Materialien 1988
Wie die Bild-Zeitung einer Familie das Leben zur Hölle macht
Das Zimmer Nr. 14 ist nicht zu finden. „Pension La Perla, Holzwiesenstraße 4 in Neuperlach, 1. Stock, Zimmer 14“ hatte in der BILD-Zeitung gestanden. Dort soll Laszlo K. mit seiner Familie wohnen, ein Asylbewerber aus Ungarn, der – laut BILD – angeblich nicht arbeiten mag, weil das Sozialamt ihm vielmehr zahlen würde, als er verdienen könnte: 4.000 DM im Monat netto auf die Hand.
Das will ich jetzt wissen, ich will diese Familie besuchen. Aber wo ist Zimmer 14? Da ist eine Tür, die müsste es sein. Es ist aber keine Nummer dran wie an den anderen Türen, nur ein paar Schraublöcher, die zeigen, dass die Nummer abmontiert wurde. Ich klopfe. Nichts rührt sich. Von der Frau von Nr. 13 erfahre ich: „Ja, das war ihr Zimmer. Aber die wohnen ja nicht mehr hier. Die sind weg. Wohin weiß ich nicht. Aber fragen Sie mal im Büro unten.“
Der Mann im Büro ist misstrauisch. Erst die Tüte mit Nikolaus-Plätzchen, die ich für die Kinder mitgebracht habe, überzeugt ihn, dass ich nichts Böses im Schilde führe, und bringt das Eis zum Schmelzen. Die Gründe für sein Misstrauen werden schnell klar. „Ja, die sind weggezogen, weg von München“, berichtet er. „Die mussten, das ging nicht mehr hier.“ – „Mussten? Ja, warum denn?“ – „Schon wegen der Sicherheit der Kinder. Die waren ja ihres Lebens nicht mehr sicher, nachdem diese Zeitung das geschrieben hat. Da kamen laufend Drohbriefe – das kann man gar nicht sagen, was da alles drinstand. ‚Dreckspack’ und ‚Schert Euch weg von hier!’ war noch das Harmloseste. Telefonanrufe auch. Genauso. Am schlimmsten waren die Drohungen gegen die Kinder. Das war nicht auszuhalten. Deshalb sind sie weg.“
„Im März wären es zwei Jahre gewesen, dass sie hier gewohnt haben“, erzählt er weiter. „Und waren so eine nette Familie. Der Vater, wie der sich immer um seine Kinder gekümmert hat. Und die beiden – gerade hatten sie sich in der Schule schon einigermaßen eingewöhnt und sind gut mitgekommen, trotz der fremden Sprache. Aber da schreibt keiner drüber, was da kaputtgemacht worden ist von der BILD-Zeitung! Und wie die sich eingeschlichen haben! Dass sie von der Autoversicherung sind, haben sie gesagt, und er müsste ihnen alles beantworten. Damit haben sie ihn reingelegt.
Wie war das mit dem Auto, will ich wissen. „Das war das einzige, dass er mal ohne Führerschein gefahren ist. Aber das kommt bei Deutschen auch vor. Das hat nichts damit zu tun, dass er von anderswo her ist. Und dass er schwarz gearbeitet hätt’, da stimmt auch nichts davon, ich habe ihn ja immer gesehen, ich bin ja immer hier im Haus. Und was sie geschrieben haben, dass er 4.000 Mark kriegen würde, das ist ja Unsinn. Elfhundertnochwas hat er gehabt für die ganze Familie mit vier Personen, da ist alles. Das sind ja nicht mal 300 Mark pro Person zum Leben. Das andere, die Miete, das hat das Sozialamt ja gar nicht an ihn gezahlt. Das geht gleich an die Pension. Und dafür, dass er hier in der Pension leben musste – zu viert in einem Zimmer, das Ehepaar, die achtjährige Tochter und der Sohn mit 15 Jahren – dafür konnte er ja wirklich nichts. Wo sollte er denn sonst hin? Selbst wenn er eine billige Wohnung gefunden hätte, hätte er sie ja nicht nehmen dürfen. Sie zwingen ja die Asylbewerber, in solchen Pensionen zu wohnen, obwohl das viel teurer ist.“ Der Staat lässt sich die Abschreckung und die Stimmungsmache gegen die Asylbewerber was kosten. Sich? Uns! Aber das liegt an diesem Staat und nicht an den Asylbewerbern!
Ob das stimmt, dass er nicht arbeiten wollte, frage ich. Laszlo K. hat oft mit dem Pensionsverwalter über dieses Problem gesprochen. Bevor er als Asylbewerber anerkannt war, durfte er nicht arbeiten. Erst nach seiner Anerkennung vor ein paar Monaten bekam er auch eine Arbeitserlaubnis. Das Arbeitsamt empfahl ihm, zuerst einen Deutsch-Kurs zu besuchen, damit er leichter Arbeit finden konnte. Laszlo hätte gern schon vorher einen Kurs besucht, anstatt untätig herumzusitzen. Aber weder Sozialamt noch Arbeitsamt hätten das gezahlt. Und wovon hätte er selbst die hohen Kurs-Gebühren zahlen sollen?
Am meisten Sorgen machte ihm, wie es nach dem Kurs weitergehen sollte. Wenn er eine Arbeit fände, würde er vom Lohn den Lebensunterhalt der Familie und die Miete zahlen müssen. Wie sollte er das schaffen, wenn er keine billige Wohnung findet?! Die 2.700 Mark Pensionsmiete würde er nie und nimmer aufbringen können. Aber als Sozialhilfeempfänger in München eine Wohnung zu finden, noch dazu eine billige, um dann vom Lohn die Miete zahlen zu können, das würde schier unmöglich sein. „Das war ein Teufelskreis, und es bedrückte ihn ungeheuer. Er wusste einfach nicht, wie er da rauskommen konnte.“
Möglich, dass er über diese Sorgen auch zum Richter etwas gesagt hat, der ihn wegen Fahrens ohne Führerschein verurteilte. „Aber das, was die BILD-Zeitung daraus gemacht hat, ist einfach eine unwahrscheinliche Gemeinheit“, empört sich der Pensionsverwalter.
Mit Lügen und Verdrehungen schürt BILD den Ausländerhass. Sie denkt natürlich nicht daran, die Regierung anzugreifen, die durch Ausländer- und Asylverfahrensgesetz erst die Bedingungen hergestellt hat dafür, dass die Flüchtlinge in Pensionen wohnen und von Sozialhilfe leben müssen. Oder die Banken und Baukonzerne, die keine Wohnungen bauen und für ihre Profitinteressen, unsere Wohnungsnot schaffen. Die wehrlosesten Opfer suchen sie sich, um zu verhindern, dass wir uns gegen die wirklich Verantwortlichen zusammenschließen. Nicht einmal Kinder verschonen sie bei ihrer Hetzjagd.
Neu ist diese Art Journalismus nicht. Die rassistische Hetze der Nazi-Presse war nach dem selben Muster gestrickt: an der Not der kleinen Leute ansetzen und die einen gegen die anderen aufhetzen. Wozu dies dient, haben wir erlebt. Niemals wieder! Dagegen unsere Solidarität!
Demokratischer Informationsdienst 71 vom Februar 1989, 6 f.