Materialien 1990
Durchs wilde Kurdistan
Zurück aus türkischer Haft: Die Münchnerin Hella Schlumberger
Mit der Schriftstellerin und Publizistin sprach Mira Beham
„Nieder mit der Voliere! Für eine freie Türkei mit einem gleichberechtigten Kurdistan!“ – dieser Eintrag in das Gästebuch einer türkischen Vogelzuchtfarm hatte für die politisch engagierte Münchner Schriftstellerin und Publizistin Hella Schlumberger fatale Folgen. Wegen „bölücülük propagandasi“, wegen politischer Propaganda, wurde sie ein paar Tage nach der Niederschrift dieses Spruches festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Zwölf bange Tage verbrachte Hella Schlumberger in dem berüchtigten Frauengefängnis der ostanatolischen Stadt Diyarbakir. Bang deshalb, weil für das Vergehen der bölücülük propagandasi in der Türkei mindestens fünf bis zehn Jahre stehen.
Die Formulierung „mit einem gleichberechtigten Kurdistan“ hat Hella Schlumberger vor einer langen Haftstrafe bewahrt und zu ihrem Freispruch geführt. Hätte sie andere Worte gewählt, wäre ihr kurdischer Separatismus unterstellt worden, und nichts fürchten die Türken mehr als die Unabhängigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheit in ihrem Land. Das Problem der Kurden, die mit 20 Millionen Menschen, verteilt auf fünf Länder im vorderasiatischen Raum die größte Volksgruppe der Welt ohne eigenen Staat bilden, ist für die Türkei nach wie vor eines der drängendsten.
Nicht zuletzt auch die Intervention bundesdeutscher Politiker wie Genscher & Co. sowie das Eintreten des PEN, des Schriftstellerverbandes in der BRD und vieler prominenter Kollegen und Freunde für die Inhaftierte haben zu Hella Schlumbergers Freilassung geführt. Erst nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik konnte die Autorin das Ausmaß dieser breiten Solidarität erfassen: Briefe, Telegramme, Grußbotschaften und laufend Anrufe. Alle rissen sich um sie wie um einen exotischen Vogel: von Walter Momper, der sie unbedingt auf einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im Schwabingerbräu begrüßen wollte, bis zum Bundespräsidenten, der sie Mitte Februar in Bonn empfing. Ähnlich geierten die Medien quer durch die Republik, deren vorläufiger Sieger der SPIEGEL mit einem Story-Auftrag geblieben ist.
Am meisten gefreut hat Hella Schlumberger die feste Entschlossenheit Günther Wallraffs, sie auf Biegen und Brechen aus dem türkischen Gefängnis zu befreien – denn genau davon hatte sie dort geträumt.
Hella, es hat einen großen (Medien-)Rummel gegeben um Deinen Fall, aber auch und vor allem Widersprüche im öffentlichen Umgang damit. Wie hat sich denn die deutsche Berichterstattung von der in der Türkei unterschieden?
Also, den Rummel hier habe ich manchmal doch als recht lästig empfunden, weil da auch leicht so ein frecher Ton hineinkommt, der mir nicht passt. Manchmal ging er fast in Richtung des Lächerlichmachens: ‚Unsere kleine Sponti-Frau, was hat sie denn da schon wieder so unüberlegt gemacht?’ Der Deutsche hebt so gern den moralischen Zeigefinger. Von vielen Seiten kam die indirekte Aufforderung: ‚Tu das bloß nicht mehr.’ Und das macht mir Sorge.
In der ersten dpa-Meldung hieß es: Sie hat etwas in das Gästebuch ‚gekritzelt’. Oder in der SZ: ‚Sie forderte Freiheit und landete im Gefängnis.’ Das Wort „landen“ impliziert, dass man da hingehört, wo man hingekommen ist. – Im übrigen geht der Rummel so weit, dass Journalisten in meine Wohnung drängen oder mich anrufen und auffordern, ich soll jetzt auspacken, ich hätte nämlich in der Türkei nicht alles gesagt. Ein frech-dreister Ton, der nicht ernst nehmen will, dass da was passiert ist, das ich nicht geplant habe. Es kam im übrigen sogar die Unterstellung, dass ich das alles gemacht habe, um die Auflage meines Buches hochzutreiben, das ich nebenbei gesagt noch gar nicht geschrieben habe.
Da liegt ja auch ein Widerspruch, nämlich dass Deine schriftstellerische, publizistische und politische Arbeit, die Du vorher geleistet hast, in dem Maße natürlich nicht wahrgenommen worden ist, wie jetzt dieser Zwischenfall, der dann auch noch gleichzeitig von der Sache her verniedlicht wird.
