Materialien 1987
Zehn Jahre HEi - Rückblick und Ausblick
Im HEi wurde der sperrige Begriff der Eigenarbeit mit Leben gefüllt. Seit 1987 ist im HEi erfahrbar, was darunter verstanden werden kann. Sieben Jahre wurde – mit der nicht nur finanziellen Anschubenergie der gemeinnützigen Forschungsgesellschaft anstiftung - eine beliebte und gut besuchte Einrichtung aufgebaut, die zum Selbermachen anregt. Seit drei Jahren erhält das HEi Fördermittel der Landeshauptstadt München.
Eigenarbeit ist – im Verständnis des HEi und seiner MitarbeiterInnen – die Vision von selbstbestimmter, sinnerfüllter Tätigkeit. Die Eigenarbeitsidee setzt bei den Stärken der Menschen und ihren Kompetenzen an und fördert ihre Eigenständigkeit.
Selbstbestimmte Arbeit jenseits der Erwerbsarbeit geschieht nicht nur in den sieben Werkstätten des HEi. Auch soziale und kulturelle Aktivitäten erhielten und erhalten durch das HEi neue Impulse.
Das HEi bietet seinen BesucherInnen die Möglichkeit, Dinge vermehrt selbst in die Hand zu nehmen. Mit dem HEi wurde der Versuch unternommen, öffentliche Eigenarbeit zu fördern, über das hinaus, was sonst in privaten Wohnungen oder im Keller oder im Haushalt geschieht, bestenfalls unterstützt durch die Hilfe einer Nachbarin oder eines Nachbarn.
Dafür wurde ein Konzept entwickelt, das im Grunde sehr einfach ist:
Zurverfügungstellung einer adäquaten Infrastruktur von Räumen, Werkzeugen und Maschinen und einer Beratung, die den Menschen zugewandt ist.
Konkret wurden Werkstätten für Holz, Metall, Textil, Schmuck, Papier, Keramik und Polstern eingerichtet. Die professionelle Ausstattung und die fachliche Beratung ermöglicht jeder Besucherin und jedem Besucher die Werkstätten benutzen und den ganz individuellen Gebrauchs- oder Kunstgegenstand herzustellen. Kurse führen in die Nutzung der Werkstätten ein.
Daneben bietet das HEi Gruppenräume für soziale und kulturelle Aktivitäten wie Mutter-Kind-Initiativen, ein umfangreiches Kinderprogramm, dient als Stützpunkt für Stadtteilinitiativen und Vereine, Theater-, Tanz- und Musikgruppen. Aufführungen im Cafe (Talenteabende) finden ebenso statt wie regelmäßige Handpuppentheater für Kinder.
Als Treffpunkt im HEi fungiert das „Schrottcafe“, eine Infobörse, ein Platz zum Ratschen, Lesen und Beisammensein.
Unsere Bilanz kann sich sehen lassen: Durchschnittlich 50 aktive Besucherinnen und Besucher verzeichnet das HEi an jedem Öffnungstag. 5.075 Menschen haben die Werkstätten seit Anfang 1989 besucht (Beginn unserer Statistik). Sicher noch einmal genau so viele besuchten Kurse, Gruppen und Veranstaltungen. Eine stattliche Anzahl von Menschen, die sich anregen ließen, Eigenarbeit verstärkt in ihr tägliches Leben einzubeziehen. Denn eins ist sicher: der Umgang und unsere Einstellung zur Erwerbsarbeit ist einem Wandel unterworfen, dem sich immer weniger Menschen entziehen können. Bereitschaft zu Flexibilität und Veränderung sind gefordert, oft mehr als es den Betroffenen lieb ist. Eigenarbeit. ist keine allumfassende Antwort darauf. Sie hilft aber, mit Phasen des Umbruchs und persönlichen Krisen anders umzugehen, schneller wieder Halt und Anschluss zufinden.
Der Erfolg war dem HEi nicht in die Wiege gelegt. Im Gegenteil: Skepsis und Misstrauen überwogen am Anfang. Die Wetten standen gegen das HEi. Im Gründungsjahr 1987 sprach niemand über das Thema „Eigenarbeit“. Die sowieso nur akademisch geführte Diskussion zu diesem Thema war bereits verstummt. Umso erfreulicher, dass heute in Zeiten von Globalisierung und hoher Arbeitslosigkeit selbstbestimmte Arbeit jenseits der Erwerbsarbeit an politischer Bedeutung gewinnt. Unsere Erfahrungen sollen dazu beitragen, Eigenarbeit nicht als Instrument zur Krisenintervention zu begreifen, sondern den starken emanzipatorischen Charakter darin zu entdecken. Es geht nicht um Verzicht und um die Zufriedenheit von Leidtragenden der gegenwärtigen Entwicklung. Eigenarbeit als Baustein einer zukünftigen Entwicklung von Mensch und Gesellschaft könnte die Vision mit Leben erfüllen, die für eine zukunftsfähige Gesellschaft formuliert wurde: selbstbestimmt leben statt viel haben.
