Materialien 1986

Alte Medien oder Die Macht der Gefühle

Für die meisten Münchner hat die Demonstration des Anti-Strauß-Komitees vom 1. Februar 1986 sich nicht ereignet; einige stutzen, dass es nicht zu den allgemein erwarteten Straßenschlachten zwischen ASK und der bewaffneten Macht kam.

Selbst größere Veranstaltungen des ASK nahmen der Presse bislang kaum Platz weg, in den Veranstaltungskalendern etwa kommen die tatsächlich beliebteren Kleintierzüchtervereine oder Sprechstunden der NPD eher zu Wort. Doch auch unsere Demonstration von über 2.000 Menschen fand für das Bayerische Fernsehen, den Rundfunk (doch: als anonymes Verkehrshindernis), für den Münchner Merkur und das Haupt-Lügenblatt grundsätzlich nicht statt, während sonst die obskursten Anliegen von Klein-Demonstrationen ein offenes Ohr und leere Köpfe finden, man war vollauf mit den Problemen von Faschingsbällen ausgelastet:

LÖWEN-BOSS TRANK ZU VIEL MAGENBITTER

und bei den „Damischen Rittern“ gings wie immer hoch her. Ebenso wie die Polizei für die Presseberichte die gezählten Teilnehmer auf 1.000 halbierte, verdoppelte BILD in eben der Ausgabe, die uns verschwieg, 200 Anti-WAA-Demonstranten in Regensburg zu 400 „Chaoten“ einer „Brutal-Demo“, bei der es zugegangen sein muss wie bei der Verfolgung und Ermordung des Walter Wallmann in Frankfurt: sie „brachten das CHAOS nach Regensburg“. Statt des Protestes gegen das Programm Strauß – wobei das Verschweigen vielleicht doch angenehmer ist als polizeiknüppeldicke Lügen – eine devote Verbeugung:

SO IST STRAUSS ALS JET-PILOT

(Um Neugierige zu befriedigen: er ist dabei etwa so zielbewusst wie bei der Konzentration der Rüstungsindustrie auf die Ordnungszelle Bayern. Ein großer Flugzeug-Führer.)

Es ist durchaus nicht so, dass wir gesteigerten Wert auf die Beachtung durch eine fälschende, lügende Presse legten; da aber die Welt durch die Medien erlebt wird, gibt es doch Aufschlüsse, welche Vorurteile, Auslassungen, Verfälschungen Vorgängen angedeihen, die man hautnah erlebte, um den Rest in den Mistblättern besser einschätzen zu können.

Die ‚tz’ versteckt die kleine Meldung – zu kurz für allzuviele Lügen – zwischen einem Raubüberfall, der Nominierung des Abgeordneten Glotz und einer Diskussion mit der „skandalerfahrenen“ „Sex-Autorin“ Constanze Elsner über „Selbstmord“ und betont durch die Überschrift

FRIEDLICH GEGEN STRAUSS

und die erste Zeile „Friedlich verlief …“ ihr bodenloses Erstaunen über den unerwarteten Verlauf einer Kundgebung gegen den Führer einer der größten Friedensbewegungen, da doch immerhin über ein Prozent aller Demonstrationen „unfriedlich“ verlaufen – dank der Mitwirkung der Polizei.

Auch die „Abendzeitung“ („Hört alles, sieht alles, sagt alles“) muss betonen, dass es „ohne Zwischenfall“ zuging – erstaunt, als habe sie selber die albernen Verbotsbegründungen vom Herbst entworfen.

Ungefähr den sechsfachen Raum erhält eine wahre automobilistische Köstlichkeit:

VETERANEN-PARADE AM VOLKSTHEATER

Bildunterschrift: „KÖNIGLICHER PLASTIKBOMBER“: Seinen Lloyd von 1955 hat der Münchner Dieter Penzkofer mit weißblauem Stander und Ludwig II. aufgemotzt. Das Modell links gehört einem Freund.

Darunter klemmt die Demonstrations-Notiz unter der riesigen Titelzeile:

FÜNF RAUBÜBERFÄLLE – DIE TÄTER ENTKAMEN

(Ob direkt zur Demonstration, bleibt offen, wiewohl sich dort genug verdächtige Gestalten in perfekter Zivilverkleidung herumtrieben.)

Die Überschrift

WAA Wackersdorf – 1.000 zogen zum Sendlinger Tor

wird in ihrer Kürze durch nur zwei Fehlinformationen belebt, wobei das geographische Ziel in seiner Unerheblichkeit (Was ist schon viel gegen das Sendlinger Tor außer seiner Nähe zur AZ-Redaktion einzuwenden?) korrekt angegeben ist, dafür aber das Demo-Photo in seiner Undeutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Bei ihrem Nachrichten-Raubüberfall auf die Demonstration des „Anti-Strauß-Komittee“ für unser Widerstandsrecht entkam die AZ mit schwer beschädigter Beute:

… richtete sich der Protest VOR ALLEM gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAA), dem „Haidhauser Polizeiüberfall auf ein friedliches Straßenfest“ (Transparenttext) nach der Anti-WAA-Demo im Herbst und gegen die geplante Meldepflicht für AIDS-Infizierte, wie sie Kreisverwaltungsreferent Gauweiler will.

So gewiss sich die Demonstration auch gegen den Demonstrationsverbieter Gauweiler richtete, so wenig ist uns bewusst, gegen eine geplante Meldepflicht für AIDS-Infizierte demonstriert zu haben, überhaupt haben wir das Bundesseuchengesetz eher vernachlässigt, und selbst ein Tripper Gauweilers ließe uns vergleichsweise unerregt und nicht der Würdigung wert. (Wobei sich allerdings vorstellen ließe, dass ein Gauweiler eine Meldepflicht für AIDS etwas anders behandelt sehen möchte als etwa die für Tuberkulose. Vielleicht lässt sich so das kleine Transparent des Grünen-Stadtrates Gerd Wolter interpretieren: Schwule gegen Staatswillkür.)

Als einzige Tageszeitung hatte die „Süddeutsche Zeitung“ eine Ankündigung der Demonstration gebracht – dass sie NICHT verboten sei – und sie berichtete relativ korrekt und ausführlich.

PROTESTZUG GEGEN DEMONSTRATIONSVERBOT

Zahl der Teilnehmer umstritten / „Haidhauser Polizeiüberfall“

Doch auch sie meinte hervorheben zu müssen, dass die Demonstration „ohne jeden Zwischenfall“ verlaufen sei – womit der Artikel eingeleitet wird – und dass die Polizei „VORSICHTSHALBER STARKE KRÄFTE in Uniform und Zivil aufgeboten“ habe – womit der Artikel ausklingt -, überleitend zur Wiederaufarbeitung des Grundthemas in der Bildunterschrift:

Es kam zu keinen Zwischenfällen.

Ja, so verblüffend verlaufen Demonstrationen des ASK, wenn die Polizei sich friedlich verhält und die Ausübung des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit nicht einschränkt. Die kleine Artigkeit der folgenden, beispielhaften Hervorhebung

Aktiv beteiligten sich an der Aktion ZUM BEISPIEL der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ und der „Kommunistische Hochschulbund“.

ist wohl der Wirkung des Thomas-Mann-Zitates – vorgetragen vom Grünen-Sprecher – zu danken, der Antikommunismus sei die Grundtorheit der Epoche.

Heinz Jacobi


Der Bote Nr. 11. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift, München 1986, 136 ff.

Überraschung

Jahr: 1986
Bereich: Medien

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