Flusslandschaft 1963
Zensur
„… Am 29. Januar 1963 dringen Münchner Kriminalbeamte in die ‚Graphikbörse’ des Kunsthänd-
lers Dr. Mock am Kaiserplatz in Schwabing ein. Sie beschlagnahmen die Plakate für die Ausstel-
lung ‚Musik und Tanz in der modernen Graphik’, ferner 22 Originallithos und eine Mappe mit Zeichnungen des Künstlers Christoph Reuter. Die Darstellung auf dem Plakat – ein abstrahiertes Paar in orgiastischem Tanz – sei ‚unzüchtig’. Kunsthändler und Künstler werden langwierig ver-
nommen. Der Staatsanwalt zieht die Anklage erst zurück, als sich herausstellt, dass ein anzeige-
erstattender Biedermann ein Plakat mit roter Farbe so verschmiert hatte, dass eine ‚unzüchtige’ Bedeutung herauskam. Wegen zwei der beschlagnahmten Blätter behält er sich Anklageerhebung vor …“1 – „Der Kunsthändler Dr. Mock und der Graphiker Christoph Reuter wurden vom Amtsge-
richt München nach § 184 St.G.B. zu je 150.- DM Geldstrafe verurteilt. Mock hatte ein Blatt ‚Tan-
zendes Paar’ von Reuter als Ausstellungsplakat verwendet und dadurch Haftbefehl und Haussu-
chung der Münchner Polizeiorgane verursacht (tendenzen 20 ‚Der Mucker ist los’). Staatsanwalt und Richter entdeckten in den völlig entnaturalisierten Blättern dermaßene erotische Finessen, dass sie die Öffentlichkeit bei der Verhandlung ausschließen ließen. Der Gutachter Franz Roh, welcher den Arbeiten ihre künstlerische Absicht bescheinigte, wurde nicht gehört. Kunsthändler und Künstler haben gegen das Urteil, welches die neue Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes brüskiert, Berufung eingelegt. Der Bundesgerichtshof hatte in einem Grundsatzurteil die Berück-
sichtigung von Sachverständigen bei der Anwendung von § 184 auf Kunstwerke gefordert. Der bayrische Amtsrichter Schreiber in diesem Prozess ist übrigens derselbe, der die Künstlergruppe Spur wegen des Unzuchtsparagraphen verurteilte.“2
1 Richard Hiepe: “Der Mucker ist los” In: tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 20 vom April 1962, unpag.
2 tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 21 vom August 1963, unpag.