Materialien 1988

Negative Erfahrungen ...

Oft war es auch schwierig, die Leute selber von Mißständen zu überzeugen. Die waren manches so gewohnt, dass es ihnen gar nicht auffiel, geschweige, dass sie sich wehrten.

Ein ständiges Ärgernis war zum Beispiel der schlimme Umgangston, der wurde auf jeder Betriebsversammlung angeprangert. Ich wusste vom Servicepersonal aus anderen Betrieben, dass es überall gleich war. Dieser Umgangston, von Vorgesetzten gegenüber den Kellnerinnen klang etwa so: „Du blödes Viech, Schlampen, blöde Sau, Rindvieh saublödes!“ Ich regte mich immer darüber auf und fragte: „Warum lasst ihr euch das bloß gefallen?“ Ich wollte, dass eine mal eine Beleidigungsklage gegen einen führt, aber nichts passierte. Eine sagte mir: „Frau Dieling warum regen Sie sich da auf? Das ist alleweil schon so gewesen – da brauchen Sie sich doch nicht aufregen – wir hören das gar nicht mehr.“

Ich fragte einmal einen bekannten Münchner Gastronomen, weil ich ja wusste, dass dies ein allgemeines Problem der Gaststätten ist: „Warum gibt es eigentlich vom Verband aus keine Seminare für leitende Angestellte, speziell in Personalführung?“ Worauf er meinte: „Frau Dieling, wir haben uns mit dieser Sache schon lange, lange beschäftigt; aber ich kann Ihnen nur eines sagen, die Wirte geben für so etwas kein Geld aus.“

Typisch war auch das Problem mit den Dirndl. Bedienungen in Bayern tragen ja bekanntlich Dirndl als Arbeitskleidung. Dabei ist das Dirndl ein völlig unpraktisches Arbeitsgewand, weil es eng anliegen muss und dann schwitzt man darin bei der Arbeit enorm. Unser Arbeitgeber wollte unbedingt, dass Dirndl getragen werden. Der Betriebsrat wollte ihm dazu aber keine Zustimmung geben. Es machte mir richtig Spaß, unseren Wirt damit zu trazen. So fragte ich ihn: „Was für eine Farbe stellen Sie sich denn vor?“ „Rote Dirndl“, sagt er. Und ich: „Was meinen Sie, wenn jetzt einer Frau die Farbe rot gar nicht steht?“ Darauf er: „Dann machen wir es zweifarbig.“ Ich: „Machen wir’s zweifarbig – eine Woche rot und eine Woche blau. Was machen wir aber, wenn in der roten Woche eine in blau daherkommt?“ Das Thema konnte man wunderbar ausschmücken.

Leider kam dann eine Kollegin von der Wäschekammer, die auch Betriebsrätin war, zu mir und meinte: „Du, jetzt hör auf. Zu mir kommen die Bedienungen und sagen, sie wollen das Dirndl haben, doch die Dieling lässt es uns nicht. Die muss es ja nicht anziehen.“ Da dachte ich mir, die haben es eben nicht kapiert. Wenn sie die Dirndl wollen, dann sollen sie sie haben. Nachher in der Saison im Sommer trugen sie die schwarzen Mieder und schwitzten wahnsinnig. Dann gingen sie zu meiner Kollegin in die Wäschekammer und beklagten sich: „Mei, ist das heiß.“ Die sagte nur: „Ihr habt es so gewollt.“ Das ist eben eine Gewohnheit. Es gab immer Dirndl, was anderes kommt ihnen gar nicht in den Sinn.

Ebenso war es mit der Bezahlung. Das Bedienungspersonal bekommt keinen Festlohn, das ist so üblich. Sie erhalten eine Prozententlohnung nach Umsatz. Der Frühdienst, der schon um sieben Uhr kommt, wickelt dann Besteck, deckt auf, Stühle runter, Tischdecken und Menagen rauf, Speisekarten einziehen – all diese Arbeiten. Bis der Service in Ordnung ist, arbeiten die umsonst und verdienen keine müde Mark. Mit dem ersten Gast beginnt der Umsatz. Aber nur wenn sie das Glück haben und die Gäste in ihrer Station sitzen. Sonst gehen sie leer aus.

Ich versuchte, sie davon zu überzeugen, dass man einen Festlohn braucht. Aber nicht unser Servicepersonal. Die sagten: „Ja – wenn ich mich plage und nachher kommt alles in einen Topf, dann kriege ich allweil dasselbe – ja, ich bin doch nicht wahnsinnig.“ Die Tage, an denen sie wenig oder nichts verdient haben, die waren gar nicht relevant, das nahmen sie einfach hin. Für die waren die Tage wichtig, an denen sie Umsatz gemacht haben. Ich fand mich dann damit ab, dass ich nichts erreichte. Allerdings halte ich eine derartige Entlohnung für einen der großen Fehler unserer Gewerkschaft. Dass man solche Tarifverträge abschließt, ist mir unbegreiflich.

