Materialien 1987
König Kronjuwelchen und die Seppl-Partei
Ein altes Märchen
Weit, weit weg hinter großen Bergen, die „Allpennin“ genannt wurden, war einmal ein kleines Königreich. Aus der ganzen Welt kamen die Leute in dieses kleine Land, um dort – wegen der vielen Seen und der netten Menschen – Urlaub zu machen.
In der Hauptstadt dieses Landes namens „Lynchen“ regierte ein vom Volk gewählter König – auch so was gab’s damals schon! -, der den Spitznamen „Kronjuwelchen“ hatte. Der König schwebte über allen Gruppierungen in seiner Stadt und verstand es geschickt, sich Mehrheiten im Parlament zu verschaffen. Am liebsten jedoch hatte er den rosabackenen Seppl und die rotbäckige Gretl zusammen mit dem schwarzen Magier hinter sich. Doch auch mit anderen konnte er zusammenarbeiten, nur mit dem Gärtner wollte er nicht: Der war ihm zu grün hinter den Ohren! Andererseits war die rotbackige Gretl in den Gärtner verliebt. Und weil der Seppl es sich mit seiner Gretl nicht verscherzen wollte, strebte auch er eine Übereinkunft mit dem Gärtner an.
Als wegen einer fürchterlichen Seuche der alte Stadt-Sheriff auf der Karriereleiter eine Stufe nach oben fallen musste und ein neuer zu wählen war, sah der Seppl seine Chance gekommen. Flugs schmiedete er mit dem Gärtner einen Pakt, auch um es einmal dem schwarzen Magier zu zeigen, wer nach dem König der Mächtigste im Lande ist. „Seid ihr alle da?“, rief der Seppl in die Runde, nachdem er alle Mitstreiter seiner SP (= Seppl-Partei) gesammelt hatte. Und wie im Kasperltheater plärrten die rotbackige Gretl und alle anderen Gekommenen „Jaaaaa“ zurück. Auch ein ehemals angesehener königlicher Beamter, der mittlerweile allerdings Hab und Gut verloren hatte, schrie „Jaaaa“.
„Ist jemand unter euch, der nicht unseren Kandidaten zum neuen Sheriff wählen wird?“, fragte der Seppl als zweites. Und da herrschte Schweigen in der Runde. Ein peinliches Schweigen! Denn alle wussten, der verarmte ehemalige Beamte, der selber so gerne Sheriff oder zumindestens Hilfs-Sheriff werden wollte, würde ihren Kandidaten nicht wählen. Und alle wussten auch – weil es doch auf jede Stimme ankam! -, dass der Seppl dem verarmten Beamten schon lukrative Posten angeboten hatte. Nur halt als Sozial-Sheriff war – da beharrte die rotbackige Gretl eisern darauf – eine Frau vorgesehen.
Und weil es alle SP-Ratsmitglieder wussten, bekam es auch der schwarze Magier mit. Und der Gärtner wusste es und auch der König. Letzterer versuchte deshalb zu retten, was noch zu retten war und konstruierte eine oft bewährte Verräter-Theorie: Der Mörder ist immer der Gärtner. Die Sheriff-Wahl ging dann erwartungsgemäß für die Seppl-Leute den Bach hinunter: Mindestens drei Stimmen aus dem Seppl/Gärtner-Lager hatten letztendlich gefehlt. Und weil die Gärtner-Leute so schlau waren und (im nachhinein für ungültig erklärte) Jesus-Kreuze auf ihre Stimmzettel gemalt hatten, mussten die „Verräter“ aus der Seppl-Fraktion kommen.
War das dann ein Hauen und Stechen und ein „Verräter“-Suchen. Vor allem die einfachen SP-Mitglieder in Lynchen, die von dem lustigen Treiben ihrer Rats-Mitglieder nichts wussten, waren stocksauer. Zuerst natürlich nur auf die „Verräter“. Aber als mit der Zeit dann die wahren Zustände in der SP-Ratsfraktion ans Licht kamen, übersetzten die Parteimitglieder „SP“ spöttisch mit „Selbstbedienungs-Partei“. Außerdem schworen sich einige von ihnen, bei der nächsten Kandidaten-Aufstellung keine der bisherigen Ratsmitglieder mehr zu berücksichtigen.
Aber da es bis zur nächsten Wahl noch mehr als tausend Tage waren, vergaßen die meisten bald wieder ihren Ärger. Und auch der schwarze Magier, der schon insgeheim frohlockt hatte und sich schon als neuen König sah, war bas erstaunt, wie sich die Seppl-Partei nach dem Motto „Totgesagte leben länger“ am eigenen Schopf wieder aus dem Schlamassel zog. Und deshalb gilt auch hier der bewährte Märchen-Schluss: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute …
Wolfgang Peschel
Wir. DGB Kreis München, 3 vom November/Dezember 1987, 3.