Materialien 1990

Antwort an das Volk

Hat der Sozialismus nach Stalin, Pol Pot und Ceausescu noch eine Zukunft? Ist mit dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“ auch die marxistische Utopie begraben worden? Welche Per-
spektive hat die Linke im östlichen Europa nach dem Revolutionsjahr 1989?

Jawohl, meine Herren. So haben wir es gern. Ab heute gehört uns die Welt.

Die Truman-Doktrin von 1947, die Rollback-Politik von John Foster Dulles, die 13 Milliarden US-
Dollar des sogenannten Marshall-Plans, in den Wiederaufbau Westeuropas unter amerikanisch-kapitalistischer Führung gesteckt – alles Investitionen, die sich jetzt gelohnt haben.

Durchgesetzt hat sich die amerikanische Lebensweise. Wer das Geld hat, hat auch das Sagen. Alles ist käuflich.

In den Vereinigten Staaten von Amerika, die selber aus einer Revolution hervorgegangen sind, spricht man nun offen vom Ende der Geschichte. Jahrtausendelang habe die Menschheit um die richtige Gesellschaftsform gekämpft; nun sei sie gefunden.

Der Kapitalismus sei das richtige Wirtschaftssystem und der bürgerliche Parlamentarismus die richtige Regierungsform.

Lenins Oktoberrevolution von 1917 habe sich als ein Irrweg erwiesen. Wäre das russische Volk damals Kerenski gefolgt und nicht Lenin, so wäre Russland heute kapitalistisch und hätte keine Wirtschaftsprobleme. Der Marxismus sei von Anfang an eine Irrlehre gewesen, und nur Verblen-
dete hätten sie überhaupt ernst nehmen können.

Gerechtigkeit ist das nicht. Aber die Sieger schreiben die Geschichte. Ihrer ist der Weltmarkt, wer wollte das bestreiten. Der Gott des Kapitals heißt Wohlstand. Dafür nimmt man den Untergang der Menschheit in Kauf.

Nicht der Sozialismus ist schuld an der Ausbeutung der Erde, an der Verschwendung der Rohstof-
fe, an dem Elendsproletariat der Dritten Welt, an den beiden imperialistischen Weltkriegen dieses Jahrhunderts. Nicht der Sozialismus ist schuld, wenn in Brasilien der Regenwald abgeholzt wird, in Südafrika unter der schwarzen Mehrheit Blutbäder angerichtet werden, in Lateinamerika kor-
rupte Regime an der Macht sind.

Jawohl, meine Herren. So haben wir es gern. Die Massenpsychologie des Faschismus hat sich durchgesetzt.

Antikommunismus

Nun hat auch die DDR kapituliert. Die erste freie Volkskammerwahl brachte das erwünschte kapitalistische Ergebnis.

Mit massiver Unterstützung wahlkampferprobter westdeutscher Politiker haben die Rechten ge-
siegt. Sie versprachen nicht nur die Wiedervereinigung, sondern vor allem die Einführung der Freien Marktwirtschaft unter Zerschlagung der großen Kombinate. Die Volkseigenen Betriebe sollten aus dem Besitz des Staates in Privateigentum überführt werden.

Sie haben das Ziel erreicht. Aber beweist das etwas gegen den Sozialismus?

Auch dieses Wahlergebnis ist eindeutig antikommunistisch gewesen. Um es zu verstehen, muss man sich die Phasen der Kulturrevolution in der DDR einmal genau anschauen.

In der ersten Phase war diese Revolution eine Reformbewegung des Sozialismus. Sie richtete sich gegen die Bespitzelung durch den allmächtigen Staatssicherheitsdienst und forderte Demokratie.

In der zweiten Phase nahm die Bürgerrechtsbewegung, die zunächst nur den Dialog mit dem Staat gesucht hatte, bereits antisozialistische Zuge an. Jetzt ging es ihr nicht mehr um demokratische Reformen, sondern um die Veränderung der Machtverhältnisse.

In der dritten Phase geht sie vom antisozialistischen Kampf zur offenen Konterrevolution über. Dies ist der Augenblick, in dem ihre Vertreter am Runden Tisch in Ostberlin beschließen, dass
im Wahlkampf der DDR keine westdeutschen Politiker auftreten dürfen, aber keine Macht mehr haben, diesen Beschluss auch durchzusetzen. Die Gegner der Wiedervereinigung werden von den Demonstrationen und Kundgebungen der Bewegung ausgeschlossen und die Feinde der DDR ins Land geholt.

Was als Demokratiebewegung begann, endete im Antikommunismus. Ganz so, als könnte es eine antikommunistische Demokratie wirklich geben.

Dass Stalinismus unvereinbar ist mit Demokratie, wissen wir. Dass Antikommunismus ebenso un-
vereinbar mit Demokratie ist, wissen nur wir Demokraten.

Antikommunismus ist das, was die Menschen gewöhnlich als Gemeinheit bezeichnen. Diese Ge-
meinheit ist noch viel hässlicher als die bloße Gehässigkeit; denn Gehässigkeit muss verbalisiert werden, und darum kann man sich gegen sie wehren, während Gemeinheit unausgesprochen prak-
tiziert wird und in der Ächtung des Sozialisten besteht, der aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen wird.

Antikommunismus ist gegen die Liebe zwischen den Menschen gerichtet. Er zerstört Solidarität, Brüderlichkeit und Ideale.

Antikommunismus ist wie Tollwut. Und das Herz des Antikommunisten ist eine Mördergrube.

Antikommunismus hat immer das moralische Mäntelchen um. Damit beschwichtigt er das Gewis-
sen. Denn so kann er vorgeben, im Recht zu sein.

Die Psychologie des Antikommunismus ist die Gemeinheit. Seine Philosophie heißt: „Lieber tot als rot!“ Und seine Politik besteht in der Verhinderung von Revolution.

Die Parole „Wir sind das Volk!“ hatte ihre Berechtigung, solange sie sich gegen die auf den Staats-
apparat gestützte Vorherrschaft der SED richtete. Nachdem die SED ihre Führungsrolle aus der Verfassung gestrichen und sich sogar aus den Betrieben zurückgezogen hatte, war diese Parole nur noch eine Phrase, hinter der sich die Reaktion verbergen konnte.

Reaktion heißt konkret: „Nieder mit dem Sozialismus! Deutschland, einig Vaterland! Wiederver-
einigung!“

Gleichschaltung

„Die Allianz für Deutschland ist gegen den Sozialismus und gegen jeden Versuch, den Sozialismus – unter welcher Tarnbezeichnung auch immer – weiterzuführen.“ Man ließ es sich gefallen. „Frei-
heit statt Sozialismus!“ Man schluckte auch das.

Die Verstaatlichung der Wirtschaft in Vergesellschaftung überzuführen, wäre ein Akt der Vernunft gewesen. Dass Stalinisten den Unterschied zwischen Verstaatlichung und Vergesellschaftung von Anfang an verwischt und beides miteinander gleichgesetzt hatten, rächte sich nun.

Natürlich ist die DDR-Wirtschaft nicht mit Reichtümern gesegnet gewesen. Aber sie hat den arbei-
tenden Menschen bis dahin ein menschenwürdiges Leben sichern können.

