Materialien 1988

Polizei überfällt „Cafe Normal“

Nach dem ersten Prozesstag des laufenden § 129a-Prozesses gegen Wolli und Janin, an dem 150 Leute gekommen waren, gingen ein Großteil der Besucher gemeinsam zum vorher bestellten Mittagessen in das „Cafe Normal“ in der Kreitmayrstraße. Unterwegs wurde von den Prozessbe-
suchern auch ein Transparent entrollt. Die Polizei begleitete diesen Zug mit sechs Uniformierten. Diese schritten aber nicht ein. Erst als die Teilnehmer bereits beim Mittagessen saßen, riegelte die Polizei mit mindestens einer Hundertschaft die ganze Straße ab und stürmte u.a. mit USK-Beam-
ten die Szenekneipe. Dabei wurde z.T. das Mobiliar zerstört, einige Leute wurden verletzt. Alle wurden einer eingehenden Personenüberprüfung unterzogen, sieben Leute wurden vorübergehend festgenommen. Als Begründung wurde von der Polizei bisher lediglich bekannt gegeben, dass es sich beim „Cafe Normal“ um einen „verrufenen Ort“ handle, in dem es der Polizei nach Polizei-
aufgabengesetz jederzeit möglich sei, die Personalien aller Anwesenden festzustellen. Kreisverwal-
tungsreferent Uhl und Oberbürgermeister Kronawitter mussten auf eine Anfrage der Grünen/ALM im Stadtrat zugeben, von der Polizeiaktion nicht unterrichtet worden zu sein. Vom Kreisverwal-
tungsreferenten musste auch zugegeben werden, dass das „Cafe Normal“ bisher nicht als „verrufe-
ner Ort“ bekannt war. In einem am nächsten Tag an die Anwohner/innen der Kreitmayrstaße ver-
teilten Flugblatt sprechen Betroffene des Polizeiüberfalles von einem Versuch, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht faktisch außer Kraft zu setzen. „Der Zweck der Polizeiaktion ist die systematische Ausschaltung und Zerschlagung der Öffentlichkeit zu dem gestern begonnenen Prozess“, heißt es. Gegen weitere Übergriffe während des noch mindestens drei Wochen dauernden Prozesses wollen sich die Betroffenen zur Wehr setzen. Rechtsanwälte bezeichneten in einer Presseerklärung das polizeiliche Vorgehen als Hausfriedensbruch und als Sachbeschädigung.

(chI)


Münchner Lokalberichte 16 vom 21. November 1988, 2.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Bürgerrechte

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