Materialien 1986

Öffentliche Proben

von Brechts „Legende vom toten Soldaten“ in München,
der Hauptstadt der Bewegung, durch den Übermut der Ämter

Im Kampf gegen das Bitburger Verbot der Aufführung der „Legende“ werden – bis das Bundesverfassungsgericht die Bitburger SS-Gräber-Pfleger eines Besseren belehrt, was Freiheit der Kunst betrifft – öffentliche Proben durchgeführt. In anderen Ländern problemlos, in der Ordnungszelle Bayern und speziell in der Hauptstadt der „Sammelbewegung zur Rettung des Vaterlands“ zum ortsüblichen Sonderangebot an Verschleppung, Dreistigkeit, Gesetzesbiegung, Erzeugung gigantischer Mehrkosten, witzigen Auflagenbescheiden (9 Meter 20 lang) und obligaten Polizeiüberfällen auf Teile der Inszenierung. Die abstrusen Einzelheiten – von der Verweigerung des ursprünglichen Probenortes am Hofgarten und dann am Königsplatz bis zur Notwendigkeit, gleich zwei Proben durchzuführen – sollen erspart bleiben; zitiert werden Auszüge aus den Informationsschreiben an die von den Winkelzügen der Behörden immer wieder verblüfften Kriegsgegner:

„Nachdem uns von den in München für die Verhinderung demokratischer Kunst zuständigen Ämtern (wie Gartenbauamt, Finanzministerium, Kreisverwaltungsreferat) Probeplätze mit einem gewissen artistischen Einfallsreichtum verweigert wurden und man den toten Soldaten in eine tote Ecke verbannen wollte, auf eine einsame Schotterebene im Einzugsbereich des beliebten Väterchens Timofej, entschlossen wir uns, die Auswahl des Probenplatzes dem Narrentreiben, dem Übermut der Ämter, zu entwinden und in die eigenen Hände zu nehmen. Der tote Soldat soll zentral, auf der Theresienwiese, am 30. November 1986 um 15 Uhr, ausgegraben werden.“

Dann wurde doch noch der Königsplatz freigegeben.

„Ob es ein weißblauer Heimatroman mit schwarzen oder anderen Flecken wird, absurdes Theater, Schmierenkomödie, Schelmenroman, Affentheater oder Lehrstück: die Gattungsfrage der Realsatire um die „Legende vom toten Soldaten“ bleibt vorläufig so offen wie die Behörden für alle denkbaren Manöver des freien, ungleichen und geheimen Verwaltungsvollzuges gegen Brecht, den offiziell Gefeierten.

Kaum haben wir uns den Königsplatz freigekämpft, wollen die Proben durchführen, sehen sich die Darsteller zum öffentlichen Striptease gezwungen, weil der Aufmarsch im Kostüm nicht genehm ist. Im letzten Moment entgeht den tausend Zuschauern dieser Verfremdungseffekt, da die Einsatzleitung vor der Selbstbezichtigung als Polizeistaat zurückschrickt und erst später einen künstlerisch wertvollen Polizeiüberfall inszeniert: sowohl auf unsere Ordnungskräfte (zwei zur Aufführung gehörende demokratische Polizisten, die bis zum Abend einen Aufenthalt bei den Kollegen im Präsidium spendiert bekamen), auf Uniformteile des toten Soldaten und speziell auf die Reichskriegs- und Bundesfahne, um die es zu einem realistisch geführten Kampf kam. Ermutigt vom permanenten Abspielen der Nationalhymne entkamen die so unsicheren wie brutalen Polizisten mit einem Bundesadlerfetzen, während den Kriegsgegnern die Fahne verblieb.

Der Versuch, den Zuschauern den Geschmack eines Polizeistaatsschauspiels zu bieten, muss trotz des taktischen Rückzugs und der Fortsetzung der Probe als durchaus gelungen bezeichnet werden. Die Polizei ist eben noch viel anders als die Polizei erlaubt.

Das Stück geht weiter: Die Anmeldung der zweiten Probe auf der Theresienwiese am 30. November 1986, um 15 Uhr, nimmt ihren gewohnten komplizierten Gang, wird zum Spielball zwischen den für Kunst zuständigen Ämtern, während das einschlägig bemühte Stadtgartenbauamt seine Schuldigkeit getan hat:

Kreisverwaltungsreferat
Fremdenverkehrsamt
Bezirksausschuss Schwanthalerhöh’
Wirtschaftsausschuss des Stadtrates u.a.

(Wobei Ausschuss sicher nicht beleidigend gemeint ist.) Ein Bescheid ist noch nicht eingetroffen; erste Probleme mit dem Gesicht des Kohl, das ja tatsächlich eines ist, tauchen auf, das Loch selber wirbelt bereits vor der Grabung Staub auf. Trotzdem: Hanne Hiob wird auf den Stufen unter der Bavaria das Gedicht rezitieren!“

Also geschah es. Nach einem Ämterlauf, gegen den die Odyssee ein Akt der Planmäßigkeit ist. Auch die zweite Probe wurde von einem erfolglosen Polizeiüberfall gekrönt, und man bleibt mit gemischten Gefühlen über zwei erkämpfte Proben und Mehrkosten von Tausenden von Mark als Insasse eines angeblichen Freistaates zurück, bei dem Verfassung und Wirklichkeit schizophren auseinander klaffen, wenn der Wahnsinn nicht Methode hat. Das Nähere regelt das Gesetz der Stärkeren.

