Materialien 1990

Ende mit Schrecken

Trotz massiver Proteste verkaufen die Gewerkschaften die bayerische Wohnungsgesellschaft

Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder tatsächlichen Ereignissen ist rein zufällig. Alfons Doblinger ist nicht Horst Schiesser. Er ist Bauunternehmer und nicht Bäcker, er hat schon mal Wohnungen gekauft, saniert und weitervermietet. Wenn es denn eines Beweises bedürfte, dass der Verkauf der Neuen Heimat Bayern an den bisher ziemlich unbekannten mittelständischen Unter-
nehmer keine einfache Wiederholung ist, sondern dass zumindest die Gewerkschaften etwa gelernt haben aus dem völlig verkorksten Coup im Herbst 1986, als sie ihren Wohnungskonzern an den Berliner Bäcker Horst Schiesser verramschten, dann liegt er zählbar auf dem Tisch: Doblinger zahlt fast eine Milliarde Mark und nicht nur eine.

Noch einmal, ein letztes Mal, erregt ein Geschäft des gewerkschaftlichen Skandal-Unternehmens die Gemüter von Mietern und Politikern. Bewohner von Häusern der Neuen Heimat in München protestierten am Montag vor dem Gewerkschaftshaus der Stadt. Oberbürgermeister Georg Krona-
witter forderte eine „Gnadenfrist“ von einer Woche, in der die bayerische Staatsregierung vielleicht noch als Käufer zum Zuge kommen könne. Doch die Gewerkschafter waren zum Verkauf entschlos-
sen, am Montag besiegelte der Aufsichtsrat ihrer Firmenholding BGAG, der die Neue Heimat gehört, das Geschäft.

BGAG-Chef Hans Matthöfer kann mit dem Geld Schulden aus dem Neue-Heimat-Debakel zurück-
zahlen, das die Gewerkschaftsholding immerhin rund vier Milliarden Mark kostete. Edmund Stoiber, bayerischer Innenminister und für Wohnungsbau zuständig, und seine Parteifreunde, die bei der am Jahresende anstehenden Landtagswahl um das Erbe des Franz Josef Strauß fürchten müssen, werden über den Wahlkampfschlager frohlocken. Stoiber spielt mit Freude den Schutz-
patron der gebeutelten Mieter: „Wir haben alles versucht, die Gewerkschaften von ihrem unverantwortlichen Verkauf abzubringen.“

Vieles erinnert in der Tat an den Überraschungscoup mit Horst Schiesser vom Herbst 1986. Selbst im Wohnungsbaugewerbe ist Doblinger ziemlich unbekannt, ein Terminwunsch bei Stoiber blieb in der vergangenen Woche noch unbeantwortet. Mit der plötzlichen Publizität kann er offensicht-
lich noch wenig umgehen. Eine Presseerklärung vom Dienstag dieser Woche enthüllte nicht mehr, als bis dahin aus dem Telephonbuch bekannt war. Und auch die Presse ist über die „Doblinger-Gruppe“ nicht informiert – kein Umsatz, keine Beschäftigtenzahl, wenig Konkretes. Die BGAG hat Alfons Doblinger aber aus knapp einem Dutzend privater Bewerber ausgewählt, weil er ein Bayer und „offenbar ein Mann guter Bonität“ ist.

Die Wertschätzung der Gewerkschafter deckt sich mit der des Yuppie-Wirtschaftsmagazins Forbes, das Alfons Doblinger zu den vierhundert reichsten Deutschen zählt, „Vermögen: über 270 Millionen DM“. Wenn das stimmt, dann hat Doblinger sich seinen Schatz mit immer neuen Übernahmen kleinerer Firmen zusammengekauft. Noch 1978 machte die Alfons Doblinger Anlagenbau in Straubing mit einem Bauunternehmen und einem Sägewerk nur rund hundert Millionen Mark Umsatz. Der wurde auf einen Schlag mehr als verdoppelt, als Doblinger Anfang 1980 eine Möbelfirma im ostwestfälischen Langenberg und eine Firma für Metall- und Fassadenbau in München übernahm, die auch am Dach des Olympiastadions mitgebaut hatte.