Ja, die Verhaftung hat selbstverständlich mit dem zu tun, was ich seit zehn Jahren sage und schreibe. Hier wird aber wieder dem wirklichen Problem aus dem Weg gegangen, nämlich der rassistischen Behandlung der Kurden als Untermenschen, der Tabuisierung all dessen, was kurdisch bedeutet. In der Türkei gibt es die großen vier ‚Ks’, die vier Tabus meinen: erstens ‚Kadin’, die Frau; zweitens ‚Kizilbas’, die Mystiker; drittens ‚Komunist’ und viertens ‚Kürt’, die Kurden.
Der Inhalt der Zeilen, die ich geschrieben habe, ist alles andere als spontan gewesen, so wie es etwa die SZ dargestellt hat. Er umschreibt das, was ich den Kurden als Mindestes wünsche. – Gerade von Zeitungen wie der Süddeutschen, die von einer großen Öffentlichkeit gelesen werden, sollte mein Handeln auch als ernste politische Aktion verstanden werden. Das war aber nicht der Fall, und darüber habe ich mich sehr geärgert.
In der Berichterstattung der SZ bin ich dargestellt worden wie das kleine dumme Weibchen, das etwas aus dem Bauch heraus macht, so ganz kopflos. Ich kann heute noch nicht genau sagen, warum ich den Eintrag gemacht habe, aber ich war mir über die Bedeutung des Wortlauts voll bewusst.
Hat es in der Türkei für Dich andere Situationen gegeben, in denen Du in einer ähnlich gefährdeten Lage gewesen bist, die jedoch nicht ganz so öffentlich waren, wie dieser Eintrag in das Gästebuch einer Vogelfarm?
Ich habe oft Diskussionen geführt mit Kurden über die Möglichkeiten des bewaffneten Kampfes gegen ein Militärregime, das Leid und Greuel verbreitet. Wenn in solchen Momenten die Türe aufgegangen wäre, hätten wir alle dran glauben müssen. – Das ist übrigens auch so ein Punkt, der mich an der Berichterstattung vor Ort geärgert hat. Da war in meinem Zusammenhang die Rede von ‚Freiheitsbewegung’, womit ich wieder in die Ecke gestellt wurde, ‚die hat sowas Verrücktes ja immer schon getan’. Wie undifferenziert die Leute über solche Dinge Bescheid wissen, zeigt der Umstand, dass sie von ‚türkischen Kurden’ reden. Es gibt keine türkischen, iranischen oder sonstwelche Kurden, es gibt nur die Kurden.
Wie war denn die Reaktion der türkischen Presse auf Deine Verhaftung?
Ich habe mich seht gefreut über die Solidarität der türkischen Presse und den Mut der Kollegen, auch wenn sie nicht immer meiner Meinung waren. Mutig waren sie deshalb, weil jede Verfehlung in der Presse mit dem Gefängnis geahndet wird. Und der Verhaftung geht in der Regel immer noch die Folter voraus, die heute nach wie vor ‚normal’ ist in der Türkei. Politisch Verfolgte aus diesem Land kann man einfach nicht abschieben, wie es deutsche Behörden und Gerichtshöfe gerne tun.
Jedenfalls haben mir die wichtigsten kurdischen und türkischen Kämpfer gedankt: Mit Millionen von türkischen Lira, so stellten sie fest, hätten sie es nicht geschafft, dass das Wort Kurdistan tagelang auf der ersten Seite der türkischen Zeitungen gestanden hätte, so wie es in meinem Zusammenhang der Fall war. Für sie bin ich jetzt die ‚Mutter aller kurdischen Kinder’ – so sagt man das eben im Orient.
Und diese relative Prominenz werde ich für meine weitere Arbeit ausnützen. Ich habe politisch und menschlich viel gelernt aus diesem Zwischenfall.
Im übrigen empfehle ich den STADTMAGAZIN – Leserinnen und Lesern eine ungeheuer spannende Lektüre, die ethnologisch vortrefflich das Leben dieser so verfolgten Volksgruppe beschreibt: Karl May, ‚Durchs wilde Kurdistan’.
Buch-Empfehlung des STADTMAGAZINS: Hella Schlumberger, Kurdische Reise. Aus dem Leben eines bedrohten Volkes. Goldmann Verlag, München 1989.
Stadtmagazin München 5 vom 8. März 1990, 14 f.