Materialien 1987
Kirche und Immissionsschutzgesetz
Demonstration des Anti-Strauß-Komitees am Tage vor der Bundestagswahl: gegen Strauß auf dem Münchner Marienplatz. 3.000 Zuhörer werden durch außerplanmäßiges Läuten nachhaltig gestört. Um etwas Leben in die Verwaltung zu bringen, ergeht Anzeige wegen Störung einer genehmigten Versammlung. Die Staatsanwaltschaft, sonst in bestem Verfolgerwahn, lehnt ab. Das Kreisverwaltungsreferat will zusätzlich im Boten vertreten sein und schreibt:
Ruhestörung durch Glockengeläute
HA I/133-888/87
24.3.1987 ha
Sehr geehrter Herr Jacobi,
Ihr Schreiben vom 10.02.86 (richtig wohl 1987) an die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I wurde an das Kreisverwaltungsreferat abgegeben.
Das Läuten der Kirchenglocken aus liturgischen Gründen gehört, nach nahezu unbestrittener Auffassung, zur Religionsausübung. Dem hat auch der Gesetzgeber in Art. 13 Abs. 3 Ziffer 2 des Bayerischen Immissionsschutzgesetzes — BayImSchG — Rechnung getragen.
Danach sind „SCHALLZEICHEN zur RELIGIONSAUSÜBUNG“, d.h. das liturgische Glockenläuten ausdrücklich vom allgemeinen Verbot der Abgabe von störenden Schallzeichen ausgenommen.
Ob durch den Gebrauch der Glocken Störungen hervorgerufen werden, die unzumutbar sind und ein Einschreiten der Verwaltungsbehörde rechtfertigen, kann nur anhand einer konkreten Beurteilung des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden.
Um den in Ihrem Schreiben vom 10.02.87 gemachten Vorwürfen nachgehen zu können, bitten wir um Mitteilung der betreffenden Kirche, da sich in unmittelbarer Nähe des Marienplatzes 3 Kirchen befinden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Im Auftrag
In Anbetracht der behördlichen Pingeligkeit, mit der uns der Gebrauch von Flüstertüten oder gar Lautsprechern beschränkt wird, wird unerbittlich gegen das Polit-Läuten vorgegangen:
Es handelt sich um den Alten Peter, dessen Mesner nach unseren Informationen gewohnheitsmäßig bei „linken“ Kundgebungen auf dem Marienplatz auf Teufel komm raus läutet, so auch — wie in meinem früheren Schreiben erwähnt — außerplanmäßig, ohne liturgischen Zweck als dem der politischen Teufelsaustreibung, durch höllenmäßigen Glockenlärm. Nachdem nun ein weggeworfener Strafzettel zu 30 DM 30 Strafe nach dem Abfallbeseitigungsgesetz führte, wäre auch die akustische Umweltverschmutzung zu ahnden.
Mit vorzüglicher Hochachtung
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Mit der amtlichen Geschwindigkeit war nicht zu rechnen, so platzt das Kreisverwaltungsreferat in den Druck:
15.4.1987
Sehr geehrter Herr Jacobi,
es lässt sich leider zum jetzigen Zeitpunkt NICHT MEHR feststellen, warum die Glocken zu den angegebenen Zeiten geläutet wurden.
Eine Störung der Kundgebung war JEDOCH damit NICHT beabsichtigt.
Um aber in Zukunft derartige Störungen weitGEGHENDS auszuschließen wird Ihnen vorgeschlagen, den Veranstaltungstermin einige Tage vorher dem Pfarramt von St. Peter schriftlich mitzuteilen
Mit vorzüglicher Hochachtung
Unter weitestgehender Vermeidung von Ironie wird das Amt gebeten, eben dieses zu walten und dem Glöckner von Sankt Peter die Flötentöne beizubringen.
19.4.1987
Sehr geehrte Frau Reim,
mit dem indirekten Geständnis des Pfarramtes von St. Peter sind wir nun einen Schritt weiter, wobei es einer gewissen Pikanterie nicht entbehrt, dass einerseits das Läuten letztlich grundlos gewesen zu sein scheint, eine Störung der Anti-Strauß-Kundgebung aber gleichzeitig nicht beabsichtigt gewesen sein soll.
Der früheren Mitteilung war zu entnehmen, es werde nur aus liturgischen Gründen geläutet. Solche liturgischen Gründe müssten sich doch — knapp drei Monate sind doch keine Ewigkeit für eine jahrhundertealte Institution — noch eruieren lassen, um den Verdacht auszuräumen, es lägen eher bodenlos irdische Gründe vor, und von alleine läuten sogar im wundergläubigen Bayern die Kirchenglocken nicht. Die liturgischen Gründe für ein zweimaliges ausgedehntes Läuten zu genau bestimmten Zeitpunkten bitte ich also zu rekonstruieren. Den Verdacht auszuräumen, Kirchenglocken würden aus politischen Gründen zur akustischen Umweltverschmutzung (oder Teufelsaustreibung) missbraucht, sollte doch Aufgabe der Ordnungsbehörde einer umweltbewussten Stadt sein, in der wie gesagt ein weggeworfener Strafzettel (DIN A 6) zur gerichtlichen Verurteilung nach dem Abfallbeseitigungsgesetz führt. Wo die Bräuche so streng sind, kann man sich mit der Auskunft, Glocken hätten aus heiterem Himmel und nicht mehr feststellbaren Gründen mehrfach zugeschlagen, nicht begnügen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Wie schwer es ist, aus Christen eine Wahrheit herauszukitzeln. Obwohl ihre Rede Ja Ja oder Nein Nein sein sollte, ist sie Ignoramus, nicht mehr festzustellen. Man wird weiter sehen. Steter Tropfen höhlt vielleicht auch diesen Stein.
Heinz Jacobi
Der Bote. Sonderband. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift, München 1987, unpag.