Heinz Jacobi
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Die Probe im Schatten der Bavaria …
Eine kleine Chronik

27. Juli 1986: Anmeldung der öffentlichen Probe beim Kreisverwaltungsreferat München. Ort: Hofgarten, Zeit: Heldengedenktag (16. November)

17. Oktober 1986: Die bayerische Schlösser- und Seenverwaltung lehnt ab.

20. Oktober 1986: Widerspruch gegen die Entscheidung der bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung.

22. Oktober 1986: Mitteilung des bayerischen Kultusministeriums über den Wechsel der Kompetenz für das Kriegerdenkmal im Hofgarten zur bayerischen Staatskanzlei.

23. Oktober 1986: Antrag an die bayerische Staatskanzlei.

27. Oktober 1986: Die bayerische Schlösser- und Seenverwaltung leitet unseren Widerspruch an das bayerische Finanzministerium weiter.

30. Oktober 1986: Die bayerische Staatskanzlei lehnt ab.

31. Oktober 1986: Beschwerde beim Kreisverwaltungsreferat: seit 27. Juli kein Bescheid. Anmeldung der öffentlichen Probe am Königsplatz. Zuständig: Kreisverwaltungsreferat und Gartenbauamt der Stadt München.

4. November 1986: Das Gartenbauamt lehnt ab.

7. November 1986: Widerspruch gegen den Bescheid des Gartenbauamts. 12 weitere Plätze werden ersatzweise angemeldet.

10. November 1986: Das Gartenbauamt lehnt die zwölf weiteren Plätze ab.

11. November 1986: Wir melden deswegen an: Eine öffentliche Probe der Legende vom toten Soldaten am Platz der Opfer des Oktoberfestanschlags (Theresienwiese). Mitanmelder sind: Renate Martinez und Ignaz Platzer, beide Opfer des faschistischen Oktoberfestanschlags. Noch am gleichen Tag und keine hundert Stunden vor dem 16. November erhalten wir einen Anruf: Graben am Königsplatz genehmigt …

14. November 1986: Freitag, 14 Uhr, Auflagenbescheid des Ordnungsamts. Rechtswidriger Hinweis: Im Rahmen der Aufführung dürften keine Uniformen getragen werden.

15. November 1986: Das Verwaltungsgericht weigert sich, für eventuell notwendige Entscheidungen am 16. November 1986, 15 Uhr, zur Verfügung zu stehen.

16. November 1986: Tag der ersten öffentlichen Probe.

13.30 Uhr: Die Polizei erklärt: Sie wird keine Uniformen bei der Brecht-Aufführung dulden.

15.00 Uhr: Am Königsplatz. Die Polizei erklärt: Sie wird die Uniformen bei der Aufführung dulden.

16.30 Uhr: die Polizei nimmt die zwei Polizistendarsteller fest – sie würden sich ihr Amt anmaßen.

16.40 Uhr: Die Polizei stürzt sich in die Aufführung und beschlagnahmt das Leichentuch des toten Soldaten. Unbeanstandet gezeigt werden darf: Seine Seite mit der bundesrepublikanischen Fahne. Beanstandet wird: Die Seite mit der Fahne des faschistischen Deutschland. Die beschlagnahmte Fahne wird ihr von hartnäckigen Zuschauern entwunden. Unter dem Eindruck der aufgebrachten Menge zieht sich die Polizei wieder zurück. Stunden später folgt ein kleinlicher Racheakt seitens der Polizei, mit dem sie sich vollends ins Unrecht setzt: sie hält das Auto an, mit dem der Darsteller des toten Soldaten gerade heimwärts fährt, zieht ihn aus dem Auto und beschlagnahmt die Uniform des toten Soldaten.

… und des Oktoberfestanschlags

17. November 1986: 5 Tage zuvor hatte das Kreisverwaltungsreferat erklärt, es werde sich bei der 2. öffentlichen Probe um die Koordination aller zuständigen Stellen kümmern und eine gemeinsame Begehung des Platzes für den 17. November 1986 organisieren. Jetzt weigert sich das Kreisverwaltungsreferat. Denn zuständig sei nun diesmal: das Fremdenverkehrsamt …

20. November 1986: … wobei aber in diesem Fall der Wirtschaftsausschuss der Stadt entscheiden müsse.

Weitere Neuigkeit vom Kreisverwaltungsreferat: der im Gedicht vorkommende „Herr im Frack“ macht Probleme. Herr Kohl müsse seine Maske fallen lassen. Begründung: Vermummungsverbot.

21. November 1986: Erhebliche Unsicherheit beim Kreisverwaltungsreferat: Nicht mehr nur Kohl seine Maske – jetzt soll der „tote Soldat“ sein Leichenhemd (mit Hakenkreuz) und die Polizisten ihre Uniformen fallen lassen (soweit es sich um Darsteller von Polizisten handelt). Belehrt über die grundgesetzlich verbriefte Freiheit der Kunst – für „Brecht statt Strauß“ 1984 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt – verbessert sich der Beamte, die Freiheit der Kunst gelte nur direkt am Grab, nicht aber beim An- und Abmarsch.

23. November 1986: Protesterklärung von Ignaz Platzer. Weitere Protesterklärungen folgen.

24. November 1986: Wir teilen dem Kreisverwaltungsreferat nochmals schriftlich – samt den entsprechenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts – die Rechtslage, die „Polizeifestigkeit“ der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit mit. Ob es noch zur Besinnung kommt?

Am 30. November 1986: Zweite öffentliche Probe in München auf der Theresienwiese!


Dokumentation. Recht ist, was Strauß nützt Rechtsbrüche der CSU im Jahre 1986, München 1986, unpag.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Frieden/Abrüstung