Materialien 1989

Aktion „Öffentliche Aufforderung zur Blockade“

Friedrich Müller schildert sein dreijähriges Ringen mit der bayerischen Justiz wegen der Stationierung von Atomraketen

Die Aktion der Friedensbewegung „Öffentliche Aufforderung zur Blockade“ entstand 1985 mit dem Ziel, viele BürgerInnen zu gewinnen, die sich wegen ihrer Sorge und ihres Protests gegen die Stationierung von Atomraketen anklagen lassen, um dann durch die (erwarteten) Freisprüche der Gerichte den verantwortlichen Politikern zu zeigen, dass sie mit ihrer Stationierungspolitik von „immer mehr“ Massenmordwaffen auch keine Unterstützung der Gerichte haben; die Justiz sollte sozusagen zur moralischen Rechtfertigung der Protestaktionen beitragen.

Der Erfolg der Aktion war erst beträchtlich; das 4:4 des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 war (einigermaßen) akzeptabel; immer mehr Gerichte, sogar ein Amtsrichter in Schwäbisch Gmünd und Oberlandesgerichte sprachen frei. Aber dann kam das (lt. Martin Hirsch, ehemaliger Bundesverfassungsrichter) verfassungswidrige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 1988: die Motive der Blockierer dürfen bei der Verurteilung keine Rolle mehr spielen, sondern (höchstens) nur noch bei der Strafzumessung: dies war ein schwerer Rückschlag.

Nachfolgend das, was sich in den drei Jahren meines Widerstands zugetragen hat:

Als sich auf die allgemeine „Öffentliche Aufforderung zur Blockade“ die Justiz nicht rührte, selbst nicht auf Selbstanzeigen der Flugblattunterzeichner, stellten wir im Dezember 1985 Antrag beim Landratsamt München für eine Flugblattaktion in Pullach; die Flugblätter forderten nunmehr zur Blockade des Atomraketenlagers in Mutlangen auf; das endlich konnte die Strafverfolgungsbehörden provozieren! So ging es dann weiter:

1986
8. Januar: Ablehnung der Flugblattverteilung durch das Landratsamt;
11. Januar: trotzdem Flugblätter verteilt; für vier VerteilerInnen (meine Frau und ich und zwei Friedensfreunde) war ein Aufgebot von dreißig Polizeibeamten zur Stelle; wir hatten gerade ein Flugblatt verteilt, Festnahme, Hausdurchsuchung, erkennungsdienstliche Behandlung;
26. April: Zustellung des Strafbefehls über DM 800,wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten;
28. April: Einspruch eingelegt;
20. + 27. November: Verhandlung am Amtsgericht, verurteilt von Richter Strassmeier, meine Frau in gleicher Sache von Richter Doukoff freigesprochen;

1987
3. April: Verhandlung am Landgericht, 2. Instanz, von Richter Dr. Bremer verurteilt, auch meine Frau vom gleichen Richter verurteilt, Urteil zehn Tagessätze à DM 5O.-
20. August: Urteil der Obersten Bayerischen Landgerichts: Verurteilung, auch meine Frau wurde verurteilt; in diesem Urteil AZ 3 St 122/87 befindet sich folgender Satz: „Die mehr oder weniger fundierte Einstellung eines Teils der Bevölkerung zu einer Rechtsfrage wäre keine geeignete Grundlage, auf die der Richter seine zwangsläufig auf den Einzelfall bezogene Entscheidung stützen könnte …“
23. Dezember: Weigerung, die Strafe zu bezahlen.

1988
12. Januar: Ladung zum Haftantritt wegen Nichtbezahlen;
22. Januar: „Ausladung“ vom Haftantritt, nachdem Demonstrationen und Mahnwachen angekündigt wurden, Geld sollte anderweitig eingetrieben werden;
16. August: Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, Abgabe wurde von mir verweigert;
4. November: Haftbefehl, bis zu einem halben Jahr Beugehaft für eine Geldstrafe, die zehn Tagen Freiheitsstrafe entspricht;
14. November: Schreiben an Staatsanwaltschaft wegen Verhältnismäßigkeit;
12. Dezember: Aufhebung des zweiten Haftbefehls und jetzt Pfändung des Gehalts.

Meine Bereitschaft, Gerichtsverhandlungen, Geldstrafen und sogar Haftstrafen in Kauf zu nehmen, soll jeden eindringlich an seine persönliche Verantwortung für Frieden und Abrüstung mahnen.

Für Auskünfte jederzeit bereit: Friedrich Müller, Andreestr. 18, 8000 München 19, Tel.: 089/1 68 83 08.


Mitteilungen der Humanistischen Union 125 vom März 1989, 21 f.