Vergesellschaftung der Produktionsmittel in der Hand der Produzenten hätte eine ganz andere Marktwirtschaft erzeugt als die kapitalistische. Wäre der unternehmerische Geist der Arbeiter-
klasse erwacht, dann hätte die DDR-Wirtschaft zu einer anderen Blüte kommen können als zu der von den Kapitalisten versprochenen.

Statt dessen behielten die alten Betriebsleiter die Macht, weil sie rechtzeitig aus der SED ausge-
treten waren. Die Revolution gegen die Herrschaft der Manager blieb aus.

Zentralistische Planwirtschaft ist im Grunde Staatskapitalismus. Der Staat als Gesamtunternehmer tritt dem arbeitenden Menschen nicht sehr viel anders entgegen als der einzelne Unternehmer im Privatkapitalismus westlicher Prägung. Was sich ideologisch einen Arbeiter- und Bauernstaat nannte, war in Wirklichkeit eine bürokratisch-technokratische Kommandowirtschaft, die hierar-
chisch von oben nach unten organisiert war und einige Ähnlichkeiten mit den kapitalistischen Konzernen des Westens hatte.

Der SED-Staat stalinistischer Prägung verpflichtete alle Bürger zur Staatstreue. Wer sich der Staatsführung durch das Politbüro nicht willig fügte, war ein Sicherheitsrisiko. Der potentielle Staatsfeind musste aufgespürt und kriminalisiert werden, bevor er Schaden anrichten konnte.

Das erklärt die Gleichschaltung aller DDR-Bürger, ob Männer oder Frauen, unter das Gesetz der Staatssicherheit. Das erklärt die Brisanz der vom Staatssicherheitsdienst gesammelten Informa-
tionen über Millionen Staatsbürger. Das macht verständlich, warum der Stasi gefürchtet wurde wie Gott, der Allmächtige und Allwissende.

Die Kulturrevolution war eine Demokratiebewegung zur Abschaffung eines Spitzelsystems, das dazu da war, die Chefetage von Wirtschaft und Politik gegen Kritik von unten zu schützen, damit sie ungehindert große Politik machen konnte. Woche für Woche ließ sich der Genosse Staatsrats-
vorsitzender vom Genossen Minister für Staatssicherheit unter vier Augen Bericht über die Stim-
mung im Volke erstatten.

Es gab viele Gründe, dem Volk zu misstrauen. Der einzig berechtigte war die Angst der herrschen-
den Staatspartei vor den Auswirkungen der Reformpolitik von Gorbatschow auf die DDR.

Das bürokratisch-technokratische System der SED-Herrschaft war nach Stalin’schem Vorbild auf einen Administrator an der Spitze zugeschnitten, der wie ein Monarch regierte.

Er konnte sich darauf berufen, eine perfekte Ordnung geschaffen zu haben, in der für das Gröbste gesorgt war. Im Vergleich zur BRD schnitt die DDR in vielen gesellschaftlichen Fragen sogar besser ab: keine Arbeitslosigkeit, qualifizierte Ausbildung, niedrige Mieten, volle Berufstätigkeit der Frau-
en, Kinderkrippen und Kindergärten in ausreichender Zahl, polytechnische Erziehung, billige Ver-
kehrsmittel, preiswerte Lebensmittel, angemessene Altersversorgung, soziale Einrichtungen, Soli-
darität, Lebensqualität – und vor allem: keine Profitwirtschaft.

Reformpolitik hätte bedeutet: Beteiligung des Volkes an den politischen Entscheidungen, Einlei-
tung eines demokratischen Prozesses der Kontrolle von unten, Vergesellschaftung der staatlichen Produktionsmittel in der Hand der Arbeiterklasse.

Statt dessen wurde seit 1985 die Zahl der Stasi-Mitarbeiter drastisch erhöht. Man verstärkte also den Staatsschutz, weil man den kapitalistischen Westen als Devisenbringer betrachtete, mit dem man Handel treiben wollte, um das Volk in seinen Konsumwünschen zu befriedigen.

Die SED wurde gestürzt. Ihre Wirtschaftsmanager blieben. Nicht mehr abhängig von der einstigen Kommandozentrale im Haus der Tausend Telefone (und ohne gewerkschaftlichen Widerstand), konnten sie genau das fortsetzen,was sie vor der Kulturrevolution eingeleitet hatten: den schritt-
weisen Ausverkauf von staatseigenem Volksvermögen an investitionsbereite westdeutsche Kapita-
listen.

Ehe noch die Mauer gefallen wart war die Ausrichtung der DDR-Wirtschaft auf die kapitalistische Marktwirtschaft schon vollzogen.

Haben die Arbeiterinnen und Arbeiter dieses Komplott zur Gleichschaltung verschlafen? Haben sie die Stimme der Vernunft nicht gehört, die ihnen riet, ihre Betriebe in Selbstverwaltung zu über-
nehmen?

Statt ihre Vorgesetzten, die ehemaligen Genossen Betriebsdirektoren, aus den Ämtern zu jagen, fügten sich die werktätigen Massen weiterhin den Direktiven von oben – orientierungslos und ohne Führung.

Bis jetzt konnte man es als Handwerker in der DDR bis zum Millionär bringen – Stichwort „Fei-
erabendbrigaden“. Nun kommt mit der Währungsunion der Zwangsumtausch und zugleich eine Neubewertung aller Betriebe nach kapitalistischen Maßstäben, die dem gesellschaftlichen Wert nicht gerecht werden können.

Natürlich ist das Wort Sozialismus in der DDR gründlich diskreditiert. Aber was man bis jetzt unter Sozialismus verstanden hat, ist doch nichts anderes als Verstaatlichung gewesen.

„Nie wieder Sozialismus!“ heißt lediglich: „Nie wieder Verstaatlichung!“ Und damit ist die Zukunft des Sozialismus im Sinne von Vergesellschaftung der Produktionsmittel in der Hand der Produ-
zenten, die über sie verfügen, wieder offen.

Nationalismus

Alles Neue braucht Zeit, bis es sich durchgesetzt hat. Der Sozialismus ist etwas Neues. Er schafft Eigentumsverhältnisse, in denen der Mensch sich selber gehört.

Ja, ist denn das nicht gerade das, was die Kapitalisten wollen? Eben nicht.

Im Kapitalismus arbeitet man nicht, um zu leben; man lebt, um zu arbeiten. Geld ist das einzige, was zählt. Vom Besitz besessen zu sein, gilt als Sicherheit.

Der Nationalismus ist eine Ideologie, mit der Eigentumsverhältnisse verteidigt werden, die den Menschen zur Sache machen. Wie alle Ideologien lebt er vom Feindbild. Sein Feindbild ist die Revolution.

Revolution machen die Menschen, um glücklich zu werden. Das ist ihre einzige Rechtfertigung. Wären die Menschen glücklich und nicht unglücklich, dann brauchten sie nicht Revolution zu machen.

Revolutionen werden gemacht, um von etwas freizukommen, was als ungerecht und empörend empfunden wird. Werden solche Revolutionen nicht zu Ende geführt, dann gehen sie in Nationa-
lismus über, der sich gegen das Fremde, das Ausländische, das nicht Gleichzuschaltende richtet. In der nationalen Besoffenheit verbrüdern sich Proleten mit Kapitalisten, Kleinbürger mit Managern, Arbeiterinnen mit dem Patriarchat, weil sie doch alle zur selben Nation gehören.

