Materialien 1988
Versuch einer Einschätzung der Projekte „Tour de Terror“ und „Münchner Freiheit“
Im Anschluss an die Herbstaktionen in Wackersdorf 1987 hatten wir aufgrund der Erfahrungen (versuchte Zerschlagung des Festes am 2. Oktober in München, zweimaliges Abräumen des Plenum am 8./9. Oktober in Wackersdorf) beschlossen, die Versammlungsfreiheit für uns wie für alle anderen zurückzugewinnen. Das Projekt Tour de Terror entstand und scheiterte erst einmal, weil wir
▒ einen falschen Titel gewählt hatten,
▒ die Plakatgestaltung zu aggressiv war,
▒ das Flugblatt in Anschauung der Startbahnereignisse zu radikal formulierten,
▒ juristisch keine optimale Vorbereitung gewährleisteten,
▒ das Unterstützergruppenkonzept zu wenig umgesetzt wurde,
▒ als Gruppe zu schwach waren, mit dem Verbot vom 9. März umzugehen.
Anders ausgedrückt: Wir haben es ihnen leicht gemacht, das Veranstaltungsverbot gegenüber Leuten wie Öffentlichkeit zu vermitteln. Wir haben versäumt, das Unterstützerkonzept auch wirklich zum Tragen zu bringen, um so im Verbotsfalle wirksam in die Öffentlichkeit zu dringen. Fraglich bleibt, ob das radikale Konzept, das sich besonders in Aufruf und Plakatgestaltung ausdrückte, in der Zeit vorher den anderen Gruppen überhaupt rübergebracht werden konnte. Die relativ erfolgreichen Herbstaktionen ’87 (Bündnispolitik etc.) führten zu der falschen Einschätzung bezüglich der Münchner Situation. Das gewollte Gegensteuern gegen das staatliche Pogrom nach den Startbahnschüssen war zwar inhaltlich richtig, den anderen Gruppen aber nicht vermittelbar.
Trotz einer hervorragenden Pressearbeit waren wir nicht in der Lage, auch nur ansatzweise ein Presseecho zu erreichen. Was allerdings erreicht wurde durch mehrere Presseerklärungen, Einzelgespräche mit Presseleuten, dem Reader und die Dokumentation war eine Sensibilisierung der Presse. die aufmerksamer war und spätestens bei der Genveranstaltung am 7. Juni 1988 dem Thema nicht mehr ausweichen konnte.
Entscheidend nach dem vorläufigen Rückschlag nach der Tour de Terror war, dass wir auch öffentlich Selbstkritik übten, kollektiv die Verantwortung übernahmen und uns nicht durch gegenseitige Schuldvorwürfe zerstritten. Wichtig war fast allen an der Nachbesprechung teilnehmenden Leuten, gleich wieder eine Veranstaltung mit den gleichen Inhalten vorzubereiten. Die neugegründete Vorbereitungsgruppe zur Münchner Freiheit, anfangs mit nur wenigen Leuten der LIGA, brachte neue Leute und frischen Elan. Die Gruppe war in der Lage, die Versäumnisse der Tour de Terror-Vorbereitung bezüglich anderer Gruppen nicht zu wiederholen, ein neues Veranstalter- und Unterstützerkonzept wurde konsequent durchgezogen. Es gelang. die Problematik Versammlungsfreiheit und neue, radikale Inhalte zu vermitteln.
Parallel dazu liefen die Vorbereitungen zur Genveranstaltung. Das Unterstützergruppenkonzept wurde hier ebenfalls durchgesetzt. Der Sprecherrat der LMU stellte Raum und Veranstalter. die rechtliche Betreuung war garantiert, und das Flugblatt der Situation angemessen formuliert.
