Materialien 1986

Unter den Gegnern ...

der Wiederaufarbeitungsanlage gibt es allerdings Elemente, die mit sachlichen Argumenten nicht ansprechbar sind. Sie wollen überhaupt keine rationelle Auseinandersetzung. Ihr Ziel ist es, die Angst und die Sorgen der Menschen für ihre eigenen gesellschaftsumbauenden und staatszerstö-
renden Ziele zu missbrauchen. Fast an jedem Wochenende bietet sich am Gelände der Wiederauf-
arbeitungsanlage das gleiche Bild: Eine Bürgerkriegsarmee reisender Krimineller benutzt die Dek-
kung durch die vielen Demonstranten, die durchaus in friedlicher Absicht erschienen sind, um mit Gewalttaten gegen die Anlagen und gegen die zu deren Schutz eingesetzten Polizisten vorzugehen.

Ihnen geht es nicht um diese Wiederaufarbeitungsanlage und nicht um die Nutzung der Kernener-
gie. Ihr Ziel ist es, unsere Wirtschaftsordnung, das heißt unsere Soziale Marktwirtschaft, zu treffen, die parlamentarische Demokratie und den freiheitlichen Rechtsstaat zu bekämpfen, eine Destabili-
sierung unserer freiheitlichen Grundordnung und den Ausstieg aus den westlichen Gemeinschaf-
ten der EG und der NATO herbeizuführen.

Wer heute mit Schleudern und Stahlkugeln auf Polizisten schießt und Molotowcocktails wirft, kann morgen schon als Terrorist Bomben legen. Sicherlich wird nicht jeder gewalttätige Demonstrant ein Terrorist. Aber die Lebensläufe zeigen, dass die meisten Terroristen aus der Hausbesetzerszene und aus dem Heer der vagabundierenden Berufsdemonstranten mit verbrecherischer Handlungs-
weise kommen.

Gegen diese Feinde der Freiheit müssen wir die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates und die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie verteidigen.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hat als Lehre aus den bitteren Erfahrungen mit dem Untergang der Weimarer Republik und mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft das Recht auf Widerstand ausdrücklich in der Verfassung verankert. Aber dieses Recht ist nur gegeben, wenn unsere freiheitliche demokratische Ordnung in Gefahr gerät, und es ist nicht gegeben, wenn man diese Ordnung zerstören will.

Eine Verhöhnung des Begriffes „Widerstand“

Es ist ein grober Missbrauch und eine Verhöhnung des Begriffes „Widerstand“, wenn damit das ge-
walttätige Vorgehen gegen den freiheitlichen Rechtsstaat und seine Sicherheitsorgane bezeichnet wird. Damit werden all die Menschen verhöhnt, die tatsächlich unter Einsatz ihres Lebens in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand gegen Gewaltherrschaft und Unrecht geleistet haben oder die solchen Widerstand heute in totalitären Staaten, vornehmlich des Ostblocks, leisten.

Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des freiheitlich demokratischen Rechtsstaats, allen Angriffen auf seine Handlungsfähigkeit entschlossen entgegenzutreten. Wir dürfen keine Rechts-
brüche dulden, der Strafverfolgungsanspruch des Staates muss erfüllt werden. Schwere Gewaltta-
ten, die bis hin zum Mordversuch reichen, dürfen nicht ungesühnt bleiben.

Wer die Nutzung der Kernenergie, den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage oder ein anderes großtechnisches Projekt ablehnt, hat in unserem Rechtsstaat eine Fülle von Möglichkeiten, seine gegenteilige Meinung, auch wenn sie falsch ist, geltend zu machen. Die Planungs- und Genehmi-
gungsverfahren bieten den betroffenen Bürgern vielfältige Möglichkeiten zur Mitwirkung.

Der Rechtsstaat garantiert die Überprüfung der staatlichen Entscheidungen durch die Gerichte. Wir haben manchmal nicht nur einen Rechtsstaat, wir haben einen sehr weit entwickelten Rechts-
mittelstaat.

Der vor kurzem in schrecklicher Weise ermordete Karl Heinz Beckurts, der Chefphysiker von Sie-
mens, hat zu Recht gesagt: „Technik setzt voraus, dass wir eine funktionierende rechtsstaatliche Demokratie haben.“ – Wenn aber diejenigen in unserem Lande, die Träger dieser modernen Technik sind, die für Fortschritt von heute und Wohlstand für morgen sorgen, einer täglich wach-
senden Lebensgefahr ausgesetzt sind, wenn sie schutzlos verbrecherischen Elementen, terroristi-
schen Gewaltverbrechern ausgeliefert sind, dann sieht man aus diesem Ausspruch des Chefphysi-
kers von Siemens, den damals kaum jemand verstanden hat, wie notwendig das Gewaltmonopol für den Staat, wie notwendig aber auch die friedenssichernde Aufgabe einer staatlichen Ordnung ist, wenn nicht sein Gefüge ausgelaugt und dann zerstört und zum Einsturz gebracht werden soll.

Die Weiterentwicklung unserer Industriegesellschaft, ihr Ausbau und ihre Verbesserung, ihre hu-
mane Ausgestaltung, wird letztlich davon abhängen, ob es in unserer demokratischen Ordnung möglich ist, die tatsächlichen Sachverhalte den Bürgern wahrheitsgemäß und verständlich zu ver-
mitteln. Hier haben die Medien eine große, verantwortungsvolle Aufgabe, der sie bisher zum Teil jedenfalls nur ungenügend, um mich gelinde auszudrücken, nachgekommen sind. Zu dieser Auf-
klärung der Bürger kann auch der Bayerische Landtag mit der heutigen Debatte über die gestellten Fragen einen bescheidenen, aber trotzdem wichtigen Beitrag leisten.

Franz Josef Strauß in seiner energiepolitischen Regierungserklärung vor dem Bayrischen Landtag am 17. Juli 1986.


Franz Josef Strauß, Auftrag für die Zukunft. Beiträge zur deutschen und internationalen Politik 1985 – 1987, Percha am Starnberger See 1987, 361 ff.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Atomkraft

Referenzen