Materialien 1988

Meinungsfreiheit und Zensur in Bayern

Unerhörtes und Bemerkenswertes hat sich letzten Freitag ereignet:

Zuerst hat das bayrische Innenministerium „seinen Schwanz eingezogen“, wie das Kreisverwaltungsreferat zutreffend erkannte, als um ein neuerliches Versammlungs- und Veranstaltungsverbot, diesmal gegen die notorischen Trittbrettfahrer der stalinistischen Vorfeldorganisation Anti-Strauß-Komitee, gefeilscht wurde. Und dann hat eine Bundesratsmehrheit mit der Stimme der rheinland-pfälzischen Landesregierung gegen die geplante Einführung des Paragraphen 130 b StGB votiert.

Bemerkenswert insofern, als trotzdem der Rest des Paketes von Zimmermanns Sicherheitsgesetzen, mediengerecht und massenwirksam aufgehängt an den Ereignissen vom 2. Januar 1987 an der Startbahn West. Eben …

  • strafbewehrtes Vermummungsverbot
  • befristete Kronzeugenregelung
  • bußgeldbewehrtes Kooperationsgebot im Vorfeld von Versammlungen

problemlos das Ländergremium passieren konnte. Bemerkenswert insofern, als besagter § 130 b weitgehend unerkannt von der kritischen Öffentlichkeit natürlich noch längst nicht vom Tisch ist.

Unerhört, worum es im Klartext geht:

Das Justizministerium sagt: „Die vorgesehene neue Strafvorschrift § 130 b soll Lücken im Strafrechtsschutz vor gewaltbefürwortenden Äußerungen schließen.“ In den Sprachcode der Juristen übersetzt heißt das dann:

§ 130 b
Befürwortung von Gewalttaten

(1) Wer eine Schrift (§ 11 Abs. 3), die die Begehung einer in § 126 Abs. 1 genannten rechtswidrigen Tat befürwortet und nach ihrem Inhalt bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, durch die Begehung einer solchen Tat den öffentlichen Frieden zu stören, verbreitet, öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Mit bis zu drei Jahren Knast sollen also Äußerungen in Flugblättern, Zeitungen oder Versammlungen bestraft werden, in denen der Polizei- und Justizapparat die Befürwortung von Straftaten ahnt, wittert, deutet oder interpretiert.

Es liegt auf der Hand, gegen wen oder was diese Norm zuerst und unmittelbar zielt: Gegen diejenigen Gruppen und Teile des Widerstandes, die radikale politische Inhalte nicht unbedingt losgelöst von entschlossenen, vermittelbaren und zielgerichteten Handlungsansätzen verbreiten. Solche Diskussionen werden dann ausschließlich auf die konspirative Ebene verbannt, mit dem Effekt, dass natürlich auch die störenden (heutzutage heißt das anschlagsrelevanten) Themen liquidiert werden.

Jede Auseinandersetzung über Ziele und Grenzen von Protest und Widerstand soll damit unterbunden werden.

Diese strafbedrohte Zensur der öffentlichen Meinungsbildung öffnet auch einer ungeahnten Beliebigkeit ein (riesiges) Scheunentor: Die Befürwortung – verfolgt wird nicht ein Tatbestand, sondern eine Gesinnung – ist derartig schwammig, breit gefächert und leicht anzusiedeln, dass letztlich jegliches, den legalistischen Rahmen überschreitendes Verhalten bereits im Entstehungsstadium jederzeit und problemlos getroffen und unterbunden werden kann. Sie ist eine in dieser Intention griffige Rechtsgrundlage, um Kritik, Opposition, Protest und Widerstand im Kern maßzuregeln und präventiv und repressiv unliebsame Meinungen zu eliminieren.

Nachdem dieses Gesetzesvorhaben nur ein Moment ist im Zimmermannschen Sixpack der Vermummungsverbote, Kronzeugenregelungen, Vorbeuge- und Schutzhaftandrohungen, nachdem auch dieses im wahrsten Sinne des Wortes unverschämte momentan aktuelle Counter-Paket nur eine sicherlich vorläufige Zwischenstation ist bei dem seit 1974 durchgepeitschten und vermutlich noch länger in den Schubladen der Schreibtischtäter konzipierten Globalangriffes auf die existentiellen Freiheiten der Meinungsäußerung, die ja ursprünglich den Bürger vor dem Staate und nicht umgekehrt schützen sollte. Nach 20 Jahren innerer Hochrüstung und präventiver Konterrevolution scheint also die staatliche Gewalt-, Kontroll- und Überwachungsfähigkeit mittlerweile ein Ausmaß erreicht zu haben, das vielleicht abgesehen vom deutschen Faschismus, einmalig ist.

