Materialien 1991

Diener zweier Herren: die Polizei zwischen Obrigkeit und Bürger

Preis „Aufrechter Gang“ an Kritischen Polizisten

Die Humanistische Union München verlieh am 16. Oktober ihren Preis „Aufrechter Gang“,
mit dem Frauen und Männer ausgezeichnet werden, die sich in Bayern für Bürgerrechte und Demokratie einsetzen. Der diesjährige Preisträger ist Siegfried Krempl, Polizeiobermeister in München. Er bemerkte und kritisierte bei Kollegen eine latente Ausländer- und Frauenfeind-
lichkeit im Umgang mit den Bürgern. Und er beobachtete eine große Neigung, offensichtliche Missstände im Polizeiapparat nach außen zu verschleiern und intern einfach zu ignorieren. Als er auch noch zu der Arbeitsgemeinschaft der „Kritischen Polizisten“ stieß, sah er sich einer Palette von Maßregelungen und Benachteiligungen ausgesetzt. Aber Siegfried Krempl lässt sich nicht entmutigen und setzt sich weiterhin für eine den Bürgerechten besonders verpflichtete Polizei ein. In seiner Rede führte Siegfried Krempl u.a. aus:

Die Notwendigkeit einer Institution wie die der Polizei kann auch in einer aufgeklärten Gesell-
schaft nicht in Frage gestellt werden. Helfende Instanzen sind in unserer gewalttätigen Gesell-
schaft leider noch notwendig. Pluralistische Systeme suchen jedoch die konstruktive Auseinan-
dersetzung und den Widerstreit der Meinungen. Viele überschreiten das Niveau einer normalen und engagiert geführten Auseinandersetzung. Hier ist, meiner Meinung nach, die Polizei nicht nur als reagierende Instanz, sondern auch als agierende Behörde notwendig. Die Ursachen von Gewalt, Kriminalität und Konfrontation in der Gesellschaft können jedoch nicht mit mehr Polizistinnen und Polizisten oder neuen repressiven Gesetzen beseitigt werden. Der Auftrag und die Aufgaben der Polizei müssen daher in unserer Gemeinschaft überdacht werden. Den gesellschaftlichen Teil, den die Polizei zur Lösung sozialer Spannungen beitragen könnte, nimmt sie z.B. nicht wahr.

Nach wie vor definiert sich die Polizei in einer vorgeschichtlichen Hierarchie, die Kritik von innen wie von außen als einen Angriff auf vollkommene, unfehlbare Beamtenschaft sieht. Zugleich erfüllt sie als Exekutive brav ihre staatsbürgerlichen Aufgaben, akzeptiert alle Gesetze, ohne das ihr zur Hand gegebene Instrumentarium, z.B. die nachrichtendienstlichen Mittel, oder die Gefährlichkeit repressiver Gesetze und freiheitseinschränkender Maßnahmen laut und kritisch zu hinterfragen. Beides, Kritik von innen wie von außen anzunehmen und umzusetzen, sowie Gesetze und die polizeilichen Einsatzmittel, aber auch Datenschutz und Schusswaffengebrauch, selbstkritisch zu reflektieren, bedeutet ein neues Selbstverständnis der Polizei; bedeutet mehr Souveränität finden und zeigen. Neues Selbstverständnis heißt, dass sich die Polizei zwischen Prävention und Strafver-
folgung neu definiert. Ich habe hier die Vorstellung einer politischeren Polizei. Nicht eine unheil-
volle Staatspolizei, nicht eine politisierte und manipulierte Polizei schwebt mir vor, sondern eine politisch interessierte und politisch engagierte Polizei.

