Materialien 1990
Mundart nach Reinheitsgebot
Katrin Ammon
Gott mir dir, du Land der Bayern – München hat endlich wieder eine richtige Mundart-Dichterin! Mit ihren deftigen Biergarten-Stanzerln hat sich Barbara Maria Kloos das Herz der Münchner im Sturm erobert. Wer erinnerte sich nicht immer wieder gern an das letzte Oktoberfest, als sie in der Ruhmeshalle unter der Bavaria mit ihrem unnachahmlichen Giesinger Charme erstmals ihre Volkspoesie zum besten gab und hernach gleich handfest gefeiert wurde.
Tatsächlich hat sie der bairischen Mundart-Dichtung ganz entscheidende Innovationen gegeben, wie es im „Glossarium Bavaricum“ nachzulesen ist, jenem ältesten Idiotikon von 1689, das nach ihrem legendären Inerscheinungtreten als ‚Bayerischer Schwan’ gründlich überarbeitet und neu herausgegeben werden musste.
Mit ihren Stanzerln rund ums Bier gelingt es der Wahl-Giesingerin mühelos, das alte bairische Brauchtum den modernen und postmodernen Strömungen einzuverleiben. Spielerisch und traum-
wandlerisch sicher trifft sie den traditionell krachledernen Ton und vermag sich gleichwohl in gro-
tesken Übersteigerungen sattsam von diesem zu lösen. Diese Kunst beherrschen nur wenige: wie man dem Volk aufs Maul schaut und ihm gleichzeitig auf selbiges draufhaut.
Dass Barbara Maria Kloos das Gstanzl der aus dem Italienischen stammenden, in Deutschland vor allem durch Wieland bekannt gewordenen Strophenform der Stanze annähern will, gehört zu den wirklichen Neuerungen ihrer eigenwilligen Stanzerln. Das starre Reimschema der Stanze (ababab-
cc) sowie ihre festgefügte Vers- und Silbenzahl (8 Zeichen a 11 Silben) werden jedoch von der na-
türlichen Selbstverständlichkeit dieser kraftvollen Mundartlyrik gleichsam überrollt. Mit den ech-
ten Gstanzln, den vierzeiligen Neck- und Spottgesängen, verbindet ihre Stanzerln aber immerhin noch das im mündlichen Vortrag zünftig hineingesungene Holladaria holladaro, das in der Schrift-
form durch das am Ende jeder Zeile penetrant sich wiederholende, bierdumpf-halsstarrig ge-
brauchte Wörtchen ‚und’ ersetzt wurde.
Heuer wird die Giesinger-Babsi, wie sie der Volksmund liebevoll nennt, gleich mit zwei Literatur-
preisen bedacht. Am 26. August werden ihr im alten Rathaussaal alle bis dato zurückgegebenen Ludwig-Thoma-Medaillen der Stadt München überreicht; und zum diesjährigen Wiesn-Auftakt ‚Ozapft is’ erhält sie in einem feierlichen, aber volkstümlichen Akt eines der 250 Festdirndl aus dem Nachlass unserer einstigen Landesmutter Marianne Strauß.
Barbara Maria Kloos hat mit ihrer reschen Mundart-Dichtung über die Grenzen Bayerns hinaus neue Akzente im Literaturgeschehen der achtziger und neunziger Jahre gesetzt. Der allerorts so beliebten europäischen Architektur hält sie standhaft die solide regionale Bauweise entgegen – ein Beweis mehr dafür, dass der Regionalismus in der Literatur nicht tot ist. Wenn das nicht nach dem Bayerischen Poetentaler schreit.
Barbara Maria Kloos: Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge. Münchner Verlagsanstalt. München 1990. 1031 Seiten.
Stadtmagazin München 7 vom 23. März 1990, 164 f.