Materialien 1990
Hannes Fischer - „Friedensarbeiter“
Auch in der Zeit internationaler Entspannung und Abrüstung bleibt Frieden ein Thema, selbst wenn es Gefahr läuft, in Vergessenheit zu geraten. Aus diesem Grund trafen wir uns mit einem Münchner Pazifisten, einem Menschen, der sich den Frieden zum „Beruf“ gemacht hat. Der fol-
gende Artikel unternimmt nur den Versuch, ein Bild dieses Menschen zu zeichnen. Nach langen Diskussionen haben wir dabei bewusst darauf verzichtet, Meinung und Kritik einfließen zu las-
sen. Nicht, weil wir in diesem Punkt meinungs- und kritiklos sind, vielmehr glauben wir, dass die Vermischung einerseits einer Diskussion über Gewaltfreiheit bzw. Gewalt sowie Art und Ideolo-
gie politischer Arbeit und andererseits dem Portrait eines Pazifisten allen Aspekten kaum gerecht werden kann. Dies bedeutet nicht, dass wir uns vor einer solchen Diskussion drücken möchten. Wir werden sie bei Bedarf gerne führen – auch am Beispiel von Hannes Fischer.
Außergewöhnlich zurückhaltend, beinahe schüchtern wirkt er bei unserem ersten Treffen. Jedes Wort scheint wohlüberlegt, fast zwanghaft sein Bemühen, unmissverständliche Sätze zu formu-
lieren, klar und logisch wie – nach seinem Verständnis – das, was er tut. Er heißt Hannes, seine Berufsbezeichnung: „Friedensarbeiter“. Einige Zeitungsausschnitte und von ihm verfasste Flug-
blätter liegen auf dem Tisch: Berichte von seiner Festnahme wegen „Aufforderung zur Blockade“, seine Rede während der Gerichtsverhandlung, Gedanken aus dem Gefängnis. Die Flugis wirken durch Ausstreichungen und Verbesserungen, Handschriftlichem neben Gedrucktem so chaotisch, dass der Beginn der Geschichte, die Hannes erzählt, fast unglaubhaft klingt.
Bis vor acht Jahren lebte er ein völlig unpolitisches Leben, war der erfolgreiche Systemprogram-
mierer, der durch die Welt jettete, viel Kohle verdiente und ausschließlich über Computer nach-
dachte. Heute kann Hannes kein Schlüsselerlebnis mehr nennen, das ihn vom Yuppietum in die Friedensbewegung schleuste. Aber irgendwann bekam auch er mit, dass Computer sehr häufig gegen den Menschen eingesetzt werden, wie z.B. in Waffensystemen. In dem Maße, in dem er zunehmend begann, sich über Politik Gedanken zu machen, verloren für ihn bis dato wichtige Begriffe wie Macht, Jagd nach Geld und Einfluss ihre Bedeutung. Es kam, wie es wirklich selten kommt: Die erste Konsequenz seiner neuen Überzeugung war die Berufsaufgabe des damals neunundzwanzigjährigen und die Annäherung an die Friedensbewegung über eine Münchener Friedensgruppe, deren „Kaffeekränzchenmentalität“ seinen Tatendrang aber nicht befriedigen konnte. So kam er schließlich zur „Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“, die gewalt-
freie Blockaden u.a. in Mutlangen und Neu-Ulm (Pershing-II-Atomraketen) organisierte, an denen Hannes teilnahm. Sein radikales Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, das aus der Gandhilehre stammt, ist für ihn zwar wesentlich, in den Differenzierungen hat es sich in den letzten Jahren aber durch-
aus verändert. So hat er heute beispielsweise keinen klaren Standpunkt zu den „Pflugschar-Aktio-
nen“, deren Ziel die Beschädigung militärischer Anlagen oder Geräte ist. Hannes spricht uns zu-
dem aus dem Herzen, wenn er ehrlich zugibt: „Ich hab’ mich auch nicht hundertprozentig im Griff; kann schon sein, dass ich mal jemand eine schmiere“. Eine Reaktion, die er persönlich lieber vermeiden möchte, weshalb er sich mit Gewaltfreiheitstrainings und Prozessbeobachtungen auf Blockaden und deren mögliche Folgen vorbereitete.