Politik heißt für mich in diesem Zusammenhang zur Verbesserung der Lebensumstände und Le-
benszustände beizutragen und bürgernah zu operieren. Politik heißt aber auch sich einmischen und dies im Sinne von mitarbeiten. Geschieht dies nicht, wird die Polizei einerseits politisch missbraucht, lässt sich anderseits aber auch politisch missbrauchen. Missbraucht wird sie, wenn wirtschaftliche Großprojekte (WAA, Atomkraftwerke, Startbahn-West) mit ihrer Hilfe gegen den Willen der Bevölkerung durchgeboxt werden sollen, oder wenn sie das Problem der Nichtsesshaf-
ten durch Verdrängung, d.h. durch Platzverweise, durch das Entfernen aus öffentlichen Parks und Fußgängerzonen lösen soll. Missbrauchen lässt   sie sich durch ihre obrigkeitsorientierte nichtwi-
dersprechende Pflichterfüllung und durch ihr loyales Schweigen. Mitverantwortlich ist sicherlich das antiquierte Beamtenrecht, das jede Beamtin, jeden Beamten dem Treueverhältnis gegenüber dem Dienstherrn und der politischen   Mäßigung unterwirft. Dieses Züchtigungsrecht der politi-
schen Mäßigung konkurriert jedoch mit dem Diensteid. Der Diensteid verpflichtet Beamte und Beamtinnen auf das Grundgesetz und die jeweilige Verfassung der Bundesländer. Dies bedeutet wohl nicht nur die Rechte aller   Bürger und Bürgerinnen, d.h. für mich auch ausländischer Mit-
bürgerinnen, zu schützen, sondern die Verpflichtung, selbst aktiv, vor allem politisch aktiv sich für diese Grundrechte öffentlich einzusetzen. Gerade jetzt, da die Ausschreitungen und der Rassismus gegen Nichtdeutsche und Flüchtlinge ein verheerendes Ausmaß angenommen haben, sollte sich jeder Polizeibeamte seines Diensteides erinnern.

Aufgrund dieser Mäßigung finden sich innerhalb der Polizei so wenig kritische Stimmen, die an die Öffentlichkeit gehen,

 obwohl die Ausbildung und die Umsetzung in eine bürgernahe Polizei reformbedürftig ist,

 obwohl die Aufgaben einer demokratischen und an der Opferhilfe orientierten Polizei neu definiert werden müssen,

 obwohl die Rolle der Polizei bei Großeinsätzen, Demos, unrühmlich eskalierte (Wackersdorf) und dem entgegenzutreten ist,

 obwohl der strukturelle Aufbau (Hierarchie) die notwendige Auseinandersetzung abwürgt und geändert werden muss,

 obwohl die Polizei ein Teil der Gesellschaft ist, in der sie nur mit und nicht gegen die Gesellschaft handeln kann.

Statt dessen hat die Polizei Angst

 vor Offenheit,

 vor Namensschildern,

 vor Kontrollinstanzen,

 vor externen Beauftragten für Frauen, für Ausländer und gegen Diskriminierungen,

 vor dem Eingeständnis von Fehlern,

 vor Veränderungen.

Folglich lehnt sie Kritik, die zu Veränderungen führen würde, mit pikierter Besserwisserei ab. In dieser Nichtausübung ihrer politischen Verantwortung isoliert sie sich selbst.

Es sind nicht nur die politisch Verantwortlichen oder die Führungskräfte innerhalb der Polizei,
die am status quo nichts ändern wollen. Es sind – und dies ist schlimm genug – auch Beamte des mittleren und gehobenen Dienstes, die sich von jeder Kritik ans Bein gepinkelt fühlen. Sie iden-
tifizieren sich oft mit der Institution Polizei. Ihre sicherlich vorhandene Macht wird als selbstver-
ständlich angenommen. Zudem darf ihre Autorität und ihr Verhalten nicht angezweifelt werden. Zweifler, innerhalb und außerhalb des Systems, gefährden daher ihre Stellung und die Angriffe müssen abgewehrt werden. Der verheerende Corps-Geist innerhalb einer abgeschlossenen Hierarchie führt zur Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Dies spürte auch ich persönlich.

