Materialien 1988

Bayern weist ...

mit seinen sogenannten Unterstützungskommandos (USK), die speziell für Demonstrationsbelange, zum Beispiel das Isolieren und Herauslösen des ‘Blocks’ der militanten Demonstranten, den Zugriff auf die ‘Störer’ und die Beweissicherung, ausgebildet und ausgerüstet sind, eine bundesweite Besonderheit auf. Gegenüber normalen Einsatzkräften leisten Beamte der USK länger (und freiwillig) in ihren Einheiten Dienst. Sie können daher auch mehr Einsatzerfahrungen sammeln.

USK-Einheiten gibt es in der Bereitschaftspolizei (Bepo) – in Würzburg ein Zug, in Nürnberg und in Dachau jeweils eine Hundertschaft1 – und in den Polizeidirektionen der Polizeipräsidien München und Mittelfranken. Zusammengerechnet verfügen diese beiden Polizeipräsidien insgesamt jeweils über eine Hundertschaft USK.

USK-Züge gibt es nicht in allen Direktionen, nur in solchen, die sich durch ein besonders intensives Demonstrations- und Einsatzgeschehen in der Vergangenheit ausgezeichnet haben (zum Beispiel bedingt durch Fanausschreitungen an Fußballbundesligastandorten). Die USK der Direktionen sind stärker in das Alltagsgeschäft der Polizeidirektion integriert; sie werden für Sonderaufgaben zu Schwerpunkteinsätzen oder auch ganz normal zur Unterstützung bestimmter Dienststellen abgestellt. Die USK-Beamten der Bepo verbringen dagegen mehr Arbeitszeit mit Übungen; die regelmäßige Fortbildung macht etwa 25 bis 30 Prozent ihrer Wochenarbeitszeit aus.2

Die USK entstanden im Kontext der gewalttätig verlaufenen Auseinandersetzungen um die Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Kernbrennstoffe (WAA) in Wackersdorf Mitte der 80er Jahre. Aufgrund von Problemen der Beweissicherung und der effektiven Strafverfolgung hat der (damalige) Innenstaatssekretär Peter Gauweiler die Einrichtung dieser Einheiten initiiert. Der Auslöser ihrer Gründung war letztendlich die Tötung von zwei Polizeibeamten im Kontext einer Demonstration an der Startbahn West im November 1987.3

Die Beamten der USK durchlaufen eine sechsmonatige Spezialausbildung, in der sie Taktiken des Zugriffs und der Beweissicherung (Foto- und Videographie), und Kampfsporttechniken erlernen, aber auch mit versammlungsrelevanter Rechtsmaterie und psychologischen Kenntnissen vertraut gemacht werden.4 Auf folgende Punkte wird hierbei besonders Wert gelegt:

 Die Beamten der USK sollen frühzeitig erkennen, wo Straftaten drohen oder verübt werden; sie sollen an den Brennpunkten unfriedlichen Geschehens präsent sein.

 Gewaltbereiten Personen soll der ‘Aktionsraum’ entzogen werden.

 Straftäter sollen festgenommen und die Beweise für das Strafverfahren gesichert werden.

 Die Einheiten sollen bereits eingesetzte Polizeibeamte bei der sogenannten Lagebereinigung unterstützen.5

Die USK sollen sich durch ein entschlossenes und kompromissloses Durchsetzen von Anordnungen auszeichnen.6 Zugute kommt diesen Einheiten dabei eine besonders hochwertige Ausrüstung (zum Beispiel Stich- und Schlagschutzwesten) und ein hervorragender Leistungsstandard bei der Selbstverteidigung und der Anwendung des sogenannten „Rettungsmehrzweckstockes“7 , neuerdings auch weniger euphemistisch ‘Mehrzweckeinsatzstock’ (MES) genannt.8 Die Grundform dieses MES, ein Knüppel mit einem auf einem Viertel der Länge des Stocks vertikal angebrachten Griff, stammt von der altjapanischen Kampfsportwaffe Tonfa ab.9 Mit diesem Spezialschlagstock kann nicht nur zugeschlagen, sondern es können auch Schläge abgewehrt und Personen festgehalten werden. Wegen der Unflexibilität des Materials kann ein Schlag mit dem MES tödlich wirken, weshalb nur Spezialeinheiten (SEK, GSG 9, USK), die eine sehr trainingsintensive Ausbildung an dem Stock absolviert haben, mit dem Tonfa ausgerüstet werden (sollen).10

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1 Vgl. Heinz Kiefer „Unterstützungskommando: Konzeption einer Beweissicherungs- und Zugriffseinheit“ in: Bereitschaftspolizei heute, Vol. 23 (3/1994), 122.

2 Vgl. a.a.O., 123.

3 Vgl. Robert Schaffranietz, „Fünf Jahre USK“ in: Bereitschaftspolizei heute, Vol. 22 (7/1993), 347.

4 Vgl. Kiefer a.a.O., 123.

5 Schaffranietz a.a.O., 347.

6 Vgl. a.a.O., 351.

7 Vgl. a.a.O.

8 Einblicke in die vielseitigen Anwendungsbereiche (Abblocken, Entwaffnen, Schlagen, Klettern, Retten etc.) des Mehrzweckeinsatzstockes gibt das Buch Jürgen Wedding/Uwe Claussen, Der Mehrzweckeinsatzstock MES/ Tonfa in der praktischen Anwendung, Stuttgart 1994, in dem die praktischen Anwendung der Waffe mit vielen Fotos illustriert wird.

9 Der Spiegel 43/1990, 141.

10 Reformkommission (Kommission zur Untersuchung des Reformbedarfs in der niedersächsischen Polizei, Arbeitsgruppe für das Untersuchungsfeld 7 ‘Geschlossener Einsatz’). Untersuchungsbericht, Hannover 1992, 65.


Martin Winter, Politikum Polizei. Macht und Funktion der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland, Reihe „Politische Soziologie“, Band 10, Münster 1998, 117 ff.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Bürgerrechte