Materialien 1990

BMW-München: 2 IGM-Listen

Verfahren nach § 11 der IGM-Satzung

Bei der Betriebsratswahl im Frühjahr kandidierte im Münchner BMW-Werk neben der offiziellen IG Metall-Liste eine zweite Liste „Alternative“, die von IG Metall-Mitgliedern überwiegend aus dem Arbeiterbereich gebildet worden war. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 76 Prozent sehr hoch. Die offizielle IG Metall-Liste erhielt 18.117 Stimmen, 90,8 Prozent und 39 Sitze, die zweite Liste 1.843 Stimmen, 9,2 Prozent und vier Sitze. Von den Fertigungsarbeitern, die in München bei BMW mittlerweile eine Minderheit sind, haben etwa ein Fünftel die Liste „Alternative“ gewählt, insbesondere in Bereichen, wo Kandidaten der Liste persönlich bekannt sind.

Der alte Betriebsrat versuchte die Listenbildung zu unterdrücken, weil für ihn die zweite Liste Schwächung der IG Metall bedeutet. Ganz abwegig ist dieser Standpunkt nicht. Bei Aufstellung der offiziellen IG Metall-Liste wurde darauf geachtet, dass alle Teile der Belegschaft, alle Nationalitäten sowie Frau und Mann angemessen personell berücksichtigt werden. Dieses mühsam erreichte Gleichgewicht ist bei einer weiteren Liste aus dem IG Metall-Bereich gestört – Spaltungsmanöver von Seiten der Geschäftsleitung werden möglich.

Andererseits hat die schon vorher ausgewogene personelle Zusammensetzung nicht für eine gleichmäßige Vertretung aller Interessen gegen das BMW-Kapital sorgen können. Bei BMW-München sinkt der Arbeiteranteil, die Zahl der Angestellten steigt und beträgt schon fast die Hälfte. Der Versuch des Betriebsrates, auch diesen Belegschaftsteil mit einzubeziehen, hat zu einer Vernachlässigung von Arbeiterinteressen geführt. Dies wurde deutlich an der vorgelegten „Leistungsbilanz“ (Der Betriebsrat informiert, Standort München, Nr. 3/90), in der vorwiegend Betriebsvereinbarungen aufgezählt wurden, die besser Verdienenden nützen (z.B. ein steuerfreier Zinszuschuss bei Erwerb von Wohnungseigentum oder die Möglichkeit’ einer steuerbegünstigten Lebensversicherung als Ergänzung zur Rentenversicherung). Bei Vereinbarungen, die auch Arbeiter betreffen (zur Vorruhestandsregelung, zum Weihnachtsgeld und zu den „BMW-Standarddaten“, wie MTM bei BMW heißt), wurden vom Konzern geplante Verschlechterungen lediglich gemildert.

Die zweite Liste begründete ihre Kandidatur in ihrem Wahlprogramm: „Insbesondere wollen wir durch unsere Kandidatur eine bessere Vertretung von Akkordarbeitern und ausländischen Kollegen und Kolleginnen erreichen. Viele Kolleginnen und Kollegen machen sich große Sorgen um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze im Münchner Werk. Hunderte Arbeitsplätze sind schon von München wegverlagert oder wegrationalisiert worden. Ein beträchtlicher Teil der Beschäftigten ist mit Arbeitsbedingungen, Betriebsklima und der Arbeit der Mehrheit des bisherigen Betriebsrats sehr unzufrieden. Der Leistungsdruck durch Arbeitsverdichtung wächst. Es werden viele, zuviele Überstunden gemacht. Es wird Druck auf Kranke ausgeübt. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist eingeengt. Wer aufmuckt, wird benachteiligt. Jasager (Radfahrer) steigen auf. Daran muss sich etwas ändern.“ (Programm der Liste ALTERNATIVE, Hervorhebungen im Original)

Die hohe Wahlbeteiligung hat gezeigt, dass es der Betriebsratsmehrheit zwar gelungen ist, im Angestelltenbereich Vertrauen zu gewinnen. Die Stimmen für die Liste „Alternative“ machen aber deutlich, dass unter den Bandarbeitern der alte Betriebsrat an Vertrauen verloren hat. Auf der Betriebsversammlung nach den Wahlen gab der Betriebsratsvorsitzende Schoch dies indirekt zu, indem er die Erhöhung der Löhne der Fertigungsarbeiter als eine wichtige Aufgabe für den neuen Betriebsrat bezeichnete.

Die Kandidatur der Liste „Alternative“ hat Fehler in der Betriebsratsarbeit sichtbar gemacht und auch der offiziellen IG Metall-Liste die Möglichkeit zur Korrektur gegeben. Trotzdem beantragte die VK-Leitung ein Untersuchungsverfahren nach § 11 der IG Metall-Satzung zur Feststellung von gewerkschaftsschädigendem Verhalten. Die Ortsverwaltung der IG Metall hat Verfahren davon abhängig gemacht, ob die Kollegen auf der Vertrauensleutesitzung vor der Betriebsratswahl anwesend waren, wo VK-Leiter Tögel die Kandidatur als satzungswidrig bezeichnete. So wurden gegen alle türkische Kandidaten und nur gegen diese Verfahren eingeleitet, eine Entscheidung steht noch aus. Bei den anderen Kollegen (griechischer, deutscher und italienischer Nationalität) wurde eine Rüge ohne Verfahren erteilt.

Innerhalb des Betriebsrates wird der Liste „Alternative“ die Mitarbeit verwehrt. Dies führt dazu, dass sich die Auseinandersetzungen auf die Betriebsversammlungen verlagern. Dort denunzierte der Betriebsratsvorsitzende sämtliche Kritik an einer neuen Betriebsvereinbarung, die die Auflösung der Qualitätskontrolle und Selbstprüfung durch die Bandarbeiter regelt, als „Unruhestiftung“.

(mu, BWK)


SoZ – Sozialistische Zeitung 20 vom 27. September 1990, 6.