Materialien 1988

Aufruf für eine Veranstaltung „Münchner Freiheit“

Am Bauzaun der WAA in Wackersdorf gilt seit zwei Jahren ein administratives Demonstrationsverbot, das erst kürzlich anlässlich des 2. Tschernobyl-Jahrestages gerichtlich bestätigt wurde.

Bei den Herbstaktionen 1987 in der Oberpfalz wurde diese Verbotspraxis auf Versammlungen ausgedehnt, die in geschlossenen Räumen stattfinden sollten. Diese „Bayerische Linie“ mit Ursprung in München hat die Anti-Atom Bewegung ins Fadenkreuz genommen.

Während bisher vorwiegend Veranstaltungen von radikaleren Gruppen zu Themen wie politische Gefangene oder Palästina von Verboten betroffen waren, wird jetzt versucht, den AtomkraftgegnerInnen die Durchführung von Veranstaltungen unmöglich zu machen.

So konnte die Versammlung zu Versammlungsfreiheit und Widerstandsperspektiven mit dem satirischen Titel „Tour de terror“ am 9. März 1988 nicht stattfinden. Der vorläufige Höhepunkt der Verbotspraxis ist die Verhinderung der Kurdistan-Veranstaltung am 5. Mai 1988 durch die Polizei. Obwohl diese Veranstaltung vom zuständigen Kreisverwaltungsreferat unter aberwitzigen Auflagen ( so hätte der Veranstalter nicht auftreten dürfen) zugelassen worden war, wies das Innenministerium die Regierung von Oberbayern an, die Versammlung zu verbieten. Das Verwaltungsgericht München hob dieses Verbot jedoch sofort auf. Dies hinderte die Polizei nicht daran, die Versammlungsteilnehmer in Gewahrsam zu nehmen und den ausländischen Wirt des „Haidhauser Bürgersaals“ durch massiven Druck dazu zu bringen, den Mietvertrag zu brechen. Auch Versuche, die Versammlung zu verlagern, wurden unterbunden.

Die Erfahrungen der letzten Zeit zeigen, dass Innenministerium und Kreisverwaltungsreferat sich nicht scheuen, auch noch so rechtswidrige Mittel anzuwenden: Persönliche Bedrohung der Wirte mit gaststätten- oder ausländerrechtlichen Konsequenzen, Verleitung zum Vertragsbruch gehören längst ebenso zum Repertoire wie Maßnahmen der Bau- und Feuerpolizei.

Die Polizei setzt sich mittlerweile sogar über gerichtliche Urteile hinweg, was einer Aufhebung der Gewaltenteilung gleichkommt. Aufhebung der Gewaltenteilung ist jedoch ein wesentliches Merkmal totalitärer Staaten.

Es geht nicht nur darum, Veranstaltungen zu bestimmten Themen zu verhindern, es geht auch darum, missliebige politische Gruppen völlig von der Bildfläche und damit aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verdrängen. Gelingen kann dies aber nur, wenn gleichzeitig die Bewegungen durch Hetzkampagnen und den Aufbau von internen Feindbildern in sich gespalten und einzelne Gruppen politisch isoliert werden. Wird diesen Gruppen dann die Möglichkeit zur öffentlichen Artikulation genommen, soll damit jede Solidarisierung endgültig verhindert werden.

Einigkeit müsste da herrschen, wo staatlicherseits bürgerliche Freiheiten eingeengt werden, Solidarität müsste da sein, wo Gruppen in ihrer politischen, sozialen und kulturellen Existenz vernichtet werden sollen. Letztlich trifft die Beschneidung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht nur die sozialen Bewegungen, sondern jeden einzelnen Bürger.

Bleiben wir dabei, dass wir die Diskussion um Protest, Widerstand und gemeinsames Vorgehen auch gemeinsam führen müssen. Nach juristischen Schritten, Unterschriftensammlungen, Demonstrationen, direkten Aktionen stellt sich heute mehr denn je die Frage, wie der Widerstand gegen Atomkraft und WAA weitergeführt werden soll.

Trotz der politischen Erfolge der Anti-AKW-Bewegung und obwohl inzwischen die Mehrheit der Bevölkerung gegen Atomenergie ist, wurde noch kein AKW aus diesem Grunde abgeschaltet, geschweige denn der Bau der WAA gestoppt.

Die Entwicklung neuer Ideen und Handlungsansätze ist daher geboten. Die Perspektive im Kampf gegen das Atomprogramm kann daher nur in der gemeinsamen Auseinandersetzung gefunden werden, in der Überwindung von Distanz und Konkurrenz untereinander.

Wenn Versammlungen verboten werden, müssen wir uns versammeln. Wenn Demonstrationen verboten werden, müssen wir demonstrieren Wenn freie Meinungsäußerung verboten wird, müssen wir uns dazu frei äußern.

Wenn Menschen aufgrund solcher Verbote bestraft werden, müssen wir deutlich machen und solidarisch dafür eintreten, dass die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit selbstverständlich und keinesfalls ein Zugeständnis des Staates ist.

Unterstützeraufruf

Die Veranstaltung „Münchner Freiheit“ muss stattfinden Es kann nicht angehen, daß über Versammlungsverbote nicht mehr berichtet, über Widerstandsperspektiven nicht mehr diskutiert werden darf. Wenn wir vielleicht auch nicht mit jedem einzelnen Beitrag dieser Veranstaltung einverstanden sein werden, wissen wir doch: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Ohne Diskussion gibt es keine verwirklichte Demokratie Wir unterstützen die Bemühungen des Anti-Atom-Plenums um Durchführung einer Veranstaltung zu den Themen Widerstandsperspektiven und Versammlungsfreiheit. Damit uns bei den Worten „Münchner Freiheit“ mehr einfällt als ein hässlicher Verkehrsknotenpunkt mitten in Schwabing.


Archiv Reader 2 vom Mai/Juni 1988, 42 ff.