Materialien 1989

Selbstbewusste Initiative

Ausländer

Der Arbeitskreis Ausländerfragen feiert sein fünfzehnjähriges Bestehen. Belohnt wird das er-
folgreiche Engagement von der Stadt jedoch nicht.

Plötzlich taucht ein aufgewecktes Gesicht unter einem schwarzen Kopftuch in der hintersten Ecke der Küche auf. Es ist Fatma. Eine „tüchtige Schneiderin“ will sie werden, und sie ist überzeugt, dass sie es wird. Sie lacht. Mit elf anderen Mädchen und jungen Frauen aus Afghanistan, Eritrea, Bayern, Jugoslawien, dem Iran, Griechenland und der Türkei lernt sie das Damenmaßschneider-
handwerk. Ihre Ausbildungsstelle, die „Schneiderlehrwerkstatt“ des Haidhauser Arbeitskreises Ausländerfragen ist einmalig in Bayern. „Wir wollen selbstbewusste Frauen“, erklärt die Meisterin Sehavet Poyraz. Eingestellt werden Mädchen, die auf dem Lehrstellenmarkt kaum eine Chance haben. Ausländerinnen sind da doppelt benachteiligt.

Die Schneiderlehrwerkstatt ist das Renommierprojekt des Arbeitskreises Ausländerfragen (AKA), der zur Zeit mit einem Sonderprogramm sein fünfzehnjähriges Bestehen feiert. 220.000 Münchner und Münchnerinnen (rund 16 Prozent der Bevölkerung) haben keinen deutschen Pass. Die neue Deutschtümelei um Übersiedler und „Wiedervereinigung“ übergeht die Ausländer oder macht sie noch mehr zu unerwünschten Fremden. Im AKA heißt Arbeit mit Ausländern vor allem Eigenini-
tiative fördern. Fernziel ist die Gleichstellung der hier lebenden Ausländer mit den Deutschen. Be-
sonders die ausländischen Frauen sind davon noch weit entfernt.

Ein Frauengesundheitsprojekt soll im nächsten Jahrzehnt beim Umgang mit dem hiesigen Ge-
sundheitswesen helfen. Eine Ärztin, Psychologinnen, eine Hebamme und ausländische Frauen selbst werden Beratung, Nachsorge und auch Fortbildungen für Ärzte anbieten. In zwei Kursen der Volkshochschule machen die Betroffenen zur Zeit erste Erfahrungen.

Wenn mehr Geld da wäre, würde sich der AKA auch gerne intensiver um ältere Ausländerinnen kümmern und die Mädchenarbeit ausweiten. Mit neun festen Stellen und einem Etat von rund 500.000 Mark im Jahr aus dem Fördertopf des Jugendamts ist das nicht zu schaffen. Auch der Platz fehlt. Bisher konnte der AKA mietfrei im Haidhauser Bürgersaal arbeiten. Jetzt will die Eigentümerin, die Münchner Gesellschaft für Stadtsanierung (MGS), 34.000 Mark Betriebskosten für die letzten 4 Jahre nachgezahlt haben. 12.000 Mark hat das Jugendamt locker gemacht. Den Rest kann niemand aufbringen. Für die Kindergruppen ist es in den Räumen an der dicht befah-
renen Rosenheimer Straße jetzt schon eng.

In der Schule haben die ausländischen Kinder besondere Probleme. Sie dürfen nicht in eine nor-
male Schule, sondern müssen parallel auf Deutsch und Türkisch lernen. In zwei Sprachen haben sie das zu bewältigen, was deutschen Schülern in ihrer Muttersprache beigebracht wird. „Zeige, was du kannst“ hat eine Lehrerin in dicker Schrift neben eine Rechenaufgabe eines türkischen Mädchens geschrieben.

Dabei brauchen die ausländischen Kinder intensive Unterstützung. Sie sind mit ihren Familien auf Abruf hier und wissen nicht, wo ihre Zukunft stattfinden wird. Viele Eltern verunsichert die fremde Umgebung. Sie wollen es „besonders gut“ machen und die Kinder vor den vermeintlich schlechten Einflüssen der deutschen Umwelt schützen. Vor allem die Mädchen geraten so in den Widerspruch zwischen der traditionellen Erziehung zu Hause und den vergleichsweise lockeren Sitten draußen.

Wie nötig die Arbeit des AKA ist, beweisen auch die Erfahrungen der türkischen Sozialberaterin Mürrüwet Özmenli. Bei ihr können sich, wie sie meint, „die Leute zumindest aussprechen“. Seit 15 Jahren mache sie diesen Job. Die Schwierigkeiten der ersten angeworbenen Ausländer hat sie selbst als Arbeiterin in deutschen Fabriken erlebt. „Mensch ist Mensch, egal woher, wenn ich hel-
fen kann, helfe ich“, sagt sie beiläufig, ganz ohne Koketterie. Die Älteren brauchen die guten Ärzte hier; sie haben sich in deutschen Betrieben aufgearbeitet. Die Rente reicht selten. Sozialhilfe ist ein Ausweisungsgrund. So muss eine alte Frau mit 410 Mark im Monat auskommen. Für ein nasses, kaltes Loch bezahlt sie 150 Mark Miete. „Jeden Tag geht diese Frau in den Gasteig, um sich wenig-
stens mal aufzuwärmen“, erzählt Frau Özmenli. Sie kennt einige, denen es so geht. Von den Deut-
schen wünscht sie sich nur mehr Verständnis. „Äußeres, wie Kopftuch oder so ist doch nicht wich-
tig, oder?“

Robby Fishman


Stadtmagazin München 7 vom 15. Dezember 1989, 16.

Überraschung

Jahr: 1989
Bereich: AusländerInnen

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