Materialien 1989
Geheimprozesse
Bayerische Demokratie
1987 wurde die Feministin Hannelore Mabry in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen. Seit-
dem liegt sie im Clinch mit der bayerischen Rechtsstaatlichkeit.
Der Besuch des Papstes in München liegt schon über zweieinhalb Jahre zurück, doch die Gerichte beschäftigt er noch heute. Verantwortlich hierfür ist die aktionslustige Münchner Feministin und Atheistin Hannelore Mabry. Grund für die Beschäftigung der Richter: eine damals von Mabry ge-
plante Aktion zur Papstvisite. Am 3. Mai 1987, dem Tag des Besuches, konnte die Feministin noch nicht wissen, dass sie mit der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) im März letzten Jahres in Verbindung stehen würde.
Zum 1. April 1989 wurde das PAG dahingehend geändert, dass eine Vorbeugehaft (offiziell Unter-
bindungsgewahrsam) von bis zu 14 Tagen möglich ist. (davor: 48 Stunden). Hintergrund der Ge-
setzesänderung waren vor allem die Widerstandsaktionen gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Mit dem neuen PAG kann die Bayerische Staatsregierung unliebsame „Störer“ nun länger von der Bildfläche verschwinden lassen.
Unerheblich dabei ist es, ob jemand eine Straftat begangen hat. Schon „die Annahme, dass eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird“ reicht aus, um einen Bür-
ger in Vorbeugehaft zu nehmen.
Als Begründung für die Modifizierung des PAG führte der ehemalige Innenminister August Lang auch „Sicherheitsstörungen“ anlässlich des Papstbesuches an.
Zwar erwähnte Lang Mabry nicht namentlich. Doch die Feministin sieht ihre geplante Aktion vom Mai 1987 in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gesetzesnovelle. Mit rund zwei Dutzend Sym-
pathisanten wollte sie den Papst mit Transparenten begrüßen („Schützt Kinder vor Allmächtigen“, „Sei Feminist“).
Doch dazu kam es nicht: Die Transparente wurden von der Polizei beschlagnahmt, Mabry wurde festgenommen. Im Polizeipräsidium in der Ettstraße musste sie sich zum Zwecke der Durchsu-
chung bis auf die Haut entblößen. Schließlich wurde sie für sieben Stunden in „Gewahrsam“ ge-
nommen. Wieder auf freiem Fuß, reichte die Aktionistin sofort Klage beim Verwaltungsgericht ein, um die Rechtmäßigkeit der Festnahme prüfen zu lassen. Während dieses Verfahrens – das immer noch andauert – wurde Mabry mit einer neuen Rechtsauslegung konfrontiert, die der Öffentlich-
keit bisher nur unzureichend bekannt war (und ist) und die durch die PAG-Änderung zum Gesetz wurde: Ursprünglich fiel die Zuständigkeit den Verwaltungsgerichten zu, wenn eine in Vorbeuge-
haft genommene Person die Rechtmäßigkeit der Festnahme prüfen lassen wollte.
Mit Beschluss vom 27. Oktober 1987 entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH), dass in solchen Fällen die sogenannte Freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) anzurufen sei. Der Unterschied zwischen dem Verwaltungsrechtsweg und der bei der „ordentlichen Gerichtsbarkeit“ (Amts-, Lan-des- und Oberlandesgericht) angesiedelten FGG ist äußerst gravierend, denn bei der FGG handelt es sich um Geheimprozesse. Die Öffentlichkeit und die Medien sind zu den Verhandlungen nicht zugelassen. Ein einziger Amtsrichter fällt das Urteil im „Beschlussverfahren“.
Auf dem Hintergrund dieses VGH-Beschlusses verwies das Verwaltungsgericht München Mabry an die FGG, um die Rechtmäßigkeit der Festnahme prüfen zu lassen. Das Amtsgericht beschied der Klägerin daraufhin, sie habe „keinen Rechtsanspruch“ auf die Prüfung. Auch die zweite Instanz, das Landgericht, schloss sich dieser Meinung an. Erst nachdem die Feministin auch gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt hatte, verwies das Oberlandesgericht den Fall zurück an das Amts-
gericht. Dieses müsse, so das OLG, ein inhaltliches Urteil fällen, also die Festnahme als rechtmäßig oder rechtswidrig beurteilen. Auf dieses Urteil wartet Mabry immer noch.
In der Begründung zu der PAG-Novellierung bezog sich die Staatsregierung ausdrücklich auf den VGH-Beschluss von 1987. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg, und damit ein öffentliches Verfah-
ren, Betroffenen verwehrt; die Prüfung von Festnahmen wird also nur noch in diesen Geheimpro-
zessen stattfinden. Vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof ist derzeit eine Klage von meh-
reren Münchner Rechtsanwälten anhängig, die die Verfassungsmäßigkeit des neuen PAG prüfen lassen wollen.
Unterdessen steht Mabry ihr nächster Prozess bevor: Am 22. Januar wird es im Amtsgericht (Nym-
phenburger Straße 16, Raum A 221, Zeit: 14.00 Uhr) zur Verhandlung über eine Aktion von ihr während der Verabschiedung des PAG im Landtag am 14. März 1989 kommen. Damals hatte sie Flugblätter ins Plenum geworfen und ein Transparent mit der Aufschrift „Recht wird beerdigt“ über die Brüstung der Zuschauertribüne gehangen. Mabry zu ihrem jahrelangen Clinch mit den Gerichten: „Ich mach das bis zum bitteren Ende“.
Marc Fritzler
Stadtmagazin München 2 vom 15. März 1990, 18.