Materialien 1987

Offener Brief

Deutscher Freidenker-Verband München

An den Leiter
des Bürgerhauses Ottobrunn
Herrn Burbach
8012 Ottobrunn

Sehr geehrter Herr Burbach,

mit Empörung haben wir aus der SZ erfahren, dass Ihre Bemühungen, das verdienstvolle zeitkriti-
sche Stück von Rolf Hochhuth „Der Stellvertreter“ in Ottobrunn zur Aufführung zu bringen, von der CSU-Fraktion dieser Gemeinde im Zusammenspiel mit dem katholischen Gemeindepfarrer sa-
botiert werden.

Rolf Hochhuth zeigt in diesem Drama, gestützt auf umfangreiche historische Studien, ganz klar das unheilvolle Schweigen des Vatikans und auch des hohen deutschen Klerus zum faschistischen Völ-
kermord an den Juden. Für Papst Pius XII. war der verbrecherische Krieg der deutschen Wehr-
macht gegen die Sowjetunion insofern berechtigt, als sich dieser Ausrottungs- und Eroberungs-
krieg gegen das seiner Meinung nach satanische System des Bolschewismus als des Werks des Antichrists richtete. In dieser verblendeten, von Hass gegen den Sozialismus geprägten Sicht des zweiten Weltkriegs war der Hitlerfaschismus gegenüber dem Sozialismus in der UdSSR das klei-
nere Übel. Deshalb erhob der Papst auch nicht seine Stimme, obwohl er doch damals noch von vielen als moralische Autorität angesehen wurde, und obwohl er von der fabrikmäßigen Ermor-
dung der Juden in den Vernichtungslagern in Polen wusste.

Rolf Hochhuths Stück macht also die verhängnisvolle Funktion des Antikommunismus und Anti-
sowjetismus klar. Damit ist es unserer Meinung nach immer noch aktuell. Für eine Politik der Hochrüstung und der Konfrontation braucht man als ideologische Rechtfertigung das Feindbild der drohenden Gefahr aus dem Osten. Wir Freidenker werten Ihre Absicht, dieses Stück auf die Bühne zu bringen, auch als einen Versuch, gerade in Ottobrunn, wo einer der wichtigsten Rü-
stungskonzerne der Bundesrepublik seinen Sitz hat, politisch aufklärerisch zu wirken.

Die CSU und der katholische Pfarrer haben das klar erkannt und versuchen nun, indem sie Sie diffamieren, dies zu verhindern. Als mehr oder minder offene Vertreter der Rüstungsindustrie unternehmen sie alles, um die geschichtliche Wahrheit, die eine lebenserhaltende Lehre für uns in der Gegenwart bedeutet, zu unterdrücken.

Der Freidenker-Verband als kulturpolitische Organisation der Arbeiterbewegung wird das in seinen Kräften Stehende tun, um auf diesen Skandal in Ottobrunn hinzuweisen und ihn anzu-
prangern.

Wir empfinden Hochachtung vor Ihrem Mut und versichern Sie unserer Solidarität.

Deutscher Freidenker-Verband e.V.
Ortsgruppe München


Freidenkerinfo. DFV Ortsgruppe München vom Mai/Juli 1987, 35.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Religion

Referenzen