Ende 1986 hatte er cirka achtzig mal blockiert, wurde dabei etwa fünfzig mal festgenommen und wegen angeblicher „verwerflicher Nötigung mit Gewalt“ angezeigt. Die Festnahmen erfolgen dabei willkürlich nach „polizeilichem Ermessen“; so werden zum Beispiel Rentner meistens nur zur Seite getragen, während jüngere Leute oft angezeigt werden. Trotz der Anzeigen blieb zu seiner Überra-
schung jegliche sonstige staatliche Reaktion (bis auf den ersten Strafbefehl wegen der vierten Sitz-
blockade in Mutlangen im August 1985) zunächst aus. Hannes’ Ideologie ist das Grundgesetz. Des-
wegen beschwerte er sich wegen der ausbleibenden Reaktion daraufhin sogar bei der Staatsanwalt-
schaft. Ihm leuchtet es nicht ein, dass er, wenn schon festgenommen, nicht vor Gericht gestellt wird. Zum einen, weil es gegen den Rechtsgrundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verstößt, dass andere BlockiererInnen ständig Verhandlungen haben, und zum anderen betrachtet er die Blocka-
den als rechtmäßig, denn die Aufstellung der ABC-Waffen sei „schweres staatliches Unrecht“. So kann es in seinen Augen nicht sein, dass staat ihn einfach aus der Blockade entfernt, sich dann aber einer Stellungnahme bzw. Begründung sprich Urteilsspruch entzieht. Außerdem will Hannes durch Freispruch bestätigt wissen, dass das Blockieren im Gegensatz zum Polizeieinsatz rechtmä-
ßig ist. Da Blockaden und nachfolgende Prozesse immer nur bei den entsprechenden Standorten der ABC-Waffen in der „Provinz“ erfolgten, entwarf 1985 die Münchner Gruppe „Öffentliche Auf-
forderung zur Blockade“ ein Konzept, den „Widerstand in die Städte zu tragen“. Mit Flugblattak-
tionen – unter anderem am 4. April 1990 – rief sie also in München weiter zu Blockaden auf. Da sie, nach Gandhi, den politischen Gegner immer vorher informierte, wurden sie natürlich in der Regel nach den ersten verteilten Flugis festgenommen. „Der Wunsch nach Erfolg ist nicht der Motor meines Handelns“ wendet Hannes auf unsere Frage nach so verlorengehendr Effizienz ein. Obwohl es seit Ende 1986 bereits einundfünfzig Prozesse mit zwanzig Freisprüchen in München gab, wurde Hannes immer lediglich festgenommen. Als er sich jedoch bei einer dieser Festnahmen vor dem Münchner Amtsgericht von den freundlichen Helfern wegtragen ließ ohne den Mund zu halten und statt dessen lauthals verkündete, dass er wegen gewaltfreien Demonstrierens gegen A-Waffen festgenommen würde, ging die Staatsanwaltschaft weiter. Hannes erhielt einen Prozess wegen angeblich gewalttätigen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Dies widerriefen die Polizisten später zwar, doch der Richter beharrte auf seiner Auslegung und verurteilte ihn zu einer Geldstra-
fe, die Hannes ersatzweise mit siebzig Tagen Gefängnis absaß. Nicht aus finanziellen Erwägungen, sondern er mochte als politischer Gefangener, als der er sich sieht,
1. die „Verdrängung des Unrechts unterwandern“
a) persönliches Verdrängen durch Annahme des Urteils
b) öffentliches Abhaken, da das Urteil akzeptiert (?) wurde
2. durch „moralischen Judo“ – dem Versuch, die Kraft, die die Regierung der BRD für Einschüch-
terungsversuche verwendet, gegen diese selbst zu wenden – das ihm geschehene Unrecht öffentlich machen
3. der Regierung zeigen, dass das „Gefängnis als höchste Einschüchterungsmethode der inner-
staatlichen Abschreckung“ keinen Erfolg hat und so die Regierung dazu bringen, sich „andere Sachen“ einfallen zu lassen, um mit den Problemen fertig zu werden, das heißt unter anderem den Dialog mit den Bürgerinnen wirklich zu suchen statt ihn zu verweigern.
