Materialien 1989
Mutige Schüler
Theodor-Heuss-Medaille
„Für die Bildung der Jugend ist durch öffentliche Anstalten zu sorgen. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, Selbstbeherrschung (…) und Aufgeschlossenheit für alles – Wahre, Gute und Schöne.“ So steht es in der Bayerischen Verfassung. Für Jürgen Lachner, Leiter der Gymnasialabteilung des Schulreferats, heißt das: „Alles was polarisiert ist schlecht, Schule soll ein politfreier Raum sein.“ Wie sich diese angestaubten Prinzipien auf die „Anstalten“ auswirken, zeigte sich besonders deutlich am Werner-von-Siemens-Gymnasium. Dort erhielten jetzt Verbindungslehrer Wunibald Heigl und seine 15köpfige Schülerarbeitsgruppe „für bemerkenswerte Ausdauer und Zivilcourage“ bei ihrer politischen Arbeit die Theodor-Heuss-Medaille 1990.
Ein stabiles Rückgrat hat Wunibald Heigl auch nötig. Seit zehn Jahren organisiert der Lehrer mit seiner Arbeitsgruppe Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Kultur- und Informationstage. Die Themenpalette spiegelt die politischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrzehnts wieder: Abrüstung, Umweltschutz, Neue Medien, Flick-Affäre, Apartheid, Nicaragua, Nuklearpolitik und Rechtsradikalismus. „Fast alle Veranstaltungen haben wir gegen erhebliche Widerstände der Schulbehörden durchgesetzt“, sagt Heigl. Um dem kritischen Engagement ein Ende zu setzen, ließen sich Schulleiter und Schulreferat ständig neue Schikanen einfallen. Da wurde eine von über 100 Schülern und Lehrern erarbeitete Ausstellung aus „feuerpolizeilichen Gründen“ geschlossen, bei Diskussionsveranstaltungen zur Kontrolle mitstenographiert. Einen Pressespiegel aus allen Tageszeitungen zur Spenden-Affäre verbot der Schulleiter, weil er angeblich das demokratische System untergraben würde. Und Stadtschulrat Albert Loichinger (CSU) inspizierte zusammen mit Stadtdirektor Lachner auf der Suche nach Einseitigkeit schon mal höchstpersönlich eine Ausstellung.
Loichinger war schon bei den Referentenwahlen 1981 der eigenen Fraktion kaum vermittelbar. Wie bei seiner Wiederwahl zum Stadtschulrat im letzten Jahr setzte er sich auch damals nur mit hauchdünner Mehrheit durch. Burschenschaftler Lachner ist mittlerweile Träger des ‚Silbernen Maulkorbs’, einer alljährlichen Auszeichnung der Jungen Presse Bayern für den größten Zensor im Freistaat.
Eigentliches Ziel der behördlichen Angriffe aber war Wunibald Heigl. Er wurde nicht befördert, als Kollegstufenbetreuer abgesetzt. Seine dienstliche Beurteilung wurde abgestuft. Der Schulleiter drohte Heigl an, ihm keinen Leistungskurs aus dem politischen Fachbereich mehr zuzuteilen. Heimlich wurden Klausuren des Lehrers überprüft. Trotz besten Bemühens fand der Nachkorrektor aber nur einen ‚Mangel’: „Die Abkürzung ‚BRD’ wird (von Heigl in einer Schülerarbeit) nicht moniert, dies lässt Rückschlüsse auf den Unterricht zu.“ Realsatire.
„Die Zustimmung von Eltern, vielen Lehrern, kirchlichen Gruppen und Bürgern aus dem Stadtviertel ist groß. Nur deshalb konnten wir die meisten Angriffe abwehren“, sagt Schülersprecher Florian Heinrich. „Dabei wird uns auch diese bedeutende Auszeichnung helfen“. Die weiteren Preisträger sind Hans-Dietrich Genscher und der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Hermann Lutz (CDU).
Der Preis der überparteilichen Theodor-Heuss-Stiftung bereitet Jürgen Lachner im Schulreferat denn auch einiges Kopfzerbrechen: „Es ist grundsätzlich Anlass zur Freude, wenn irgendwelche Gruppen irgendeine Auszeichnung erhalten.“
Robert Rossmann
Stadtmagazin München 5 vom 30. November 1989, 16.