Materialien 1991
Ostermarsch: Im Schatten des Golfkriegs Redefreiheit massiv eingeschränkt
Der diesjährige Ostermarsch vom 30. März, vom Münchner Friedensbündnis organisiert, stand ganz im Schatten des Golfkriegs. Der Marsch war als Sternmarsch konzipiert, der beginnend an drei Außensteilen (Haupteingang Rohde & Schwarz, Deutsche Aerospace AG und St. Ursula-Kirche) dann zur Abschlusskundgebung zum Marienplatz führte. Als Hauptredner traten dort Karin Benz-Overhage (Bundesvorstand IG-Metall) und Dieter Lattmann auf. Den Kulturteil be-
stritten Vertreter der Münchner Kammerspiele (H. Griem, H. Bennent) und der Liedermacher Sepp Raith.
Nach der Auftaktkundgebung versuchten Polizeibeamte in Zivil während einer Zwischenkundge-
bung am Johannisplatz einen Redner (Mitglied der DFG/VK), der zuvor vor der Rüstungsfirma Rhode & Schwarz eine Rede gehalten hatte, zur Feststellung der Personalien in Gewahrsam zu nehmen. Die Polizei gab sich nach Protesten von Teilnehmern der Kundgebung mit einer Perso-
nalienfeststellung vor Ort zufrieden, erklärte aber, dass die Reden auf Tonband aufgenommen werden, um gleich einschreiten zu können. Hierzu habe man Kontakt zum Staatsanwalt. Der Redner nannte Max Streibl einen „Helfershelfer des Kurdenvergasers Saddam Hussein“, weil Streibl seit Jahren als Aufsichtsratsvorsitzender bei MBB fungiert. Gerade aber MBB hatte sogar noch im September 1990, nach dem Boykottbeschluss der UNO versucht, den Irak mit Rüstungs-
gütern zu beliefern. Ein anderer Redner, Vertreter der türkischen Oppositionsgruppe Demokratik Isci Birgili, wurde ebenfalls aufgrund seiner Rede während der Auftaktkundgebung vor Rohde & Schwarz von der Polizei am Marienplatz festgehalten. Nach der Weigerung sich auszuweisen, wurde er zur Feststellung der Personalien in die Ettstraße gebracht. In seiner Rede hatte er den türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal wegen seiner Rolle im Golfkrieg heftig attackiert. Er kritisierte wiederholt die äußerst fragwürdige „neue Weltordnung“ der USA und würdigte noch die wichtige Rolle der Schüler in den Wochen des Golfkriegs.
Die Vertreterin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit hob ihrerseits hervor, dass nach Wegfall des Feindbildes durch das Auflösen des Warschauer Pakts die Bundeswehr sich in einer Krise befinde und daher in einer Grundgesetzänderung erreicht werden solle, vom „Beobach-
ter“ zum „Teilnehmer“ des weltpolitischen Geschehens zu werden. Sie ging auch auf die fragwürdi-
ge Äußerung Egon Bahrs ein, „Deutschland müsse sich an Kriegseinsätzen außerhalb des NATO-Gebiets beteiligen“ und wies eine Grundgesetzänderung schärfstens zurück. Die Hauptredner die-
ses Ostermarschs, besonders Karin Benz-Overhage, beklagten auf der Abschlusskundgebung die Grausamkeit des Krieges, gaben aber nur wenig Impulse und zeigten nicht deutlich genug auf, wie die ökonomischen und politischen Konsequenzen aussehen müssten. Es wurde wieder z.T. an die falschen Adressaten appelliert: Staat und UNO – als ob man sich blind auf diese Institutionen verlassen könne! Doch gerade dieser Golfkrieg hat gezeigt, dass hinter der UNO letztendlich die Interessen bestimmter Staaten stehen. Dieser Sachverhalt, der doch jedem klar sein müsste, kam insgesamt nicht klar genug heraus. Die Vertreter der Kammerspiele vertraten eine eher humani-
stisch-pazifistische Linie.
Insgesamt ist zu sagen, dass die Polizei heftig in die Kundgebungen und Veranstaltungen einzu-
greifen versuchte. Was den Vorwurf der „Beleidigung von bayerischen Politikern“ angeht, wollen die Grünen, gestützt auf. Art. 57 BV (Bayerische Verfassung) gegen Streibl klagen, um die Recht-
mäßigkeit seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat der MBB zu klären.
Quelle: Presseerklärung DFG/VK – (joe)
Münchner Lokalberichte 8 vom 17. April 1991, 12.