Manchmal ist Nationalismus Revolutionsersatz. Man fühlt national, weil man sonst revolutionär denken und handeln müsste.

Dabei sorgt der Nationalismus nur für eine Verschiebung des Problems, nicht für seine Lösung.

Antifaschismus

Was würde Carl von Ossietzky heute schreiben angesichts einer Regierung des nationalen Not-
stands in der DDR? Würde man ihn dafür ebenfalls ins KZ sperren wie 1933?

Die PDS ist nicht die einzige Nachfolgepartei der SED. Die zweite große Nachfolgepartei der SED sind die Sozialdemokraten. Sogar die extrem rechts operierende DSU soll sich zu gut 40 Prozent aus ehemaligen SED-Funktionären zusammensetzen, die einst Karriere machten über die SED und nun opportunistisch die Planwirtschaft mit dem Kapitalismus vertauschen.

Nicht die CDU ist die legitime Erbin des Sozialismus. Sie tut zwar, als könnte sie als Alleinerbin von 40 Jahren DDR auftreten. Aber die PDS ist das antifaschistische Gewissen der DDR.

Mit ihren 700.000 verbliebenen Mitgliedern besteht die PDS nämlich aus der ehemaligen Partei-
basis der SED. Diese Parteibasis wollte schon lange einen demokratischen Sozialismus, konnte aber erst in der Kulturrevolution die selbstherrlichen Bürokraten an der Spitze von Partei und Staat stürzen.

Heute fehlen dieser Partei überwiegend die 30 – 60jährigen, die sich nach einer anderen Partei-
karriere umgesehen haben. Geblieben sind die demokratischen Sozialisten, von denen mir einer – eine Frau – am 8. März l990 schrieb: „Nach wie vor bin ich Mitglied der PDS und bleibe es auch. Viele haben unsere Partei verlassen. Doch überwiegend Wendehälse und solche, die nur ihrer Karriere willen Mitglied unserer Partei wurden, doch keine Genossen. Dies habe ich seit vielen Jahren kritisiert, bis nach oben. Ob es dort jemals ankam, bezweifle ich heute. Wir sind im Ver-
hältnis zu den vergangenen Jahren eine kleine Partei geworden, aber ich bin überzeugt, dass wir mit den jetzigen Mitgliedern einen guten Neuanfang haben. Diesen Mut und diese Überzeugung habe ich gestern Abend aus einer Wahlveranstaltung hier in M. mit nach Hause genommen. Tausende waren gekommen, um Gregor Gysi zu hören. Das Konferenzzentrum war zu klein, um alle aufzunehmen, so dass per Video diese Veranstaltung in alle Räumlichkeiten übertragen wurde. Große Begeisterung und vor allen Dingen viele junge Menschen. Das gibt Hoffnung. Wir gehen in die Offensive! Mutig und stark. Ich möchte doch noch erleben, dass mein vergangenes Leben, bis 1945 geprägt von Hunger, Verfolgung und Not, nicht umsonst war.“

Dann schreibt sie: „Mein Vater war Funktionär der KPD. Bereits in der Weimarer Republik zu Ge-
fängnis- und Festungshaft verurteilt. 1933 kam er ins KZ. Für Mutter und mich während dieser Zeit keine Unterstützung, dafür Gestapoverhöre, Haussuchungen und vieles mehr. Dann Auswei-
sung aus dem Heimatgebiet durch die Gestapo. Im Jahre 1942 schloss ich mich einer Widerstands-
gruppe an. 1945 gehörten wir zu den Aktivisten der ersten Stunden. Vater übernahm die Ernäh-
rung in unserer Kreisstadt (Bemerkung des damaligen SPD-Bürgermeisters: Dabei laufen sich die Kommunisten tot). Trotz aller Schwierigkeiten traf es aber nicht ein. Danach arbeitete er in der Landesregierung Halle bis zur körperlichen Erschöpfung. Ohne Privilegien! Er starb 1977. Einer meiner Söhne ist Major bei unseren Luftstreitkräften, lebt mit 3 erwachsenen Söhnen, Schwieger-
tochter und 1½jährigem Enkelkind in einer 3 ½-Zimmer-Wohnung. Also auch ohne Privilegien. Außerdem habe ich noch einen Sohn, eine Tochter, 9 Enkel und 4 Urenkel. Vieles wäre noch zu schreiben.Vor allen Dingen von der großen Enttäuschung über das ‘Feudal-Leben’ unserer Füh-
rungsspitze.“

Können die CDU-Politiker, die jetzt die Macht übernommen haben, solche Lebensläufe aufweisen? Sie haben als Blockpartei in der Nationalen Front Verantwortung getragen für das stalinistische System. Und heute beerben sie die Kulturrevolution, indem sie sie in eine Konterrevolution ver-
wandeln.

Was dem DDR-Sozialismus 40 Jahre die Legitimation gegeben hatte: der entschiedene Antifa-
schismus, ist nun mit einem Mal dem Antikommunismus gewichen.

Wäre das Ziel erreicht worden, die PDS bei den Volkskammerwahlen unter 5 Prozent zu drücken, dann würde in der DDR jetzt eine Kommunistenjagd stattfinden wie nach dem 27.2.1933.

Enteignung

Das Gespenst des Kommunismus, das Marx und Engels 1848 in Europa umgehen sahen, ist aber immer noch nicht gebannt.

Was die DDR betrifft, so ist die PDS in der Volkskammer bei freien Wahlen zur drittstärksten Fraktion geworden.

Aber auch die Vereinigte Linke, die Spartakisten und andere nicht zur PDS gehörende Gruppie-
rungen beziehen als Sozialisten in der DDR Standpunkt gegen den Kapitalismus.

Ihnen allen sollte mit den Wahlsendungen der westdeutschen Fernsehanstalten in der DDR, mit denen die Stimmung für die Wiedervereinigung angeheizt wurde, Hören und Sehen vergehen. So erbarmungslos, wie ARD und ZDF im Wahlkampf der DDR gegen den Sozialismus Partei ergriffen, konnten nur klassenbewusste Arbeiterinnen und Arbeiter klaren Kopf behalten.

Im „Neuen Deutschland“ vom 26.3.l990 fand ich den Leserbrief eines DDR-Bürgers, der folgende realistische Rechnung aufmacht: „Der größte Teil der DDR-Bevölkerung wünscht sich einen schnellen Umtausch der Währungen im Verhältnis 1:1. Ist dann aber die Mark wirklich eine DM wert? Aus meiner Sicht geht diese Rechnung nicht auf, wie folgendes Exempel zeigt: Wenn ich mein mühsam erspartes Geld in Höhe von 20.000 Mark als Basis nehme, könnte ich im Alter bei der jetzigen Miete in Höhe von 35 Mark, Energiekosten von 50 Mark sowie Lebensunterhaltsko-
sten von 400 Mark, das macht zusammen monatlich 485 Mark, fast vier Jahre lang ohne zusätz-
liches Einkommen leben. Da aber mit dieser Währungseinheit zu befürchten ist, dass auf vielen Gebieten neue Preise wirksam werden – ich kalkuliere mit wahrscheinlich 400 bis 500 DM Miete, 100 DM Energie und 500 DM Lebensunterhaltungsaufwand, je Monat also rund 1.000 DM Aus-
gaben – könnte ich von meinem Ersparten nur 1⅔ Jahre leben. Also haben meine Ersparnisse für mich knapp 50 Prozent Wert trotz 1:1-Umtausch. Das müsste bei den Debatten um die Währungs-
union berücksichtigt werden.“

Wenn die DDR nun vereinnahmt wird, dann allerdings nicht, weil das Volk nicht rechnen kann. Das Arbeitsgesetzbuch der DDR sieht ebenso wie die noch immer gültige Verfassung vor, dass niemand entlassen werden darf. Trotzdem gibt es schon kurz nach der Wahl einige Zehntausend Arbeitslose.