Anlässlich der Genveranstaltung und der Veranstaltung und Demo des Anti-Strauß-Komitees am 8. Juli brach der seit der Kurdistanveranstaltung schwelende Konflikt zwischen Innenministerium und Kreisverwaltungsreferat offen aus. Das KVR machte deutlich, dass es nicht länger gewillt war, sich vom Innenministerium gängeln zu lassen, liberal verbrämt als Fortführung der alten „Münchner Linie“. Für die Münchner Freiheit hatte der Streit die Folge, dass das KVR keinerlei Verbotsabsichten mehr hatte, das Innenministerium keine Vorwände, das politische Klima innerhalb der Verwaltungen zerrissen und gegensätzlich, und die öffentliche Meinung auf unsere Seite übergeschwenkt war. Die Veranstaltung war politisch durchgesetzt.
Insgesamt können wir feststellen. dass es uns durch achtmonatige, konsequente und kräfteverschleißende Arbeit gelungen ist, das Versammlungsrecht für uns und andere politisch durchzusetzen. Diese Durchsetzung wird auch in Zukunft anderen Gruppen helfen, die allerdings zugegebenermaßen einigermaßen professionell und bündnisfähig sein müssen, was für die Zukunft allerdings nicht heißen darf, bei jeder Veranstaltung ein riesiges Bündnis zu schmieden. Das wollen wir gerade nicht. Es werden alle linken, radikalen Gruppen bei der Vorbereitung von Veranstaltungen strikt drauf achten müssen, dem Innenministerium keinerlei Vorwände für ein Verbot zu liefern. Als einzige werden wohl nur die „Anti-Imps“ wegen § 129 StGB und Rebmanns generellem Zerschlagungsinteresse nicht davon profitieren. Das ist bedauerlich, trotz erheblicher politischer Differenzen, denn unser erklärtes Ziel war und ist immer noch, die Versammlungsfreiheit für alle linken Gruppen zurückzugewinnen, auch wenn wir deren Meinung nicht teilen.
Seit dem Verbot der Zunfthausveranstaltung hat das Innenministerium, Gauweiler persönlich, und teilweise zusammen mit dem KVR erfolgreich versucht, Versammlungen aus der radikale Ecke zu zerschlagen. Die jetzt erreichten Erfolge heißen nicht, dass Gauweiler Ruhe geben wird, er wird mit alten und neuen Mitteln versuchen, die Verbotspraxis durchzusetzen. Bei der Befragung des obersten Verfassungsschützer namens Schwindel gab dieser öffentlich zu, worum es Ihnen im Endeffekt geht, und was wir seit langem behaupteten: Über Thematiken, die letztlich als anschlagsrelevant gelten, darf nicht öffentlich gesprochen werden.
Das KVR mit Uhl an der Spitze hat lange Zeit eigeninitiativ oder partizipierend die Verbotspraxis mitgetragen bis zu einem Punkt der vollkommene Bevormundung, aber auch mit einer sensibleren Beurteilung der Situation Münchner Gruppen. Wenngleich sie wohl keinen Aufruhr befürchten, so haben sie doch mitgekriegt, dass die Hau-Drauf-Methoden Gauweilers Solidarisierungseffekte auslösen. Zudem entging ihnen nicht, dass die Öffentlichkeit auf die offensichtlich rechtswidrige Verbotspraxis aufmerksam geworden war und bei nicht rechtzeitigem Umschwenken das Ansehen des KVR hätte Schaden erleiden können. Das allein erklärt Uhls Stimmungswandel, der ihm zusätzlich einige Profilierung mit Blick auf zukünftige Bürgermeisterwahlen bringen konnte.
Für uns gilt es das Eroberte zu verteidigen und, wenn möglich, weiteres Terrain zurückzugewinnen, nicht um seiner selbst willen, vielmehr, um über inhaltliche, radikale Themen Handlungsfreiräume und Handlungsansätze zu schaffen, die den Leuten klarmachen, dass Politik auch Spaß machen kann und etwas erreicht und durchgesetzt, sprich verändert werden kann. Grundlagen für eine konstruktive Zusammenarbeit mit anderen Gruppen sind geschaffen, sie müssen aber schon im Herbst (wieder Wackersdorf) neu angegangen und intensiviert werden. Vernetzung und Schaffung einer handlungsfähigen Szene sind dringend geboten.
Fazit?: Schaffung einer Szene ’89 für einen
Widerstand 2000.
Dokumentation „Münchner Freiheit“ , Juli 1988, 84 ff., Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.