In Interviews sprach ich die Frauenfeindlichkeit, die Ausländerfeindlichkeit und den Hang zu rechtsradikalen Tendenzen an. Diese öffentlichen Äußerungen führten zu einer starken Polari-
sierung auf meiner damaligen Dienststelle. Zunächst wurden die Artikel auf der Dienststelle in Form eines Steckbriefs ausgehängt. Über verbale Attacken führte dies bis zu persönlichen Feindschaften. Man beschwerte sich anonym bei der Dienststellenleitung. Mehrere Kollegen weigerten sich daraufhin, mit mir Dienst zu verrichten. Die Beschwerden wurden an die Direktionsleitung weitergetragen, die in mir einen Störenfried sah. Zur Wiederherstellung des Dienstfriedens wurde ich gegen meinen Willen zu einer anderen Dienststelle abgeordnet. Und
dies mit der mündlichen Begründung des damaligen Direktionsleiters, dass es sich um einen demokratischen Vorgang handle, in dem der Einzelne sich der Mehrheitsentscheidung beugen müsse. Zudem, so sein väterlicher Rat, hätte ich die Möglichkeit meine Ansichten zu überdenken und mich neu zu bewähren.

Neben persönlichen Schwierigkeiten wagte ich es u.a., den dienstlichen Anordnungen meiner Vorgesetzten zu widersprechen. Die daraufhin indizierten Meldungen der Vorgesetzten führten zu langjährigen disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen mich, die noch andauern. Als Konsequenz konnte ich in dieser Zeit weder beurteilt noch befördert werden. Die vorgesehene Beförderung zum Hauptmeister im Juli 1990, ein nicht unerheblicher finanzieller Sprung, wurde daher nicht voll-
zogen und wird auch rückwirkend nicht angerechnet. Auch die Zulassung zum gehobenen Dienst ist aufgrund der unterbliebenen regelmäßigen Beurteilungen ausgeschlossen.

Inzwischen haben vier sog. Kollegen auch noch Strafanzeige gegen mich gestellt, und zwar wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Hintergrund ist eine Festnahme eines vermutlichen Diebes, der von mir zur Pol.-Inspektion 31 gebracht wurde. Dort wurde der völlig friedliche Bolivianer im Wachraum auf eine Bank gesetzt. Während ich im Nebenraum Kontakt mit der ausschreibenden Dienststelle aufnahm, hörte ich aus dem Wachraum Lärm und Geschrei. Ich kam zurück und sah, wie die Kollegen gerade den blutenden Bolivianer fesselten, der lt. ihren Aussagen angeblich freiwillig, ohne deren Zutun, plötzlich in den Spiegel sprang und sich dabei verletzte. Zur eigenen Sicherheit musste der Festgenommene gefesselt werden. Ich habe dies vehement bezwei-
felt und ließ auch erkennen, dass ich den Aussagen der Kollegen keinen Glauben schenkte. Zumin-
dest war deren Vorgehen für mich absolut unverhältnismäßig. Die verbalen Attacken, die folgten, möchte ich hier nicht wiedergeben. Doch das Ergebnis war eine Anzeige dieser Kollegen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, da ich sie angeblich an der Fesselung gehindert habe. Diese persönlichen Erfahrungen zeigen, wie selbstherrlich Polizisten reagieren, wie wenig sie mit Kritik umgehen können und wie sehr es ihnen an Souveränität mangelt. Der leitende Polizeidirek-
tor Günter Berndt veröffentlichte in der Schriftenreihe der Polizeiführungsakademie in Hiltrup folgende Forderung: „Schlechthin muss das Anforderungsprofil an einen Polizeibeamten der Zukunft überdacht und geändert werden.“ Dem kann ich nur zustimmen: „Fangen wir endlich damit an!“


Mitteilungen der Humanistischen Union 136 vom Dezember 1991, 64 f.

Überraschung

Jahr: 1991
Bereich: Bürgerrechte

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