Kapitalisten wie Betriebsleitungen kümmern sich nicht um die Gesetze. Die Kombinate sind in-
zwischen fast alle schon zerschlagen. Wem gehört das Eigentum?

De jure gehört es dem Volk. De facto gehörte es dem Staat. Nun ist der Staat weg, und Betriebslei-
tung wie Kapitalisten behandeln es als herrenloses Eigentum, über das sie verfügen können ohne jede demokratische Legitimation.

Natürlich ist der Verkauf von Volkseigentum illegal. Aber das Volk hat es nicht verteidigt. So wird es ihm jetzt einfach weggenommen, weil Recht immer nur das ist, was auch Macht ist.

Ohne jede gesetzliche Grundlage, ja gegen die Verfassung,wird das Volk enteignet. So rächt sich für die Arbeiterklasse, wenn sie auf den Antikommunismus hört.

Der aufrechte Gang

Können die Kapitalisten zur Tagesordnung übergehen?

Das hängt davon ab. Die demokratische Kultur ist in der DDR viel tiefer verwurzelt als in der BRD. Das Handwerkerbewusstsein hat sich dort mit Erkenntnissen der Aufklärung stellenweise so ver-
bunden, dass daraus Strukturen entstanden sind, die man basisdemokratisch oder sozialistisch nennen kann.

Sozialismus ist ja doch nicht allein Parteisache. Ob es sich um das Musikleben handelt, das Arbei-
tertheater, die Bewahrung der Natur, die Pflege alter Handwerkskunst – überall haben sich Men-
schen zusammengefunden, die in ihrer Freizeit gemeinsam etwas tun.

Auch die Betriebe in der DDR sind ganze Sozialgebilde, mit Kindergarten, Kinderkrippe, Anbin-
dung an die Schule, Freizeitgestaltung, Konfliktkommission, Jugendgruppen. Zur sozialen Infra-
struktur eines größeren Betriebs gehörten bisher informelle Bindungen und institutionelle Ein-
richtungen bis hin zum Kulturhaus.

Als die Aktion Lebensqualität im Dezember 1989 anfing, meinen „Brief an die DDR“ an Adressen aus den Telefonbüchern der Deutschen Demokratischen Republik zu versenden, stießen wir auf ein gesellschaftliches Netz von Kreuz- und Querverbindungen ganz anderer Art, als es in Westdeutsch-
land existiert.

Hier ist jede politische Diskussion am Arbeitsplatz verboten, und das forcierte Arbeitstempo lässt auch gar nicht den Wunsch danach aufkommen. Dort wurde dieser „Brief“ sofort in ein Kommuni-
kationssystem am Arbeitsplatz und darüber hinaus eingebracht, diskutiert und Hunderte von Ma-
len vervielfältigt. Wir gehen davon aus, dass von den versandten 10.000 Exemplaren das Zehnfa-
che an Kopien in der DDR kursiert hat.

Vom Diskussionsverlauf wissen wir nichts. Doch können wir uns anhand der brieflichen Reak-
tionen ein Bild davon machen. Kontrovers ist die Diskussion ganz sicher gewesen. Bestimmt hat keiner damit gerechnet, dass sich ausgerechnet aus der BRD eine Stimme zu Wort meldet, die marxistische Positionen vertritt.

Ich konnte von all den Zuschriften, die mich erreichten, natürlich nur jene in dieses Buch aufneh-
men, die mir für die Diskussion des „Briefes an die DDR“ besonders typisch erschienen. Der Dis-
kussionsteil enthält also nicht die Dutzende von Dubletten, die mit anderen Worten, aber weniger offensichtlich das gleiche aussagen wie die hier abgedruckte repräsentative Auswahl. Auch endet die Diskussion in diesem Buch bei der einschneidenden Zäsur der Volkskammerwahl am 18.3.
1990, während sie in Wirklichkeit natürlich in zahlreichen Einzelfällen weiterhin anhält.

Da ist als erstes die Orientierungslosigkeit. Mag die SED-Herrschaft noch so sehr als undemokra-
tisch empfunden worden sein, nun da sie weg ist, hat man den Halt verloren. Plötzlich steht alles in Frage, woran man bis jetzt geglaubt hat.

Ein ganzes Weltbild ist ins Schwanken geraten, ja eine Welt zusammengebrochen.

Woran soll man jetzt noch glauben? Wem kann man jetzt noch trauen?

Dies ist das Problem, das ich mit Marx als Entfremdung bezeichnet habe. Der entfremdete Mensch kennt seine Bedürfnisse nicht, hat nur eine vage Vorstellung von sich selbst, handelt nicht entspre-
chend seinen objektiven Interessen, ist außengeleitet und fremdbestimmt und gerade deshalb ver-
führbar.

Die Antwort auf das Entfremdungsproblem war einmal das Klassenbewusstsein einer politisierten Arbeiterschaft, die die Erfahrungen des täglichen Kampfes um ihre Existenz mit einer Zukunfts-
perspektive verband, in der sie die Produktionsmittel besitzen und die Führung der Gesellschaft übernehmen würde.

Diese Utopie habe ich mit dem „Brief an die DDR“ beschworen. Und es hat sich gezeigt, dass der SED-Staat mit seinem Dogmatismus, seinen fix und fertigen Antworten, seinem Perfektionismus, seinen Tabus wie seinem Sozialdemokratismus gerade nicht darauf gerichtet war, diese Utopie des nicht mehr entfremdeten Menschen zu verwirklichen.

Nun, da alles wieder offen geworden ist und man – wie eine Briefeschreiberin mit Lenin sagt – mit dem Aufbau des Sozialismus noch einmal von vorne beginnen muss, zeigt sich, dass das stellvertre-
tende Handeln einer sozialistischen Partei für das ganze Volk immer stalinistisch ist.

Diese Orientierungslosigkeit kommt aus der Entmündigung der Produzenten durch eine Staats- und Parteibürokratie, die in allem das Sagen hatte.

Der aufrechte Gang muss erst noch gelernt werden. Und damit das keine Phrase bleibt, will ich gleich sagen, wie: durch Revolution.

Die große Verschwendung

„Für das Volk ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Für den Staat ist alles verboten, was ihm nicht ausdrücklich erlaubt ist.“ Das waren die entscheidenden Sätze in der Regierungser-
klärung von Hans Modrow.

