Materialien 1988

Bayerisches Recht im Inneren Notstand

Amtshilfe, Präventivhaft, Fotoklau – die WAA machts‘s möglich

Von Wolfgang Johann

Michael Andreas Butz, Sprecher von Bundesinnenminister Zimmermann, musste schon juristische Feinstarbeit leisten, um seinem PR-Auftrag gerecht zu werden. Den Journalisten der Bundespres-
sekonferenz machte er klar, was so klar nicht ist: „Verfassungsrechtlich ist eine logistische Unter-
stützung der Polizei durch die Bundeswehr durchaus möglich. Das Grundgesetz schließt lediglich eine operationale Hilfe aus.“ Dass die so säuberlich wirkende Trennung von logistischer und opera-
tionaler Unterstützung im Grundgesetz nicht vorkommt und auch praktisch nur schwer einzuhal-
ten ist – wen stört das schon, wenn es darum geht, zu verharmlosen? Dabei ist der Punkt, um den derzeit ein heftiger Disput geführt wird, alles andere als harmlos. Kernfrage: Darf die Polizei bei Großdemonstrationen auf Versorgungseinrichtungen und technisches Material – Transporter, Hubschrauber, Sanitätspanzer und Unterkünfte – der Bundeswehr zurückgreifen?

Grundlage für den juristischen und politischen Streit ist ein jetzt bekannt gewordenes Amtshilfe-
abkommen zwischen dem Bundesinnenminister und dem Bundesverteidigungsminister aus dem Jahre 1981. Danach können die Länderregierungen von der Bundeswehr „logistische Unterstüt-
zung“ bei „gewalttätigen Großdemonstrationen“ anfordern. Damals war es der Bau des Atomkraft-
werkes Brokdorf, der zur polizeilichen Durchsetzung anstand – heute ist es der Bau der Wiederauf-
arbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. Eigens für den Kampf gegen die „kriminellen Chaoten“ am Bauzaun in Wackersdorf versicherte sich nun Bayerns Innenminister August R. Lang der Amts-
hilfe der 4. Panzergrenadierdivision in Regensburg. Die Soldaten gaben ihr Okay: Falls gewünscht, könne man mit Sanitätspanzern und Hubschraubern für „Transport und Aufklärung“ aushelfen.

„Der Notstand ist ausgerufen“, so kommentieren die Grünen im Bundestag den geplanten Gleich-
schritt von Länderpolizei und Bundeswehr. Der Einsatz von Bundeswehreinheiten für polizeiliche Aufgaben sei auch dann verfassungswidrig, argumentieren sie, wenn es sich dabei um ein Amtshil-
feabkommen zum Einsatz von Sanitätspanzern handle. Die Grünen befürchten: „Erst kommen die Panzer, dann die Soldaten.“

In der Tat ist laut Grundgesetz der Einsatz der Streitkräfte nur in bestimmten Ausnahmesituatio-
nen gerechtfertigt. Artikel 35 sieht das bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücks-
fällen vor; die Notstandsartikel 87a und 91 erweitern den inneren Einsatz der Armee auf die „Ab-
wehr drohender Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung“. Alles Fälle, die sich nicht auf die Situation am Bauzaun der WAA in Wackersdorf anwenden lassen.

Das findet auch der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Burkhard Hirsch. Er warnt vor „jeder Vermischung der Aufgaben von Polizei und Bundeswehr“ und will, dass die Amts-
hilfevereinbarung im Innenausschuss des Bundestages offengelegt wird. Die saarländische Landes-
regierung (SPD) erwägt zudem, die Sache vor die Innenministerkonferenz zu bringen. Die Position von SPD und FDP ist in diesem Punkt allerdings geschwächt. Immerhin waren es Gerhard Baum (FDP) und Hans Apel (SPD), die in ihrer Zeit als Minister 1981 das Amtshilfeabkommen auf den Weg brachten – ein Fakt, den Innenminister Lang und seine CSU-Kollegen genüsslich breittreten.

Dass die FDP als zugkräftige Kritikerin der CSU-Polizeipolitik ausfallen könnte, steht deshalb zu befürchten. Dabei wäre eine breite politische Front gegen die innenpolitischen Zuchtmeister aus Bayern nötig. Denn beim munteren Marsch des Freistaats in den Polizeistaat geht es nicht nur um Amtshilfeabkommen. Was Robert Jungk in seinem Buch „Der Atomstaat“ theoretisch vorzeichne-
te, droht in Bayern Praxis zu werden. Die WAA macht‘s möglich.

Beispiel „Unterbindungsgewahrsam“: Mit einer Änderung des Polizeiaufgabengesetzes will der Bayerische Ministerrat eine Art Vorbeugehaft einführen, die bis zu einer Dauer von 14 Tagen rich-
terlich angeordnet werden kann. Zielgruppe: WAA-Demonstranten, von denen Straftaten oder auch nur Ordnungswidrigkeiten erwartet werden. Bislang ist ein polizeilicher Gewahrsam nur bis zu 48 Stunden möglich. „Lex Wackersdorf“ wird die bayerische Vorlage in den Reihen der Gegner dieses Gesetzes genannt.

Ein weiteres Beispiel: die Beschlagnahme von WAA-Pressefotos durch die Regensburger Kripo. Ausgestattet mit richterlichem Durchsuchungsbeschluss beschlagnahmten Polizeibeamte Fotone-
gative der „Mittelbayerischen Zeitung“. Die Aufnahmen waren bei einer Auseinandersetzung zwi-
schen Demonstranten und Polizei am Bauzaun der WAA gemacht worden. Die Bayern machten sich dabei ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober letzten Jahres zunutze. Danach wird Journalisten für selbst erarbeitetes Material kein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden. Folglich können Journalisten gezwungen werden, Fotos und Informationen der Polizei herauszu-
geben.

All diese Maßnahmen dienten der Verhinderung von Gewalt, so rechtfertigten die Staatsorgane ihr Vorgehen. Ob Amtshilfe, Unterbindungsgewahrsam oder Fotoklau, immer wird ein liebenswürdi-
ges Motiv vorgeschoben: den friedlichen Demonstranten das friedliche Demonstrieren zu ermögli-
chen. Dass dabei wichtige Rechtsgüter hintanstehen müssen und den friedlichen Demonstranten das friedliche Demonstrieren per Einschüchterung vermiest wird, ist schade – aber beabsichtigt.


Deutsche Volkszeitung/die tat 23 vom 12. August 1988, Düsseldorf, 5.

Überraschung

Jahr: 1988
Bereich: Bürgerrechte

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