Materialien 1989
Gegen den großdeutschen Taumel
Ungewöhnliches tut sich im Herbst ’89 in der BRD. Für Menschen, die in diesem „unseren“ Land ihr Heil suchen gibt es Begrüßungsgelder, Sonderprogramme, Arbeitsbeschaffung und Willkommensgeschenke und all das dem Land, in dem doch sonst Fremdenfeindlichkeit, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit zum Tagesgeschäft gehören. Milliarden für Immigranten und Flüchtlinge, — sind wir etwa zu einem weltoffenen Einwanderungsland geworden?
Weit gefehlt! Menschen, die z.B. aus einem 3.-Welt-Land, ohne Trabbi, meist ärmlicher gekleidet, oft politisch verfolgt hier ankommen, merken weiterhin nichts von einer deutschen Gastfreundschaft, ihnen fehlt der Nachweis arischer Abstammung. Den Regierenden hierzulande geht es nicht neuerdings darum, Menschen in Not zu helfen. Der Rummel um die DDR-Ausreis(s)er ist Bestand/teil einer groß angelegten Public-Relation-Veranstaltung für ein Wiedervereinigungsschauspiel, an dessen Ende ein 4. Reich denkbar wird.
Der erste Akt des überparteilichen deutschnationalen Szenarios ging schon über die Bühne: Das Deutschlandlied in trauter Bundestagseintracht, Strategien und Phasenpläne zur deutschen Einheit, Beifallsstürme bei der SPD für Kohls 10-Punkte-Einverleibungs-Modell, massive Beeinflussung und Bevormundung der politischen Gruppen in der DDR …, Unterschiede zwischen Reps, CDU/CSU, FDP, SPD gibt es schon, z.B darüber, wie „groß“ das neue deutsche Reich denn nun werden soll, und in welchen Zeiträumen und Zusammenhängen es zu verwirklichen ist. Es gibt Unstimmigkeiten darüber, ob sich die DDR gleich bedingungslos der DM unterwerfen muss oder ob Zwischenschritte angesagt sind. Die einen verhüllen ihr politisch-ökonomisches Diktat als „Ratschläge“, die anderen stellen gleich offen erpresserische Bedingungen.
Am DM-Wesen soll die Welt genesen!
Das Ziel ist eindeutig: Es geht um die Einführung des Kapitalismus, Marke BRD, die Rückgewinnung des DDR-Wirtschaftspotentials für westdeutsche Konzerne. Mit der Schaffung einer großdeutschen Wirtschaftsmacht, die dann potenteste Kraft in der zukünftigen EG ist, wäre man der ökonomischen Weltdominanz — ein alter Traum des deutschen Imperialismus — ein beträchtliches Stück nähergekommen.
DDR-Kolonie, jetzt oder nie!
Das westliche Kapital fühlt sich ermuntert, weil das Haupthindernis bei der Kolonisierung des Ostens ins Wanken geraten ist. Die DDR befindet sich im Umbruch. Eine Volksbewegung erkämpft sich mehr Demokratie und Selbstbestimmung. Vielen geht es um einen von administrativ-bürokratischen Deformationen befreiten, erneuerten Sozialismus, den meisten um die Beseitigung von Korruption und Machtmissbrauch und eine eigenständige Entwicklung. Diejenigen, denen es um bloßen Konsum nach BRD-Muster geht, haben sich zum großen Teil schon Richtung Westen abgesetzt. Nachdem sie die Kulisse für den „deutschen Herbst ’89“ abgegeben haben, werden auf die meisten von ihnen schon bald die desillusionierenden Mühen des BRD-Alltags zukommen.
… und die BRD-Linke?
Die fortschrittlichen Kräfte schauen dem deutschnationalen Taumel bisher weitgehend sprachlos zu. Dabei dürfte bei aller Kritik an der DDR und unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich ihrer Entwicklung allen Linken in der BRD klar sein, welch fatale Folgen ein Großdeutschland für den Frieden, für die 3. Welt und das innenpolitische Klima haben wird. Es muss verhindert werden, dass der DDR der BRD-Kapitalismus als Alternative aufgedrückt wird. Wir wissen, wie diese „Alternative“ aussieht.
Bundesdeutsche Lösungen für DDR-Probleme?
₪ Wenn sich die Menschen in der DDR gegen die Stasi auflehnen, dann kann der BRD-Verfassungsschutz, mit seiner 220 Millionen teuren neuen Spitzelzentrale wohl nicht die Alternative sein.
₪ Wenn es um mehr Wohlstand für alle geht, dann können die sechs Millionen, die bei uns unter der Armutsgrenze leben, und die Tausende von Kindern, die täglich an Hunger sterben, damit der westliche Wohlstand lebt, nicht die Alternative sein.
₪ Wenn es in der DDR um den Abbau von Privilegien und Vetternwirtschaft geht, dann kann die verfilzte BRD-Bonzokratie aus Wirtschaft und Politik mit ihren Fuhrparks, Villenvierteln, Aufsichtsratstantiemen und Bestechungsgeldern nicht die Alternative sein.
₪ Wenn es um politische Freiheiten und gegen Unterdrückung geht, so kommen doch nicht die westdeutschen Polizeimorde, Knüppeleinsätze, Berufsverbote, Gesinnungsschnüffelei und die Zensur nicht-staatstreuer Zeitungen als Alternative in Betracht.
Die DDR-Bewegung braucht die Chance für ihren eigenen Weg!
Wenn es dem BRD-Imperialismus gelingt, die DDR „heim ins Reich“ zu holen, so bedeutet das eine entscheidende Schwächung aller Kräfte des Friedens, des Antifaschismus, der Demokratie und des Sozialismus. Deshalb ist es höchste Zeit für ein breites Bündniss gegen den deutschnationalen Konsens, für die Anerkennung der DDR. Alle fortschrittlichen und linken Menschen sollten über möglichst baldige wirksame Veranstaltungen und Aktionen beraten unter dem Motto: Hände weg von der DDR!
Wir laden daher ein zu einer
DEMONSTRATIONS- UND DISKUSSIONSVERANSTALTUNG
„GEGEN DIE GROSSDEUTSCHE WIEDERVEREINIGUNGSKOALITION“
am – - – um – - – im – - -
Einleitende Diskussionsbeiträge von: – - -
Kulturbeitrag: – - -
Aufrufer- und Unterstützerkreis: – - -
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.