Das künftige Verhältnis von Volk und Staat wird in der Regierungserklärung seines Nachfolgers von der DDR-CDU aber genau umgekehrt dargestellt. Wieder wird alles von oben reglementiert, wieder bestimmt der Staat paternalistisch, was seine Bürger zu tun haben.

Auch die Volkskammer wird nun eine Gesetzesmaschinerie entwickeln. Wieder erklärt sich ein Staat für stark, wo doch gerade in der Zeit der PDS-geführten Koalitionsregierung Modrow, die von den Bürgervertretern am Runden Tisch kontrolliert wurde, der Staat ein Instrument unmittelbarer Demokratie und vermenschlicht worden war.

Gregor Gysi als Repräsentanten der stärksten Oppositionspartei seine Redezeit auf lächerliche
15 Minuten zu begrenzen, wenn er die über 2stündige Regierungserklärung kritisieren will, zeigt schon den antikommunistischen Stil, mit dem eine neue Obrigkeit etwas durchpeitschen will, was ohne Diskussion im Volk zu geschehen hat: die Wiedervereinigung.

Das Rederecht jedes einzelnen Abgeordneten war einmal die demokratische Errungenschaft des bürgerlichen Parlamentarismus. Wir wissen, dass diese Errungenschaft der bürgerlichen Demo-
kratie im Bundestag schon lange nicht mehr existiert. Fraktionszwang und eine restriktive Ge-
schäftsordnung behindern die freie Meinungsäußerung von Abgeordneten, die auf dem Papier nur ihrem Gewissen zu folgen haben.

Wenn jetzt der Stil der Volkskammer davon bestimmt wird, dass kritische Debatten gar nicht erst geführt werden können, weil Mehrheitsverhältnisse und Geschäftsordnung diktatorisch gebraucht werden, dann ist das nicht Demokratie, sondern schon wieder ihr Ende.

Man versteht: Was mit einer Bürgerbewegung für Demokratie begann, endet nun über eine reak-
tionäre Herrschaft im Parlament in einer Diktatur der Formaldemokraten.

Hier ist nun einer zweiten Gruppe von Briefeschreibern zu antworten, die die Position des Anti-
faschismus vertreten. Sie sind es, auf die ich setze, wenn ich an das DDR-Volk appelliere, seine Demokratiebewegung nicht im Parlamentarismus ersticken zu lassen.Wird die parlamentarische Opposition an der Ausübung ihres Mandats gehindert, dann muss eine außerparlamentarische Opposition Druck ausüben, bevor die Regierung vollendete Tatsachen schafft.

Die Politik hinter verschlossenen Türen darf nicht das letzte Wort haben, nachdem eine Kulturre-
volution mit dem Runden Tisch einmal für Öffentlichkeit der Politik gesorgt hat. Antifaschismus ist das Gewissen des DDR-Volks.

Dieses Gewissen muss dem Verrat an den Grundsätzen der Demokratiebewegung nun mit einem Aufschrei begegnen, der bis nach Bonn zu hören ist.

Ja, bis nach Bonn. Schließlich ist man in Bonn nicht mehr an Volksbewegungen gewöhnt, die als Souverän des Staates auftreten. Hierzulande will man den Anschluss der DDR, ohne etwas dafür zahlen zu müssen: Wiedervereinigung zum Nulltarif.

Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, mit dem eine Kulturrevolution zu Ende ging, wird trotz einstimmigen Beschlusses bei seiner Verabschiedung nicht mehr diskutiert, sondern zur Makulatur erklärt.

Das Recht auf Arbeit und Wohnung werden nun keine verfassungsmäßigen Grundrechte mehr sein, wenn es nach dem Willen derjenigen geht, die Ihr gewählt habt.

Wenn nun ein Drittel der gesamten Werktätigen der DDR durch Schließung ihrer für Kapitalisten nicht rentablen Betriebe wegrationalisiert werden, dann blüht der DDR das Schicksal von Portugal, das in Mitteleuropa als Billiglohnland nur noch für lohnintensive Handarbeit zuständig ist, wäh-
rend die Bundesrepublik Deutschland in ihren Unternehmen die kapitalintensive Fertigproduktion leistet.

Schon jetzt ist klar, dass – wenn die Dinge so weiterlaufen – in der DDR die gesamte Branche der Papierherstellung geschlossen werden wird, da die Papierherstellung in der BRD viel rentabler ist.

Herrschte in der DDR-Wirtschaft in vielen Bereichen Mangel, so herrscht in der kapitalistischen Wirtschaft der BRD die große Verschwendung. Außer bei den Autos gibt es auch bei uns kaum noch Ersatzteile für reparaturbedürftige Produkte. Diese Produkte sind auf schnellen Verschleiß angelegt. Man soll sie, wenn sie kaputtgehen, nicht reparieren, sondern neu kaufen.

Dies ist das vorherrschende kapitalistische bewusstsein der BRD: Produktion von Wertlosem und immer Wertloserem, das schnellen Umsatz schafft und den Menschen in einen Konsumenten ver-
wandelt, der kauft, kauft, kauft. Weltweit steigt aufgrund der kapitalistischen Verschwendungs-
produktion die Währungsinflation. Weltweit steigt aufgrund dieser rücksichtslosen Ausbeutung unseres Planeten durch kapitalistische Profitgier die Verschuldung, Proletarisierung und Verelen-
dung der nichtindustrialisierten Dritten Welt.

„Des einen Not ist des anderen Brot!“ sagt der Kapitalist. Das wird auch die DDR zu spüren be-
kommen, wenn die so genannte Freie Marktwirtschaft ihr Volksvermögen auffrisst und zur Tages-
ordnung übergeht.

Was tun?

Halten wir zunächst einmal fest: Der Kapitalismus braucht die DDR nicht. Sie ist ihm in den Schoß gefallen.

Für die globalen Strategien der großen Konzerne ist aus der DDR wirtschaftlich nicht viel heraus-
zuholen.

Da man die Kombinate, LPG’s und großen Staatsbetriebe als Konkurrenz ausschalten will, zer-
schlägt man sie eben, statt in sie zu investieren.

Man pickt sich die Rosinen aus dem Kuchen und überlässt die Reste den kleinen Investoren. Was heißt hier Markt? Die wirtschaftlichen Entscheidungen fallen schon jetzt in Brüssel, Frankfurt/M, München und Stuttgart.

Die kapitalistischen Interessen sind auf Weltherrschaft gerichtet. Die großen Konzerne können es sich leisten, ihren angestellten Managern an der Spitze des Unternehmens Jahresgehälter in Mil-
lionenhöhe zu zahlen. Sogar den Managern auf Abteilungsleiter-Ebene wird ein Gehalt geboten, das sich als Cafeteria-System der Gehaltsgestaltung von Aktienbeteiligung, Gratifikationen, ver-
mögensbildenden Maßnahmen, Arbeitszeitflexibilisierung bis hin zum geschenkten Auto der Spitzenklasse erstreckt.

Warum? Um den corporate man, den mit Leib und Seele an sein Unternehmen gebundenen Ma-
nager zu schaffen, der die Firma zwar nicht besitzt, aber genügend Verfügungsgewalt über sie hat, um ihre Interessen voll mit seinen eigenen zu identifizieren.

