Materialien 1990
Kultur contra Spekulation
Schnorrhaus
Jugendliche haben in Eigeninitiative ein verfallenes Haus zum Kulturzentrum umfunktioniert. Der Besitzer ließ alles kurz und klein schlagen.
Peter sieht abgekämpft, aber zufrieden aus. Sein weißes T-Shirt mit dem schwarzen Aufdruck „Schnorrhaus erkämpfen“ ist klatschnass geschwitzt, als er ans Mikrofon tritt. „Wir von der Schnorrgruppe fordern Euch auf, selbst aktiv zu werden“. Vom vielen Tanzen erschöpft, hält er inne. „Wir brauchen mehr als nur ein Kulturzentrum. Es gibt so viele leerstehende Häuser in München. Macht einfach was. O.K., jetzt kommt die nächste Band …“
Der kleine Raum in der Kulturstation in Oberföhring ist gerammelt voll. An der Wand hängt ein buntes Transparent mit dem Spruch „München ohne Schnorrhaus? Niemals“. Am Eingang verkaufen zwei vielleicht 15jährige „gegen Nazis“-Sticker. Rund 500 Leute sind auf das Fest der „Schnorrgruppe“ gekommen, für die Initiative ein voller Erfolg. Neben vier Live-Bands gibt es eine Ausstellung zur Wohnungsnot und mehrere Filme zu sehen. Diverse Flugblätter der Gruppe liegen aus.
Die „Schnorrgruppe“, das ist ein Kreis von ungefähr 40 Jugendlichen aus dem Münchner Osten. „Im Osten gibt’s fast nichts an kulturellen Freiräumen für Jugendliche“, erzählt Peter, einer der Gründer der Gruppe. „Da haben wir uns zusammengetan und angefangen ein Kulturzentrum zu planen, das wir selbstverwalten wollen“.
In der Tat haben junge Menschen in Bogenhausen, Oberföhring und Englschalking schlechte Karten, Jugendtreffs gibt es keine, Kulturstätten kaum. Im Zeichen des neuen Flughafens Erding und der Verlagerung des Messegeländes nach Riem sind Stadtteile wie Englschalking von einer völligen Veränderung bedroht. Ein Stadtplanungskonzept sieht vor, im Münchner Osten neue Wohnungen für 17.000 Menschen in den nächsten Jahren zu schaffen.
„Wir wollen mit einem selbstverwalteten Zentrum der Technisierung und Vereinsamung was entgegensetzen“, sagt Peter. Dazu hat sich die Gruppe ein Haus in der Schnorr-von-Carolsfeld- Str. 13 in Englschalking ausgesucht, das seit über vier Jahren leer steht. Bis 1987 gehörte das Haus dem Münchner Unternehmer Erich Kaufmann, der sich zwischenzeitlich wegen Steuerbetrugs ins Ausland absetzte. Seit ’87 verwaltet die „We-E-Ge Gesellschaft für Wohnungseigentum und Grundbesitz mbH“ das Haus im Auftrag einer Hamburger Briefkastenfirma. Gerüchten zufolge soll hinter der We-E-Ge wiederum Erich Kaufmann stehen. Dazu die Firma: „Wir sind nicht befugt, Auskunft zu erteilen.“ Licht in das Besitzwirrwarr könnte der Geschäftsführer der We-E-Ge, Reinhard Eisel, bringen, doch „der ist momentan verreist“ – und das seit vielen Wochen. Sagt jedenfalls die Firma.
„Da sich die We-E-Ge einfach stur stellt, haben wir schließlich angefangen, das Haus zu renovieren“, erzählt Wolfgang, ein weiteres Mitglied der Gruppe. „Die Fenster waren alle kaputt, es hat reingeregnet, die Regenrinne war abgerissen und das ganze Gebäude voller Schutt“. Auch neue Toiletten hatten die Jugendlichen installiert, den Boden abgeschliffen und das Haus neu beheizt. Da endlich reagierte die Hausverwaltung.
„Zwei Bauarbeiter sind gekommen und haben vor unseren Augen alles kurz und klein geschlagen“, empört sich Peter. Heute sind die Fenster vernagelt, die Tür zugemauert. Die Stützen für den Balkon im zweiten Stock sind weggeschlagen, die Toiletten zertrümmert. „Die haben das Haus mit Absicht unbewohnbar gemacht“.
Die Gruppe ist enttäuscht, hat aber nicht resigniert, denn die Akzeptanz für ihr Projekt ist erstaunlich groß. Über 300 Unterschriften kamen bei einer Sammlung während eines Straßenfestes vor dem Haus zusammen und auch die Parteien haben ihre Unterstützung zugesagt, „auch wenn“, wie Peter betont, „praktisch noch nicht viel gelaufen ist“. Immerhin hat der Bezirksausschuss von Bogenhausen im Dezember einen Antrag an die Stadt München gestellt, über das Haus mit der Eigentümerin zu verhandeln.
Auch das Kulturreferat unterstützt das Anliegen der Schnorr-Initiative. „Wir werden die weiteren Aktivitäten mit Interesse verfolgen und bei Bedarf unterstützen“, sagt Heiner Zametzer, der Kulturdirektor des Referats. Ein erster Schritt war eine Ausfallbürgschaft der Stadt für das Fest der Gruppe und das Bereitstellen der Kulturstation in Oberföhring als regelmäßigen Treffpunkt.
Die Jugendlichen im Münchner Osten lassen nicht locker:
Das Schnorrhaus soll ein Kulturzentrum werden.
Die Jugendlichen sind zwar froh über jede Unterstützung, hatten aber etwas mehr Engagement von der Stadt und den Parteien erwartet. „Die haben zwar alle gesagt, sie finden die Sache gut“, meint Peter, „aber wir sind die einzigen, die handeln“. Schließlich nimmt sein Gesicht einen entschlossenen Gesichtsausdruck an: „Wenn die Stadt nicht bereit ist, etwas für die Jugend und gegen die Spekulanten zu tun, werden wir die Sache selbst in die Hand nehmen“.
Wie war das doch? Als die Jugendlichen den leisen Verdacht äußerten, es könne sich hier um Spekulantentum handeln, empörte sich ein Vertreter der CSU: „Schließlich ist Privateigentum in unserer Gesellschaft geschützt. Da kann jeder machen, was er will“.
Holger Stark
Stadtmagazin München 5 vom 8. März 1990, 17.