Hannes sieht deshalb den Gefängnisaufenthalt auch als „Mahnwache im Gefängnis“, während er jetzt außerhalb des Gefängnisses an Mahnwachen für Friedensarbeiter im Gefängnis teilnimmt. April bis Juni 1989 verbrachte Hannes im Gefängnis. Da er sich auf weitere Prozesse vorbereiten musste, verweigerte er die Zwangsarbeit, was ihm vier Wochen in Isohaft einbrachte (Bei Isohaft muss unterschieden werden zwischen Isolierung wegen Arbeitsverweigerung und Isolierung zur Unterbindung angeblich staatsgefährdender Kontakte z. B. § 129a). Eine weitere Ersatzfreiheits-
strafe steht noch aus, da Hannes die Tagessätze nicht bezahlt hat.
Doch für Hannes gibt es kein Berufsverbot. Er arbeitet
gegen ABC-Waffen
für die Kampagne BOA (BRD ohne Armee), die als Ziel die soziale Verteidigung hat
für die internationale Kampagne „Friedenstest“ gegen die weltweiten Atomwaffen-„Tests“
für das Volksbegehren „Das bessere Müllkonzept“
hilft anderen bei Prozessen
und muss sich zudem auf seine eigenen anstehenden Prozesse – am 27. Juni begann in Schwäbisch Gmünd ein Verfahren wegen fünfunddreißig Blockaden in Mutlangen (die Staatsanwaltschaft ver-
langt zweihundertfünfzig Tagessätze) – vorbereiten. Das Urteil: zweihundert Tagessätze, die Han-
nes ersatzweise im Gefängnis absitzen wird.
Hannes, der Wert auf die Feststellung legt, dass er kein „Einzel-Kämpfer“ ist, sondern in Gruppen arbeitet und deren Rückhalt (in München und bundesweit) braucht, wehrt sich gegen die Rolle des „Stellvertreters“, der für den Frieden blockiert, mahnt etc., während sich andere ein gutes Gewis-
sen spenden. Andererseits ist er auf Unterstützung angewiesen, da er kein Einkommen hat: bis jetzt ist es ihm noch nicht gelungen, mit seinem „Beruf“ Geld zu verdienen, wobei er aber auch die von uns angesprochene Gefahr einer gesellschaftlichen Abkapselung – eines Sektierertums – sieht.
rathi/jochen
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Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur AbrüstungRegionalgruppe München
Seit dem 14. März 1988 führen wir täglich außer Sonntags von 17 – 18.30 Uhr vor der Neuhauser-
straße 4 – 6 eine Mahnwache durch, solange Leute im Gefängnis sitzen, die gemäß § 240 des Strafgesetzbuches („Verwerfliche Nötigung mit Gewalt“) wegen gewaltfreien Sitzblockaden von ABC-Waffen oder wegen öffentlicher Aufforderung zu diesen Blockaden verurteilt wurden.
Seit November 1983 haben schon mehr als hundert Menschen aus der ganzen BRD Ersatzfreiheitsstrafen bis zu mehreren Monaten abgesessen.
AUF FOLGENDE WEISE KÖNNT IHR EURE SOLIDARITÄT MIT DEN GEFANGENEN AUSDRÜCKEN:
1. Schreibt Briefe an die Inhaftierten ins Gefängnis; bitte Rückporto beilegen (Adressen bei Hannes).
2. Schreibt an Bundesjustizminister Hans Engelhard, 53 Bonn, und protestiert gegen die Krimi-
nalisierung von BlockiererInnen.
Kontaktadressen:
Hannes Fischer, Emil-Riedel-Str. 11, M 22
Ulla Jarusch, Fasanenstr. 38, 8025 Unterhaching, Tel. 089/61 7713
Termine von Münchner Prozessen:
Friedrich Müller, Tel. 089/1688308
bundesweite Kontaktadresse:
Carl-Kabat-Haus, Schulstr. 7, 7075 Mutlangen, Tel. 07171/74263
Spendenkonten:
- Rechtshilfefonds Tübingen, Kreissparkasse Tübingen (BLZ 64150020), Konto-Nr. 679091 (dieser Fonds ermöglicht es z.B. Inhaftierte, die das Gefängnisleben nicht mehr ertragen, „freizukaufen“, also die Reststrafe zu zahlen)
- Regionalgruppe München: Sonderkonto G.B. Limmer, Verwendungszweck „Mahnwache in München“, Postgiroamt München (BLZ 70010080) Konto-Nr. 257648-809
Stadtratte 2 vom August/September 1990, 10 f.