Worum geht es diesen Männern des Unternehmens? Um Macht. Das Erfolgserlebnis, einen großen Coup zu landen oder einen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, steht ihnen mindestens eben-
so hoch wie der Profit.

Weltherrschaft steht in Widerspruch zu den globalen Lebensinteressen der Menschheit. Das multi-
nationale Unternehmen, das eines Tages – sofern die kapitalistischen Pläne in Erfüllung gehen – über den Weltmarkt die Menschheit regiert, wird faschistische Züge tragen.

Es ist die Macht des Großen Bruders aus Orwells Roman „1984“, das der kapitalistische Konzern anstrebt. Schon heute ist ein solches Unternehmen als Staatsgebilde organisiert, zu dem Außen-
stehende keinen Zutritt haben.

Die globalen Lebensinteressen der Menschheit sehen anders aus. Die heute lebenden Menschen können nur Zukunft schaffen, wenn sie demokratische Verhältnisse erkämpfen.

Ob wir noch stark genug sind, für die nächste Generation Lebensmöglichkeiten zu schaffen, hängt davon ab, ob es uns gelingt, die kapitalistische Weltherrschaft zu verhindern.

Wird Westeuropa den Kontinent bis zum Ural kapitalistisch machen, dann wird nicht nur die Sow-
jetunion aufhören zu existieren. Es ist dann die Endphase der kapitalistischen Entwicklung ange-
brochen, in der drei hochindustrialisierte Kontinente unter sich auszumachen haben, wem die Weltherrschaft zufällt Europa, USA oder Asien unter der Führung von Japan.

Wer jetzt sagt: So schlimm wird es schon nicht kommen …, der geht an den klar erkennbaren Tat-
sachen der geschichtlichen Entwicklung vorbei.

Erstens: Die Sowjetunion hat die Kette der imperialistischen Kriege um die faschistische Weltherr-
schaft nur unterbrochen, aber nicht für immer aus der Welt geschafft. Die Atombombe ist noch immer nicht geächtet, sondern bleibt in der Hand von Kapitalisten stets eine Bedrohung für die ganze Menschheit.

Zweitens: Der Hitler-Faschismus wurde militärisch vernichtend geschlagen. Aber das faschistische Potential ist im Wirtschaftsleben des Kapitalismus weiter vorhanden.

Drittens: Ohne sozialistische Alternative kann der Kapitalismus auf Demokratien selbst im bürger-
lichen Sinne verzichten.

Warum wohl beschimpfen mich Briefeschreiber aus der DDR und unterstellen mir Motive, die ich gar nicht habe? Was regt sie so auf an meinem „Brief an die DDR“?

Nehmen wir die Weltherrschaftspläne des Kapitalismus als Erklärung, dann ist wohl klar, dass meine Forderung nach voller Vergesellschaftung der Produktionsmittel in der Hand der Produ-
zenten ihren kapitalistischen Klasseninteressen widerspricht.

Es geht ihnen nicht allein um Wohlstand. Es geht ihnen vor allem darum, dass sie Sozialismus für unmoralisch, Kapitalismus aber für moralisch halten.

Gebt den Angehörigen der Arbeiterklasse das Verfügungsrecht über das Produkt ihrer Arbeit wie über die Mittel zu seiner Herstellung, und schon wird das faschistische Potential im klassenbe-
wussten Kleinbürger wachgerufen, der doch das Privateigentum an den wirtschaftlichen Grund-
lagen der Gesellschaft für heilig hält.

Diese heiligen Grundlagen für kapitalistische Verhältnisse sind auch in der DDR nicht radikal ge-
nug abgeschafft worden. Gerade der Anspruch darauf, das knappe Gut von Grund und Boden pri-
vat besitzen zu müssen, zeigt die Asozialität kapitalistischer Interessen.

Diese Asozialität ist das faschistische Potential, das nun auch in der DDR wieder geweckt worden ist. Diese Leute mögen von Vaterlandsliebe, Freier Marktwirtschaft und Unternehmerinitiative schwärmen, so viel sie wollen. Was sie wirklich bewegt, sind zwei Interessen: 1) Mehr zu besitzen, als sie brauchen. 2) Macht zu besitzen über Menschen.

Natürlich fühlen sie sich als die legitimen Erben des SED-Staates. Und sie reagieren mit Hass, weil ich ihr Meinungsmonopol durchbrochen habe.

Die SED hat im Namen der Arbeiterklasse geherrscht, ohne die Kontrolle von unten zuzulassen. Auch als mit dem Machtantritt von Gorbatschow 1985 in der Sowjetunion die Möglichkeit zu de-
mokratischen Reformen in der DDR gegeben war, hat sie diese Möglichkeit nicht nutzen wollen. Dabei wären die Voraussetzungen für eine solche Reform günstiger gewesen als in der Sowjetunion selber: größere Übersichtlichkeit, keine Nationalitätenprobleme, eine bessere Wirtschaftslage.

Da die SED-Führung sich weigerte, die nötigen Reformen durchzuführen, handelte sie objektiv konterrevolutionär.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn das Pendel der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR nun weit nach rechts geschlagen ist.

Die sozialistische Alternative ist damit nicht beseitigt. Sie lässt die Rechten ihre Wahlen gewinnen, handelt aber in der Perspektive des Antifaschismus:

1.

Die Produktionsmittel der DDR sind das rechtmäßige Eigentum der Arbeiterinnen und Arbeiter, die mit ihnen produziert haben. Deren Enteignung bedeutet eine Deklassierung: Verlust an Men-
schenrechten, an Menschenwürde, an Identität. Sie werden auf den Status des kapitalistischen Lohnarbeiters gedrückt, der nur seine Arbeitskraft besitzt, sie als Ware verkaufen muss und an-
sonsten nichts zu bestimmen hat.

2.

Der Parlamentarismus ist die politische Herrschaftsform der bürgerlichen Klasse. Ihm entspricht die Wirtschaftsform des Kapitalismus in der Hand von Ausbeutern. Der Rückfall der DDR auf die Stufe der bürgerlichen Klassenherrschaft bedeutet den Verzicht auf Wirtschaftsdemokratie.

3.

Der „Brief an die DDR“ wurde zu einer Zeit geschrieben, da die Sozialisierung der Wirtschaft durch förmliche Übertragung des Staatseigentums auf die Produzenten noch möglich war. Da diese Über-
tragung unterblieb, entstand durch den Zusammenbruch des SED-Staates herrenloses Eigentum, das in der Folge zur Beute von Kapitalisten und ihren Managern wurde.

4.

Meine Forderung nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel blieb also uneingelöst. Ich be-
trachte ihre Einlösung aber nur als aufgeschoben, nicht als aufgehoben. Der Sozialismus, der auf der Basis von Wirtschaftsdemokratie beruht, wird sich nämlich zwingend aus folgenden Ursachen durchsetzen: den Widersprüchen zwischen den Lebensinteressen der Arbeiterklasse und den Herrschaftsinteressen des Kapitals; dem Ideal der Gerechtigkeit; dem Gewissen; und dem Willen des Volkes.

5.