Von 1986 an wuchs seine Firmengruppe dann kontinuierlich. Erst übernahm er die Vegla Vereinigte Glaswerke, Aachen, die kein Glas mehr produzierte, sondern sich mit der Vermietung und Verwaltung ihres Grundbesitzes befasste. Die Gebäude auf dem Werksgelände wurden vor allem an Klein- und Mittelunternehmer verpachtet. Ein Jahr später kam dann ein Unternehmen aus Fellbach bei Stuttgart hinzu, das sich auf die Reparatur und den Ersatzteildienst für Omnibusse spezialisiert hatte. Schließlich gründete Doblinger Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit dem ehemaligen Manager der Hoesch-Tochter Ohrenstein & Koppel, Karl-Heinz Siepe, die Siepe und Doblinger Industriebeteiligungen, die erst im Februar eine Düsseldorfer Ingenieurgesellschaft übernahm, bei der immerhin rund 300 Mitarbeiter beschäftigt sind. Mit der Neugründung wollen Doblinger und Siepe zukünftig auf dem deutschen Firmenmarkt mitmischen und Unternehmen mit Umsätzen von mindestens fünfzig Millionen Mark aufkaufen und entwickeln.

„Der Bua aus der Oberpfalz ist ein Phantom auf dem Münchner Immobilienmarkt“, schrieb das dortige Boulevardblatt AZ: „Scheu, verkniffen, gerissen nennen ihn Konkurrenten.“ Tatsächlich wird manches gemunkelt im Zusammenhang mit Pleiten einiger Firmen, die Doblinger aufgekauft hat. Da fällt auch schon mal das Wort vom assetstripper, der Unternehmen kauft, um wertvolle Betriebsteile zu versilbern und den Rest pleite gehen zu lassen. Glaubt man der Argumentation des bayerischen Innenministers, dann wird Doblinger auch bei seinem neuesten und bisher größten Coup nichts anderes übrigbleiben, als zumindest große Teile des Vermögens der Neue Heimat Bayern über kurz oder lang zu verkaufen.

Mehr als 500 Millionen Mark, so haben Stoibers Experten ausgerechnet, dürfe man nicht für das Unternehmen mit seinen 33.000 Wohnungen, davon fast die Hälfte in München, bezahlen, wenn es in der bisherigen Form weitergeführt werden soll. Die Kalkulation ist schlicht und einfach: Mit einem jährlichen Gewinn von höchsten 35 Millionen Mark, die bei der gesunden NHBayern jährlich entstehen, sind bei einem Zins von sieben Prozent maximal 500 Millionen Mark zu finanzieren. Wer mehr zahlt, muss das Vermögen versilbern, um auf seine Kosten zu kommen. Deshalb bestreitet Stoiber auch energisch Informationen, das Land oder von ihm vermittelte Käufer hätten noch selbst im Dezember 850 Millionen Mark geboten.

Gepokert hat Stoiber aber in jedem Fall, um den Vorwurf, die Gewerkschaften seien geldgierig, politisch ausschlachten zu können. Möglicherweise war er aber auch sicher, das Unternehmen zu einem günstigeren Preis als den 950 Millionen Mark zu bekommen, die die Gewerkschaften erwarteten. Als die dänische Thorsen-Gruppe Anfang des Jahres kaufen wollte, zogen die bayerischen Banken ihr Finanzierungsangebot zurück, sobald das Geschäft öffentlich bekannt geworden war. Und es ist vielleicht kein Zufall, dass im Bankenkonsortium von Doblinger kein bayerisches Institut vertreten ist.

Die Gewerkschaftsholding BGAG aber hatte wohl keine andere Wahl, als zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen, denn die Neue Heimat Bayern war der letzte Vermögensteil, der zur Tilgung der immensen Schulden verkauft werden kann. BfG und Volksfürsorge sind längst meistbietend veräußert, und von Europas einst größtem Wohnungskonzern besteht nur noch ein trauriger Rest. Bis auf die Regionalgesellschaft Niedersachsen, die noch 20.000 Wohnungen verwaltet und allein weiterbestehen kann, ist alles verkauft. Bis zum Sommer muss der Treuhänder Heinz Sippel die Bilanz für 1989 vorlegen, und dann werden ein paar Beschäftigte in Hamburg nur noch die Renten und Pensionen für ihre ehemaligen Kollegen verwalten.

Rainer Hupe


Die Zeit 20 vom 11. Mai 1990.