: in die Uni, in die Banken und Büros, in die Boutiquen, abends in die Kneipen, in die Kinos. Kinder unter sechs Jahren gibt es nur noch vierhundertzwanzig in der Maxvorstadt.

Die Uni wäre den Maxvorstädtern beinahe erspart geblieben. Als sich der Münchner Magistrat weigerte, dem König noch einmal einen Batzen Geld aus der fast leeren Stadt-Kasse zum Weiterbau der Ludwigskirche zur Verfügung zu stellen, drohte Ludwig I. damit, die Universität oder die Residenz in eine andere Stadt zu verlegen. Die Münchner gaben nach, St. Ludwig wurde 1844 von Friedrich von Gärtner vollendet und die Uni blieb im Viertel.

„Eine Krux für die Maxvorstadt“, wie Anton Steiner aus der Amalienstraße klagt. Nicht, dass der Diplom-Biologe grundsätzlich was gegen die Uni hätte: „Die Bevölkerung hat hier immer recht gut mit der Uni gelebt, aber das ist eine Frage des Verhältnisses.“ Eine Verhältnisrechnung, die nicht mehr aufgeht. Schreiner Georg Eschenbeck, Nicht-Akademiker, rechnet nach: „Mit den Studenten ist es wie mit den Hunden. Ich bin sehr tierliebend. Ein Hund allein ist ein nettes Tier. Ein Paar geht auch noch. Aber wenn’s hundert oder Tausend sind und wenn d’Hund mehra werd’n wia d’Leit, dann werd’s bedrohlich.“

Von den Studenten selbst fühlt sich der Schreinermeister nicht so sehr bedroht: „Die war’n früher ganz anders als heit. Letztes Jahr sind bei um welche auszog’n, die san braver g’wesen als a Schüler in der vierten Klass’.“ Die Bedrohung kommt von der Universität. Besonders in den letzten zehn Jahren, als die Studenten immer mehr wurden, ging der Uni der Platz aus. Fast Notwehr: Wohnhäuser wurden von Instituten besetzt, überall in der Maxvorstadt wurden Wohnungen angemietet. Uni-Bedarf. Fazit der Aktion Maxvorstadt: „Wir müssen uns was einfallen lassen.“

Was Neues. Denn die Finger krumm machen für die Verschönerung des Viertels will keiner mehr. Zu schlecht sind die Erfahrungen. Immer. wenn die Maxvorstadt ein Stücken lebenswerter wurde, hat man die Bewohner wegsaniert. Georg Eschenbeck: „Da seh’ ich net ein, dass ich für’s Viertel kämpf’, und wenn dann alles schöner ist, dann krieg ich an Tritt in den Arsch und kann gehen.“ Josef Hödl, der gegen „Besitzwechsel nichts einzuwenden“ hat, sieht es drastischer: „Wer mit Wohnungen handelt, wer sich auf Spekulationen einlässt, der ist darauf angewiesen, die Mieter zu quälen, der ist für mich wie einer, der mit Rauschgift handelt.“ Und er zuckt die Schultern: „Das ist halt der Nachteil der Großstadt. Da kann das einer machen. Da fehlt die Sozialkontrolle. Auf dem Dorf, da könnte so einer kein ruhiges Bier mehr in der Wirtschaft trinken.“

In der Stadt kann er noch viel mehr. „Ihre Kaution wollen Sie zurückhaben? Ich kann nicht jeden Abend nur von Leberkäs’ leben“, sagte einer. der in der Maxvorstadt kräftig spekuliert hat, zu seinem Mieter. Und auf die Frage eines Reporters, warum er denn so viele seiner Ansicht nach „unrentable“ Altbauten aufkaufe, meinte derselbe Hausbesitzer: „Ich frage Sie auch nicht, wen Sie nachts bumsen.“ Auf dem Dorf wüsste man auch das. Im V. Stadtbezirk nicht.

wov


Michael Linkersdörfer/Wolfgang Vichtl (Hg.), Das Münchner Stadt-Zeitungs-Buch, München 1984, 176 ff.

Überraschung

Jahr: 1984
Bereich: Stadtviertel

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