Was das Volk zu lernen hat: Wie meistert man Probleme? Je entfremdeter der Mensch, desto tiefer ist er verstrickt in die gesellschaftlichen Probleme, die es zu lösen gilt. Je bewusster er diese Pro-
bleme angeht, desto weniger entfremdet ist er. Je mehr er also Problembewusstsein entwickelt, desto besser erkennt er die Zusammenhänge, aus denen ein Problem besteht, unter dem die Ge-
sellschaft leidet.

6.

Problembewusstsein führt zur Einsicht in die Notwendigkeit. Wer die Notwendigkeit erkennen kann, erkennt bereits die Lösung des Problems, mit der die Not gewendet werden kann. Er hört auf, Teil des Problems zu sein, und wird statt dessen Teil der Lösung.

7.

Jedes Problem kann gelöst werden, wenn genügend Problembewusstsein entwickelt ist.

8.

Die Kulturrevolution in der DDR hat ein Teilproblem gelöst: die stalinistische Gewaltherrschaft. Sie hat damit das Problem der Demokratie überhaupt erst aufgeworfen. Die Lösung dieses Pro-
blems ist nicht der Parlamentarismus, weil sich in ihm nur die widersprüchlichen Interessen der bürgerlichen Klasse widerspiegeln können.

9.

Sozialistische Demokratie ist Wirtschaftsdemokratie. Wirtschaftsdemokratie führt zu sozialisti-
schen Verhältnissen. Sozialistische Verhältnisse verwirklichen das Ideal der Gerechtigkeit.

10.

Die Industrialisierungsphase des Sozialismus trägt kapitalistische Züge, auch wenn die Ausbeu-
tung der Produzenten bzw. die Aneignung ihrer Arbeit über den Staat geschehen. Die höhere Phase des Sozialismus heißt nicht Effektivität und Marktwirtschaft, sondern Vergesellschaftung der Pro-
duktionsmittel in Arbeiterhand, sozialistische Marktwirtschaft, Rätedemokratie.

11.

Die Alternative zum Parlamentarismus heißt Rätedemokratie. Deren erste Phase besteht aus Bür-
gerinitiativen, Volkskomitees und Volksbewegungen.

12.

Die volle Verwirklichung der Demokratie ist die Perspektive des Sozialismus. Der erste Schritt in dieser Perspektive liegt in der Weiterführung der Demokratiebewegungen der Kulturrevolution.

13.

Nicht die Volkskammer hat das Recht, über die Stasi-Akten zu verfügen, sie zu vernichten oder durch einen Parlamentarischen Ausschuss entwerten zu lassen. Die Begründung: „Wir sind bereit zur Verzeihung … und im übrigen muss endlich wieder regiert werden“, ist eine Phrase, solange nicht öffentlich gemacht wird, welche Abgeordneten namentlich für den Staatssicherheitsdienst gearbeitet haben.

14.

Nur die Demokraten in den Volkskomitees haben ein Interesse an der vollen Vergangenheitsbe-
wältigung der DDR. Sie, die die Demokratiebewegung in Gang gebracht haben, sollten sie auch zu Ende führen dürfen.

15.

Natürlich ist das Volk vollauf beschäftigt mit seinen Zukunftsängsten, die berechtigt sind. Langsam begreift man nun, dass man falsch gewählt und vom Regen in die Traufe gekommen ist. Doch soll-
ten die Gedanken weiter reichen, als die neuen Herren wollen. Demonstriert Ihr massenhaft nicht nur gegen den Abbau von sozialen Rechten, sondern auch für die weitere Aufdeckung der Stasi-Tätigkeiten, dann nehmt Ihr Eure Interessen wieder in die eigenen Hände.

Rätedemokratie

Sozialistisches Eigentum an den Produktionsmitteln ist vergleichbar mit dem Volleyballspiel.

Wem gehört der Ball? Betrachtet einer der sechs Spielerinnen oder Spieler ihn als seinen Privat-
besitz, dann hört das Spiel auf.

Das Spiel kann nur dadurch in Gang kommen und in Gang gehalten werden, dass die ganze Mann-
schaft kollektiv zusammenarbeitet. Im Zusammenspiel behandelt sie den Ball als kollektives Eigentum, d.h. der Ball gehört allen gemeinsam.

Das Produkt ihrer Zusammenarbeit wird über das Netz geschlagen und von der Mannschaft der Gegenspieler in Besitz genommen. So können hin und her über das Netz lange Ballpassagen ent-
stehen, die die Schönheit des Spieles ausmachen, bis es einer Mannschaft gelingt, die Konkurrenz zu schlagen.

Natürlich ist ein solcher Vergleich mehr metaphorisch zu nehmen. Er zeigt aber, worauf es an-
kommt. Auch das sozialistische Eigentum ist privat – aber nicht individuell, sondern kollektiv.

Nun könnte man eine Abhandlung darüber schreiben, wie das im einzelnen auszusehen hätte. Es würde aber nicht mehr bringen als die Volleyball-Metapher, weil die praktische Ausgestaltung und Handhabung von sozialistischem Eigentum eine Aufgabe der künftigen Wirtschaftsdemokratie sein wird.

Der prinzipielle Unterschied zum kapitalistischen Privateigentum ist aber deutlich geworden. Beim Volleyball treten alle Spieler als kollektive Unternehmer auf. Sie bilden ein Unternehmerkollektiv, das nicht mehr kapitalistisch ist.

Und noch etwas: Das Volleyball-Team kommt ohne Chef aus. Es verwaltet sich selbst.

Das ist eine Vorstellung, die sich erst durchsetzen muss. Arbeiterinnen und Arbeiter bilden sich häufig noch ein, sie müssten die Leitungsfunktion zusätzlich zu ihrer sonstigen Arbeit ausüben, so dass es ihnen praktisch die Freizeit rauben würde.

Dabei hätte das Leitungskollektiv auch nichts anderes zu tun, als die Chefetage heute tut: die an-
stehenden Probleme während der Arbeitszeit zu diskutieren.

Auch hier will ich nicht ins einzelne gehen, sondern nur den Anstoß geben zu sozialistischem Den-
ken. Dies macht schon klar, dass die Wirtschaftsdemokratie, die der Sozialismus verwirklichen soll, im äußersten Gegensatz zum Faschismus steht.

Keine Kommandowirtschaft mehr, bei der von oben die Befehle kommen, die unten auszuführen sind. So verwirklicht sich der mündige Staatsbürger, der seine Interessen selbst vertritt.

Alle Emanzipationsbewegungen unserer Zeit laufen letztenendes auf diese Ziel hinaus, auch wenn es ihnen unbewusst ist.

Wenn die Arbeiterbewegung im Kapitalismus auf der Stufe von: „Hauptsache, man holt das Beste für sich heraus!“ steckengeblieben ist, so ist das nicht ihre Schuld.

Warum sind aber Friedensbewegung, Frauenbewegung, Anti-Kernkraft-Bewegung, Mieterbe-
wegung usw. ebenfalls abgeflaut? Weil die sozialistische Karte nicht gespielt wurde.

Erst eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich in der DDR nun in umge-
kehrter Richtung vollzogen hat, macht deutlich, dass alle abgeflauten Bewegungen vor einem Tabu haltgemacht haben.

Brecht schrieb seine Haifisch-Parabel als Satire auf den Kapitalismus, der immer über Leichen geht. Damit stellte er das System dar, in dem wir leben.

