Materialien 1986
Soldaten als Mörder
Der Gerichtssaal war überfüllt. Monika B, ein Mitglied des „Förderkreises zum Aufbau der Femi-
nistischen Partei“ hatte im Juni 1985 am Infostand der Zeitschrift „Der Feminist“ in der Münchner Fußgängerzone mit zwei Bundeswehrsoldaten diskutiert und gesagt: „Alle Soldaten sind für mich potentielle Mörder. In der Armee erlernt ihr das Handwerk des Mordens.“ Die beiden Bundes-
wehrsoldaten zeigten sie wegen Beleidigung an und die politische Abteilung der Münchner Staats-
anwaltschaft erließ daraufhin einen Strafbefehl von 600 DM (bzw. 30 Tagessätzen zu DM 20,-). Gegen ihn erhob Monika B. Einspruch. Und am 14. Januar fand ebendieser Prozess statt.
In ihrer Einlassung zur Sache griff sie die Kriegsmaschinerie als die Höchstform des Patriarchats an: „So lange bei uns das Patriarchat herrscht, ist das Recht des Stärkeren Gesetz. Dazu werden schon unsere Kinder erzogen.“ Sie versuchte dem Gericht klar zu machen, dass eine Erziehung der Kinder und Kultur der Androhung von Gewalt und der realen Vergewaltigung der Alltag von Kin-
dern und Frauen sei. Erst die Frauenbewegung hätte den Zusammenhang von Vergewaltigung und Krieg deutlich herausgestellt. Der oberste Grundsatz des Militarismus gelte immer noch: „Wer schneller schießt und besser trifft, bleibt Sieger. Entschlossenes Handeln ist das erste Erforderniss im Kriege“ (Taschenbuch für Wehrerziehung). Kritisches Denken und persönliche Verantwortung sei nicht gefragt. Der Ungeist des Militarismus verpeste die Welt, aber der Militarist und nicht die Pazifistin seien nach dem Strafgesetzbuch besonders vor Beleidigung geschützt.
Rechtsanwalt Wächtler zitiert aus dem Spiegel vom 13. Januar 1986 den Ausspruch des Ranger-Kommandeurs W.B. Taylor: „Unser Job ist es, Menschen zu töten und Dinge zu zerstören … Wir sind Killer, keine Lehrer.“ Der Zeuge Nikolaus B. hielt dagegen: „Mir wird bei der Bundeswehr nicht beigebracht, Menschen zu töten, sondern eine Waffe zu bedienen.“ Er beschwerte sich hin-
sichtlich des potentiellen Mörders auch, dass die Angeklagte ihn auf der Straße nicht gefragt hätte bzw. nicht unterschieden hätte, ob er, wenn er töten müsse, „das dann persönlich oder dienstlich machen würde“. Das Gericht lehnte in der fast sechsstündigen Verhandlung alle Fragen und Be-
weisanträge der Verteidigung ab, die auf die offenkundigen politischen Hintergründe der verbalen Auseinandersetzung zwischen der Feministin und dem Zeitsoldaten abzielten. RA Wächtler erin-
nerte in seinem Plädoyer an die Tradition der deutschen Justiz in der Weimarer Zeit bei der Ver-
folgung von radikalen Pazifisten. Immerhin sei Carl von Ossietzky 1932 wegen seiner Äußerung „Soldaten sind Mörder“ in einem aufsehenerregenden Prozess noch freigesprochen worden.
Amtsrichter Gans schloss sich jedoch dem Antrag des Staatsanwalts an und verurteilte die Ange-
klagte zu einer Geldstrafe von 225.- (bzw. 15 Tagessätze zu 15 DM), weil sie den Zeitsoldaten Niko-
laus B. „auch persönlich angesprochen habe“.
Spion. Zeitung für München 41 vom März 1986, 10.