Materialien 1989

Aus einem Flugblatt der IG Druck und Papier

Es ist 1.30 Uhr. Bei Maria Mandlinger klingelt der Wecker. Für sie ist die Nacht zu Ende. In einer Stunde muss sie bei der Zeitungsverteilstelle in der Neidensteinerstraße in Neuaubing sein und ihre rund 400 Zeitungen abholen. Denn bis spätestens um 6 Uhr müssen die Abonnenten beliefert werden. So steht es in ihrem Arbeitsvertrag. So sind es die Münchner gewohnt.

37 Jahre lang hat Maria Mandlinger diese Arbeit gemacht. Sommer wie Winter. Sechs Nächte in der Woche. Für sie – wie für viele andere Zeitungsausträgerinnen – war dies die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen und tagsüber für die Kinder da zu sein.

Seit knapp zwei Jahren ist Maria Mandlinger freigestellte Betriebsratsvorsitzende bei der Bayerischen Zeitungsvertriebsgesellschaft (BZG), eine 1oo-prozentige Tochter der Münchner Zeitungsverlage. Jetzt kämpft sie nicht mehr gegen Wind und Wetter, sondern für bessere Arbeitsbedingungen ihrer 1.200 Kolleginnen und Kollegen, die jede Nacht zwischen 900.000 und einer Million Zeitungen austragen. Und da gibt es viel zu tun.

Das fängt beim Lohn an. Gezahlt wird pro Zeitung. Unter der Woche 10,3, am Samstag 13,8 Pfennige. Bei rund 400 Zeitungen pro Tag, für deren Verteilung Maria Mandlinger bei gutem Wetter rund vier Stunden brauchte, machte das in der Woche rund 260 Mark brutto. Wenn Prospekte beigelegt sind, ein bisschen mehr. Um 0,7 Pfennig pro Beilage erhöht die Firma dann den Stückpreis. Ein Hohn, wenn man weiß, dass die Zeitungsverlag für eine Werbebeilage pro Tausend Stück 130 DM kassieren (unter 10 Gramm).

Bei einer Auflage von 230.000, wie der Süddeutschen Zeitung in München, macht das satte 30.000 Mark. Die 1.200 Träger bekommen ganze 1.610 DM.

Aber damit nicht genug. Wenn in den Urlaubsmonaten die Zahl der Abos zurückgeht, weil viele Münchner ihre Zeitung in den Ferien abbestellen, dann bekommen auch die Austräger weniger. Da sie pro ausgetragener Zeitung bezahlt werden. Die Arbeit bleibt allerdings die gleiche. Denn es sind ja nicht alle Abonnenten eines Wohnblocks gleichzeitig in Urlaub.

Die Träger bekommen keine Überstundenzuschläge, obwohl die Zeitungen so spät angeliefert werden, dass es oft unmöglich ist, bis 6 Uhr alle Zeitungen verteilt zu haben. Sie bekommen kein Urlaubsgeld, kein Schlechtwettergeld (obwohl sie z.B. im Winter oft doppelt so lange brauchen) und nur ein bescheidenes Weihnachtsgeld.

Früher stellte die BZG wenigstens noch die Fahrräder zur Verfügung, mit denen die Zeitungen ausgefahren werden. Doch selbst diese “Vergünstigung” ist inzwischen gestrichen. Dabei ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass Arbeitsmittel von einer Firma gestellt werden müssen.

Ganze 22 Tage Urlaub im Jahr gesteht die BZG ihren lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu. Das macht bei einer Sechs-Tage-Schicht drei Wochen und vier Tage. Es gibt wohl fast niemanden mehr, der mit so wenig Urlaub im Jahr abgespeist wird, wie die 1.200 Münchner Zeitungsträger/innen.

Maria Mandlinger und der Betriebsrat sind nicht mehr bereit, diese Zustände hinzunehmen. Sie fordern einen Haustarifvertrag, in dem festgeschrieben wird:

 eine gerechte Bezahlung für alle, z.B. Ausgleich in den Urlaubsmonaten;

 Regelmäßige Lohnerhöhungen. Früher war es üblich, dass mit der Erhöhung des Abonnementenpreises auch der Trägerlohn stieg. In den letzten Jahren aber gingen die Zeitungsträger/innen leer aus. Sie bekommen pro Zeitung ganze 1,6 Pfennig mehr als 1975 – vor 14 Jahren also.

 Und mehr Urlaub natürlich …


Münchner Lokalberichte 10 vom 8. Mai 1989, 3.