Materialien 1987

Das Schulgebet in Bayern - unvereinbar mit dem Grundgesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat am 17. Dezember 1975 entschieden, dass der Art. 135 Satz 2 der Bayer. Verfassung über die „Christliche Gemeinschaftsschule“ („In ihr werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen“) nur gültig sei bei „verfassungskonformer Auslegung“, d.h. der Unterricht dürfe „nicht an die Glaubensinhalte einzelner christlicher Bekenntnisse gebunden sein. Und so verkündete das Bundesverfassungsgericht: „Art. 135 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Bayern … (ist) in der sich aus den Gründen ergebenden Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.“ In einem dieser „Entscheidungsgründe“ geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass „vieles dafür“ spreche, „dass sich die Schulwirklichkeit in den letzten Jahren im Sinne dieser Auslegung entwickelt hat“. Nun setzt die CSU-Mehrheit im Bayer. Landtag im Verein mit dem Kultusministerium alle möglichen Hebel in Bewegung, um das Bundesverfassungsgericht Lügen zu strafen und eine evtl. verfassungskonforme Entwicklung wieder rückgängig zu machen.

Rechtzeitig zum Schuljahresbeginn erreichte die bayer. Schulen ein kultusministerielles Schreiben betr. „Schulgebet und oberstes Bildungsziel ‚Ehrfurcht vor Gott’“. Darin beruft sich das Kultusministerium auf die Landtagsbeschlüsse vom 3. Juli 1986:

a) Die Staatsregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, dass die Möglichkeit des Schulgebetes zum Beginn und am Ende des Unterrichts in allen Schulen regelmäßig genützt wird. Den Schulklassen soll eine Sammlung von Schulgebeten angeboten werden.

b) Die Staatsregierung wird gebeten, darauf hinzuwirken, dass die Erreichung des in der Bayerischen Verfassung ausgewiesenen obersten Bildungszieles „Ehrfurcht vor Gott“ an allen bayerischen Schulen als Prinzip des Unterrichts in verstärktem Maße angestrebt wird. Dabei soll auf eine enge Zusammenarbeit von Eltern, Lehrern, Pfarrern und Diakonen, Katecheten und Schülern geachtet werden …

Zumindest der letzte Satz – die Einbeziehung von Pfarrern etc., nicht etwa nur, was den Religionsunterricht betrifft, sondern wie das Ministerium betont, auch den „übrigen Unterricht“ („die unmittelbare religiöse Unterweisung“ sei sowieso „spezielle Aufgabe des Religionsunterrichts“) – widerspricht klar der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen „verfassungskonformen Auslegung“.

Noch deutlicher wird dies bei den Ausführungen zum Schulgebet. Zwar heißt es hier zunächst: „Mit Rücksicht auf das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit müssen allerdings (!) Schüler und Lehrer frei und ohne Zwänge entscheiden können, ob sie am Schulgebet teilnehmen.“ Doch wehe den Nichtteilnehmern: Die müssen gleich Belehrungen über sich ergehen lassen; ihnen sind „die Bedeutung von Gebet und religiöser Besinnung für gläubige Schüler sowie die Notwendigkeit und den ethischen Wert der Tolerierung religiöser Praxis zu vermitteln “. – Wohlgemerkt: Es handelt sich nicht um Gebete während des Religionsunterrichts, so fragwürdig selbst diese sind angesichts der häufig geübten Praxis, auf Konfessionslose einen mehr oder weniger gelinden Zwang zum Besuch des Religionsunterrichts auszuüben. Nein: in allen Fächern soll gebetet werden („zum Beginn und am Ende des Unterrichts“). Und damit nur ja niemand auf die Idee käme, womöglich gar für etwas Nicht-CSU-Konformes zu beten, werden kultusministeriell abgesegnete Gebete „zum lernmittelfreien Bezug zur Verfügung“ gestellt. Und diese sehen entsprechend aus. Ein Beispiel aus der Gebetssammlung „Beten Singen Feiern“ (Kösel Verlag):

„Lobet den Herrn, denn er ist gut.
Ohne Ende ist seine Liebe.

Er hat uns die Schätze der Erde geschenkt,
Atomkraft, Erdöl und Erze …“

Johannes Glötzner


Mitteilungen der Humanistischen Union 120 vom November 1987, 38.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: Religion

Referenzen