Er zeigte aber auch den Ausweg zur Überwindung dieses menschenfeindlichen Systems. In seinem Gedicht „Lob des Lernens“ zeigt er der Arbeiterklasse, wie sie die Führung zu übernehmen hat: indem sie lernt.

Das Tabu der Klassengesellschaft heißt: Arbeiter sind zu dumm, die Wirtschaft in ihre Hände zu nehmen.

In Wirklichkeit sind sie kein bisschen dümmer als ihre akademischen Kollegen, die sich als Wirt-
schaftsexperten ausgeben.

Meist verstehen sie aber mehr von Produktion, Technik und wirtschaftlichen Zielen als die gelehr-
ten Manager.

Ginge es nach den Arbeiterinnen und Arbeitern, dann hätten wir schon heute eine Friedenswirt-
schaft und nicht Rüstungsproduktion, Weltraumflüge, Umweltzerstörung. Ginge es nach den Arbeiterinnen und Arbeitern, dann stünde die Bildung des Menschen im Mittelpunkt der Gesell-
schaft.

Was sind die Kriterien für eine sozialistische Demokratie? Die DDR-Autorin Ursula Püschel schreibt: „Ich würde den Sozialismus daran erkennen, dass Arbeiter die Möglichkeit haben, ‘Die Ästhetik des Widerstands’ von Peter Weiss zu lesen.“

Wenn Peter Weiss sich den Arbeitern nicht verständlich machen konnte, so lag es weder an ihm noch an den Arbeitern.

Unter kapitalistischen Verhältnissen ist jedes Gespräch zwischen einem sozialistischen Autor und seinen Adressaten in der Arbeiterklasse gestört.

Dabei war die Arbeiterbewegung zu Beginn dieses Jahrhunderts fast schon so weit, demokratische Verhältnisse in der Wirtschaft herzustellen. In der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 gab es den Artikel 165, der ein rätedemokratisches System vorsah.

Die bürgerlichen Regierungen, mit denen die Verfassung ausgehandelt worden war, „vergaßen“ allerdings den Räte-Artikel, indem sie einfach keine Ausführungsgesetze verabschiedeten, die ihn in Kraft gesetzt hätten.

Obwohl vieles auch an diesem Artikel Kompromiss ist, zeigt er doch in die richtige Richtung. Wahrscheinlich hätte seine Verwirklichung die Machtergreifung der Hitler-Faschisten verhindert oder erschwert:

„Die Arbeiter und Angestellten sind dazu berufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit den Unter-
nehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaft-
lichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken. Die beiderseitigen Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt.“

Das ist noch ganz kapitalistisch gedacht. Es handelt sich um einen Klassenkompromiss, der aber von der Stärke der Arbeiterbewegung jener Zeit zeugt.

„Die Arbeiter und Angestellten erhalten zur Wahrnehmung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Interessen gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbeiterräten sowie in nach Wirtschaftsgebieten gegliederten Bezirksarbeiterräten und einen Reichsarbeiterrat.“

Hier haben wir ein Dreistufensystem: Die Belegschaft eines jeden Betriebs wählt aus ihrer Mitte einen Betriebsrat. Dieser Betriebsrat entsendet Vertreter in einen übergeordneten Bezirksarbei-
terrat, und dieser schickt wiederum Vertreter in das höchste Gremium, den Reichsarbeiterrat.

„Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat treten zur Erfüllung der gesamten wirtschaftli-
chen Aufgaben und zur Mitwirkung bei der Ausführung der Sozialisierungsgesetze mit den Ver-
tretungen der Unternehmer und sonst beteiligter Volkskreise zu Bezirkswirtschaftsräten und einem Reichswirtschaftsrat zusammen. Die Bezirkswirtschaftsräte und der Reichswirtschaftsrat sind so zu gestalten, dass alle wichtigen Berufsgruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung darin vertreten sind.“

Das heißt: Das ganze Volk ist in Wirtschaftsräten vertreten.

„Sozialpolitische und wirtschaftspolitische Gesetzentwürfe von grundlegender Bedeutung sollen von der Reichsregierung vor ihrer Einbringung dem Reichswirtschaftsrat zur Begutachtung vor-
gelegt werden. Der Reichswirtschaftsrat hat das Recht, selbst solche Gesetzesvorlagen zu bean-
tragen. Stimmt ihnen die Reichsregierung nicht zu, so hat sie trotzdem die Vorlage unter Darle-
gung ihres Standpunktes beim Reichstag einzubringen. Der Reichswirtschaftsrat kann die Vorlage durch eines seiner Mitglieder vor dem Reichstag vertreten lassen.“

Das heißt: Über den Reichswirtschaftsrat sollte das Volk außerparlamentarisch über die Wirt-
schafts- und Sozialpolitik der jeweiligen Regierung mitbestimmen können. Es sollte also in die Regierungspolitik hineinregieren dürfen!

„Den Arbeiter- und Wirtschaftsräten können auf den ihnen überwiesenen Gebieten Kontroll- und Verwaltungsbefugnisse übertragen werden.“

Das heißt: Selbstbestimmungsrecht des Volkes in allen sozial- und wirtschaftspolitischen Tages-
fragen!

„Aufbau und Aufgabe der Arbeiter- und Wirtschaftsräte sowie ihr Verhältnis zu anderen sozialen Selbstverwaltungskörpern zu regeln, ist ausschließlich Sache des Reichs.“

Das heißt: Den Arbeiter- und Wirtschaftsräten wurde eine solche Bedeutung zugemessen, dass nur die Reichsregierung das Recht haben sollte, die entsprechenden Ausführungsgesetze zu erlassen.

Was lernen wir heute, 1990, von Artikel 165 der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands? Erstens, dass das Volk seinen souveränen Rechten schon einmal näher gewesen ist. Zweitens, dass mit den Arbeiter- und Wirtschaftsräten der schrankenlosen Ausbeutung erhebliche Grenzen ge-
setzt worden wären. Drittens, dass wir von dem noch nicht ausgereiften Rätesystem, wie es die Weimarer Verfassung vorschreibt, auf eine endgültige Räteverfassung schließen können, in der sich der Sozialismus verwirklicht.

Welche Perspektive hat der Kapitalismus dem Volk zu bieten? Keine.

Es wird höchste Zeit, dass das Volk begreift, in welcher Perspektive seine Zukunft liegt.

Antwort an das Volk?

Ich habe den rätedemokratischen Artikel der Weimarer Verfassung herangezogen, um nicht nur dem DDR-Volk den Weg zu weisen.

Wenn ein Schriftsteller und Politischer Psychologe sich die Mühe macht, aus scheinbar aussichts-
loser Position Aufklärung zu betreiben, dann tut er das in der festen Absicht, der Wahrheit gegen alle ideologischen Verschleierungen doch noch zum Sieg zu verhelfen.

Der Antikommunismus ist widerlegt. Er ist der erste Schritt zum Faschismus, nicht zur Demokra-
tie. Er ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.

„Lieber tot als rot“? Nein. Lieber ein Mensch mit Idealen als ein Schweinehund.

München, 3. Mai 1990

Hans Werner Saß


Hans Werner Saß, Brief an die DDR, München 1990, 97 ff.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: Internationales

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