Dieser Angriff wird nicht erst vorbereitet, er ist längst und immer wieder – sozusagen contra legern – geläufige Praxis. Wie so oft, wen wundert es noch ernstlich, nimmt das polizeistaatliche und ordnungspolitische Projekt Bayern in diesem Zusammenhang eine Pilotfunktion ein. Was die Zentralgewalt in Bonn in ihren Gesetzesverschärfungen grundgesetzlich radebricht, ist in München längst vorexerziert:

Gutes Beispiel ist hier die Verbotsbegründung für die Tour de Terror seitens des Kreisverwaltungsreferates, die dann später ja auch vom Verwaltungsgericht übernommen wurde, in der u.a. aufgeführt wurde: „Diese Äußerungen … enthalten insbesondere in ihrem Gesamtzusammenhang die Aufforderung zu, bzw. die Billigung von strafbaren Handlungen durch Befürworten von Gewalt.“ Argumentiert wird also fast mit einem noch gar nicht eingeführten Straftatbestand, dem § 130 b.

Solche juristischen Taschenspielertricks waren noch gar nicht einmal nötig bei der Kriminalisierung der Münchner anarchistischen Zeitschrift FREIRAUM. Es sprengt hier glatt den Rahmen, sämtliche Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmeaktionen und meist nach einiger Zeit eingestellten Verfahren gegen RedakteurInnen und WiederverkäuferInnen, z.B. Buchläden, aufzulisten. Festzuhalten bleibt, dass Staatsschutz und Justizapparat kaum eine auch noch so absurde und hanebüchene Gelegenheit ausgelassen haben, in vier Jahren bald jede Ausgabe des FREIRAUM einzuziehen, und mit einem Verfahren nach § 129 a, dem 1987 auf die klassischen Delikte der Anti-AKW-Bewegung und auch Martin Luther Kings erweiterten Terror-Paragraphen zu überziehen. Genauso sprengt es den Rahmen, die Repression gegen jugendeigene Zeitungen in der Stadt und gegen Alternativblätter auf dem Land aufzuzählen.

Nur selten laufen die Zensurmechanismen heute noch so offen und ungeschlacht ab wie im Falle des FREIRAUM – vielleicht ein nostalgischer Luxus? Denn sehr wohl wägen die Ordnungs- und Genehmigungsbehörden und -gremien ab zwischen der unverhohlenen Eskalation der Repression und der präventiv geschalteten Verhältnismäßigkeit der Vereinnahmung.

Diese Automatismen stehen modellhaft für die Geschichte fast aller Versuche konsequenter Gegenöffentlichkeit, die sich mehr oder weniger bewusst der Kontrolle der Apparate entziehen will. Gleichzeitig greifen aber auch innerhalb der bürgerlichen, vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien, Mechanismen der Selbstzensur, die bald jedweden nur störenden, kritischen Ansatz in den Papierkorb wandern lassen. Mehr Scheren im Kopf als Tasten auf der Schreibmaschine verhindern in vorauseilendem Gehorsam engagierte Berichterstattung von vornherein.

Mittlerweile klassisch: Ideologisch verbrämt wird die institutionalisierte Selbstzensur mit dem verlogenen Motto der Ausgewogenheit. Mit dieser Erfahrung ist in Bayern seit 15 Jahren noch jedeR SchülerzeitungsredakteurIn getrimmt worden: Wer sich den Spielregeln widersetzt, verliert das Recht, gehört zu werden.

Je krasser nun die Kommunikation der vereinsamten Massenmenschen in den Metropolen über die Medienapparate abgewickelt wird, je stärker diese Apparate dann auch noch vom Staat funktionalisiert und beherrscht werden, umso massiver manipulieren die Massenmedien natürlich die vom Einzelnen aus zweiter Hand erfahrene Realität.

Wirklichkeit wird verordnet. Pressefreiheit ist heute längst nicht mehr die Chance unabhängiger Gazetten auf freie Berichterstattung, sondern reduziert sich auf die Freiheit von Springer, Berlusconi, Kirch und Konsorten, sich in Monopolen zusammenzuschließen und die Übertragungsrechte für die Bundesligaspiele untereinander zu verchecken. Wir dürfen dafür zwischen Radio Gong 2000 mit Werbung, den ungeheuer aufregenden Nachrichten in einem Satz und von der Musikuhr nivellierten Hitkonserven schale, abgestandene gute Laune konsumieren. In der verordneten Wirklichkeit sind Information und Unterhaltung Ware und werden eben ihren Warencharakter garantiert nicht reflektieren oder gar in Frage stellen.


Dokumentation „Münchner Freiheit“ , Juli 1988, 10 ff., Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Bürgerrechte

Referenzen