Wir erreichten aber, dass die Entlohnung bei Schwangeren geregelt wurde. Schwangere Serviererinnen dürfen nachts nicht beschäftigt werden, und deshalb steckte man sie einfach in den Frühdienst. Dass die dabei nichts verdient haben, war jedem wurscht. Wir regelten, dass diese Serviererinnen einen Durchschnittslohn aus den letzten drei Monaten bekamen.

Wenn man Regelungen trifft, muss man trotzdem ständig kontrollieren und nachschauen, dass sie nicht umgangen werden oder irgendwo einen Pferdefuß haben. Zum Beispiel stellten wir fest, dass den Frauen im Mutterschutz kein Weihnachtsgeld gezahlt wurde. Weil sie halt nicht im Betrieb waren und wer nicht da war, der kriegte nichts. Also mussten sie da wieder nachzahlen.

Oder als die 39-Stunden-Woche vor einigen Jahren im Gastgewerbe eingeführt wurde, war der Augustiner der erste, vielleicht sogar der einzige Betrieb in der Gastronomie, der diese Arbeitzeitverkürzung tatsächlich umsetzte, in sechs bezahlte freie Tage pro Jahr. Diese eine Stunde Arbeitzeitverkürzung wäre sonst komplett untergegangen. Das war natürlich nur möglich mit Einigungsstellenverfahren und Vereinbarungen in allen diesen Geschichten.

… positive Erfahrungen

Ärger und Frust, aber auch viele positive Ergebnisse wechselten ständig. Ein positives Beispiel ist die Ausbildung. Es wurde ein Jugendsprecher gewählt und die Ausbildungs-Richtlinien verbessert, hauptsächlich bei den Koch-Azubis. Berichtshefte, Dienstpläne, Arbeitszeit, Urlaub, Freizeit – alles wurde überprüft und verbessert. Aber auch der Jugendschutz, der Mutterschutz, alle Gesetze zum Schutz bestimmter Arbeitnehmergruppen wurden ständig auf die Anwendung im Betrieb kontrolliert. Sicherheitsfachkräfte und Sicherheitsbeauftragte wurden auf Initiative des Betriebsrats eingesetzt und geschult.

Der neue Pächter stellte zwar mehr Personal ein und die Umsätze stiegen, aber die sanitären Einrichtungen waren in einem sehr beklagenswerten Zustand. Es gab zu wenig Duschen und keine Umkleideräume. Die Spinde standen am Gang und die Leute mussten sich buchstäblich im Freien umziehen. Es war zum Verzweifeln! Der Pächter sagte: „Das ist Sache der Brauerei.“ Und die Brauerei sagte: „Das ist Sache des Pächters.“ Und es geschah nichts. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich selber einen Arbeitsunfall hatte. Ich stürzte eine Holztreppe hinunter, wollte mich noch aufstützen und brach mir dabei beide Handgelenke. Mit meinen beiden Gipsarmen organisierte ich eine Protestversammlung. Ich war so stinksauer, das Maß war übergelaufen. Zu dieser Versammlung lud ich den Arbeitgeber ein, den Betriebsratssicherheitsbeauftragten, den Architekten der Brauerei, zwei technische Aufsichtsbeamte von der Berufsgenossenschaft, zwei Beamte von der Gewerbeaufsicht und die Betriebsärztin. Ich prangerte die Mißstände an. Zuerst gab es natürlich Schuldzuweisungen, aber danach einigte man sich doch.

Das Resultat meiner Protestversammlung war, dass wir nach 14 Tagen eine neue Eichentreppe über zwei Stockwerke kriegten, neue Personal-Umkleideräume, neue Duschen, neue Waschräume, neue Toiletten in ausreichender Anzahl. Der Personalraum wurde neu gemacht – ein neuer Getränkeautomat kam rein, es gab dann plötzlich auch sehr gutes Personalessen. Drei Gerichte, wobei ein Gericht immer ohne Schweinefleisch war, aus Rücksicht auf die muslemischen Arbeitnehmer. Das war für mich schon ein großer Erfolg, und ich konnte in aller Ruhe meine Brüche kurieren …

Höchstes Lob zum Schluss

Als meine Arbeitzeit beendet war, ging meine Kollegin von der Wäschekammer sammeln für ein Geschenk ohne mein Wissen natürlich, sonst hätte ich protestiert. Auch zum Personalchef ging sie und meinte: „Grüß Gott, nachdem die Frau Dieling jetzt aufhört, möchten wir ihr ein Geschenk kaufen. Deshalb komme ich Sie fragen, ob Sie auch was geben?“ Da zog er einen dicken Ordner heraus: „Wissen Sie, was das ist? Das sind lauter Zahlungsaufforderungen, die wir der Frau Dieling zu verdanken haben – und da sollen wir ihr auch noch was schenken?“ Ich muss ehrlich sagen – das war mein höchstes Lob. Ich dachte mir, es war doch nicht so schlecht, was ich gemacht habe. Wenn er ihr was gegeben hätte, dann hätte mir das gestunken …

Erika Dieling


Ingelore Pilwousek (Hg.), Wir lassen uns nicht alles gefallen. 18 Münchner Gewerkschafterinnen erzählen aus ihrem Leben, München 1998, 48 ff.