Das HEi ist nicht „von unten“ entstanden. Für die im Stadtteil politisch Aktiven war es zunächst ein Fremdkörper, von der damals unbekannten Forschungsgesellschaft anstiftung nach Haidhausen hineingesetzt. Ich hoffe, diese Sichtweise hat sich inzwischen etwas verändert. Die Perspektive des HEi war und ist immer „unten“, möglichst vielen Menschen unmittelbar Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung anzubieten. Im Grunde ein sehr demokratischer, ja basisdemokratischer Ansatz, der über das Tätigsein politische Wirkung entfaltet. Die hohe Akzeptanz der BesucherInnen und die Integration in gewisse Bereiche der politischen und sozialen Stadtteilarbeit bestätigen dies. Die Wahl des Standortes Haidhausen war eher zufällig, weil wir hier nach langem Suchen geeignete Räume fanden.
Bleibt noch übrig, auch über das Geld zu reden. Wir wollten einen möglichst hohen Selbstfinanzierungsgrad erreichen. Herausgekommen ist ein Projekt mit einer hohen sozial und psychisch präventiven Wirkung. Also weit mehr als nur betreute Werkstätten, reduziert auf ihre rein technischen Funktionen. Dieser andere Schwerpunkt braucht mehr Betreuung, braucht KollegInnen, die bereit und in der Lage sind, diese Aufgabe zu übernehmen. Nach unserer Erfahrung kamt man diesen Job ehrenamtlich nur sehr begrenzt ausführen. Die überwiegende Zahl der BesucherInnen zieht einen hohen persönlichen Nutzen aus dem Besuch des HEi. Dies rechtfertigt – sozial gestaffelt – die Nutzungspreise, die soziale Beratungs- und Betreuungsarbeit auch die Zuschüsse von Stadt und Arbeitsamt.
Obwohl das HEi nicht für soziale Zielgruppen konzipiert ist, erfahren viele Kinder, Jugendliche, Arbeitslose, Behinderte und psychisch labile Menschen Anregung, Stärkung und Ermutigung.
Seit 1995 integriert das HEi Langzeitarbeitslose im Rahmen von Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die vom Arbeitsamt unterstützt werden, führt Maßnahmen zur Integration von arbeitslosen Jugendlichen durch, veranstaltet einen wöchentlichen Gesprächskreis zur Zukunft der Arbeit und bietet für diesen Personenkreis auch Einzelberatungen an.
An Münchens politischer Projekte-Basis regt sich wieder etwas. Neue soziale Bewegungen nehmen sich der Zeitthemen an: Die Agenda 21 entwickelt einen Fahrplan in das nächste Jahrhundert, der bargeldlose Tausch organisiert sich im LETS-Verbund, genossenschaftliches Bauen und Wohnen beleben sich wieder neu. Überall ist Eigenarbeit, Eigeninitiative, Kreativität und Selbstverantwortung gefragt. Das HEi bewegt sich in der Schnittfläche zu all diesen Bewegungen. Es ist ein großes Übungsfeld für den Aufbruch ins nächste Jahrzehnt, in dem diese Tugenden mehr und mehr gefragt sein werden.
Die Tatsache, dass das HEi auch nach zehn Jahren noch zu den innovativen Projekten in dieser Stadt zählt, ist aus unserer Sicht das größte Geburtstagsgeschenk, das das HEi sich und seinen BesucherInnen machen kann.
Unser herzlicher Dank gilt der anstiftung, die mit ihrem innovativen Forschungsansatz, zukunftsweisende Ideen in der Praxis zu erproben und damit gesellschaftlich verändernd zu wirken, die Entstehung des HEi erst möglich gemacht hat, und den Politikerinnen und Politikern von Stadtrat und Bezirksausschuss sowie den Vertretern der Verwaltung, die sich von der Arbeit des HEi und seiner Beliebtheit in der Bevölkerung überzeugen ließen.
Wir laden herzlich ein, „Zehn Jahre HEi“ gemeinsam mit uns zu feiern.
München, den 21. September 1997
Kurt Horz, Projektleiter
Haidhauser Nachrichten 10 vom Oktober 1997, 8.