Materialien 1987

Schwärmer und Idealisten ohne Abschreckung

Den politischen und moralischen Niedergang der SPD in bürgerliche Verkommenheit zu beobachten macht auch keinen rechten Spaß mehr.

SPD NEUHAUSEN: „FREISPRUCH“ FÜR PILATUS „SKANDALÖS“

Seinen Unmut über den Ausgang des Parteiordnungsverfahrens gegen das SPD-Mitglied Hans Pilatus hat der SPD-Ortsverein Neuhausen-Oberwiesenfeld in einer Presseerklärung Ausdruck verliehen. Auf dem Unterbezirksparteitag Ende Januar 1986 hatte Pilatus einen Redebeitrag mit den Worten abgeschlossen, „jeder gute Soldat ist ein potentieller Mörder.“

Der Ortsverein Neuhausen-Oberwiesenfeld beantragte daraufhin ein Parteiordnungsverfahren gegen Pilatus, weil „diese öffentlich formulierte und BELEIDIGENDE Feststellung einen groben Verstoß gegen WESENTLICHE Grundsätze der SPD“ darstelle. Die Schiedskommission des Unterbezirks hat Pilatus eine Rüge erteilt, in der Berufungsverhandlung ist sie jedoch von der Bezirksschiedskommission wieder aufgehoben worden. Der Ortsverein hält diese Entscheidung für „SKANDALÖS“.

In einer Erklärung hat sich der Bezirksvorstand von dem Zitat distanziert und „AUSDRÜCKLICH die Mitarbeit von Soldaten in der SPD“ begrüßt sowie darauf hingewiesen, „dass die Soldaten einen vom Grundgesetz vorgesehenen Auftrag für diesen Staat erfüllen“. Soldaten und Wehrdienstverweigerer seien „am Ziel der Erhaltung und GESTALTUNG des Friedens GLEICHERMASSEN orientiert“.

Der Ortsverein halte diese Erklärung für „zu milde“, teilte dessen Vorsitzende Ingeborg Staudenmeyer mit. „LEIDER ist nach der Schiedsordnung der SPD eine weitere Berufung NICHT möglich.“

Süddeutsche Zeitung, Lokalteil vom 18. März 1987

Die SPD – Pilatus, Judas und Clown der Bourgeoisie in einem – wäscht ihre Hände in blutiger Unschuld. Wenn das Grundgesetz es vorsieht, ist Suizid die erste Sozialdemokratenpflicht. Diesen Staat wiederum (und folglich) „mörderisch“ zu nennen, ist freilich streng verboten: mich kostete das eine mörderische Strafe wegen Staatsverunglimpfung. Pikant zudem, dass der Wehrdienstverweigerer für die gleiche Leistung zur Erhaltung und Gestaltung des Friedens einige Monate länger braucht.

So nähert sich die Sozialdemokratie dem höhnischen Kohl-Diktum, die Bundeswehr sei „die größte Friedensbewegung“ (bekanntlich in Konkurrenz mit Turnerbund, Fußballbund und NATO). Immerhin wird bei den Noske-Nachfolgern von den „Wehr“dienstverweigerern – in tatsächlich beleidigender Gleichstellung – positiv gesprochen, während zur gleichen Zeit der Oberstleutnant a.D. Ulbert in einem Leserbrief an die SZ die Wehrkraftzersetzung durch „Schwärmer und Idealisten“ anprangert:

SCHWÄRMER UND IDEALISTEN OHNE ABSCHRECKUNG

… Wir haben das zusätzliche Problem, dass Abwehrwille nicht glaubhaft dargestellt werden kann, wenn einige Bevölkerungsgruppen nicht HINTER den Sicherheitskräften stehen, SONDERN LIEBER, wie es immer wieder vorkommt, etwa durch Sitzblockaden den Zugang zu Kasernen behindern. Es sind LEIDER UNSERE SCHWÄRMER und IDEALISTEN, die durch ihre GEISTIGE HALTUNG auf einen präsumtiven Gegner wenig abschreckend wirken, die DESHALB dafür Mitverantwortung tragen, dass OHNE ATOMSCHIRM Abschreckung nicht mehr glaubhaft vermittelt werden kann …

Ein Hauch von Wehrwille ersetzte also die 4.000 Nuklearwaffen in Westdeutschland. Was wir brauchen, das sind kriegerische Bürger, flink wie Pershings, hart wie Kommißköppe und zäh wie Kohl-Reden. Statt unauffällig zu schwärmen und zu idealisieren, wie es sich gehört, wenn hart im Raume sich die Dinge stoßen und man gerade noch in der harten Wirklichkeit geduldet wird und bereits für größere Aufgaben – als Kanonenfutter – vorgesehen ist, legen sie eine geistige Haltung an den Tag, die auf den präsumtiven Gegner geradezu einladend wirken muss. So wie bekanntlich die Pazifisten Auschwitz erst möglich gemacht haben, zwingen die Sitzblockierer den Atomschirm, gegen den sie demonstrieren, durch ihren Defaitismus erst herbei. Diese Null-Lösung der Logik ist eine faszinierende Sache, wenn sie in handliche Dialektik umschlägt. Frieden durch Abschreckung. Freiheit durch Krieg. Leben im Tode. Angesichts des Ewigen Lebens, deutet der potentielle Geißler an, sollen wir uns wegen des bisschen irdischen Restrisikos nicht so aufführen. Und wer das Schwert zieht, soll ein guter Mann genannt werden.

Heinz Jacobi


Der Bote. Sonderband. Der Martin-Greif-Bote. Die politisch-literarische Zeitschrift, München 1987, unpag.

Überraschung

Jahr: 1987
Bereich: SPD

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