Materialien 1991

Ihr Friede ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln

„man meint leicht, dass Weltpolitik so kompliziert, deshalb unverständlich – aber nur ein Pokerspiel um Macht – oft unglaublich einfach, grob, primitiv – das einzige, was die Politiker so erhaben macht: dass sie ihre Einsätze geheim halten, geheimnisvoll machen, dass sie uns vor vollendete Tatsachen stellen. Weil wir so dumm und überrascht dastehn, glauben wir, es müssten überaus differenzierte Manöver stattgefunden haben – aber das Ganze unterscheidet sich kaum von den Kriegsspielen der Kinder: nur ist es ein Spiel von Banditen, Massenmördern, von Psychopathen“
Peter Weiss, Notizbücher 1971 – 1980

Die kuwaitischen Scheichs herrschten als modernisierte Sklavenhalter. Der Diktator Hussein ließ die Bewohner kurdischer Dörfer ausrotten. westliche Regierungen unterstützten beide und sorgen mit eigenen Raubzügen für ihren Machterhalt.

Die Armen sollen die Reichen verteidigen

Herrschende in allen Lagern ließen den Krieg am Golf führen. Eiskalt geplant, hetzten sie jene, von denen sie Vertrauen verlangten, zum Morden und in den Tod.

Als Fürsprecher der „freien Marktwirtschaft“, als Politiker oder Militärstrategen ließen sie diesen Krieg führen von Menschen, die zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Sie ließen ihn führen von Menschen, die oft geglaubt hatten, nur dann zu Ausbildung und sozialer Absicherung kommen zu können, wenn sie Rädchen einer Militärmaschinerie werden würden. Weigerten sie sich für die Interessen ihrer führenden Cliquen zu morden, wurden sie — wie wiederholt geschehen — gewaltsam von der US-Armee an die Front deportiert oder, so im Irak, vor den Türen ihrer Eltern aufgehängt. Gelingt ihnen mal die Flucht, so wird ihnen natürlich auch in diesem Staat das Recht auf Asyl verweigert.

Unten wird bezahlt, was oben als Profit eingestrichen wird

Landkarten mit Produktionsziffern, ökonomischen Ressourcen und Militärpotentialen sind für die Strategen der Ausbeutung wichtig. Der einzelne Mensch mit seinem Verlangen nach gesicherter Existenz, nach Glück kommt darin nur als Nummer vor.

Die Regierten sollten den Krieg von oben erdulden, den die Manager von Shell, die Generäle Husseins und die Scheichs von Kuwait betrieben. Das Geld, das für die Schlächterei gebraucht wurde, werden nicht die Schlächter selbst bezahlen. Die täglich auf UN-Seite notwendigen 500 Millionen Dollar sollen denen herausgepresst werden, die sowieso am wenigsten haben: die politisch und ökonomisch unterdrückten Bevölkerungsschichten vieler Länder werden dafür blechen müssen.

Etwas Schöneres als Kriege sind für Kriegswaffenfabrikanten nicht denkbar. Vom Militär gekauftes Mordgerät wird zerstört, Ersatz dafür muss nachbestellt werden. Forschung und Entwicklung werden durch die hinzugewonnenen praktischen Erfahrungen gefördert, die in neue, effektivere Waffen ummünzbar sind.

Die gleichen Unternehmensgruppen, die im Irak an der Errichtung von Fabriken und Kraftwerken verdient hatten, ließen auch zu deren Zerstörung Soldaten und Waffen schicken. Bald werden sie noch Aufträge zum Wiederaufbau der Anlagen bekommen. Das lohnt sich kolossal — umsomehr, wenn an beide Kriegsseiten geliefert werden konnte.

Die Aktienkurse an der Börse entsprachen in ihrem Steigen und Fallen den Gewinnerwartungen aus dem Krieg am Golf und zeigen dessen Profiteure an. Das muss niemanden gesondert empören. Das Geld hat keine Moral und die Moral der Unternehmen ist das Geld. Das Kapital kennt keinen Unterschied zwischen Senfgasbomben und Landmaschinen. Jeder abgeschossene Flieger ist eine Neuinvestition, jedes zerstörte Haus ein Bausparvertrag.

So gab es auch keinen Anlass, den Exporteur von Giftgasfabriken nach Lybien, Herrn Imhausen, zu mehr als 5 Jahren zu verurteilen oder ihm gar seine damit verdienten Millionen wieder abzunehmen. Schließlich hat der Mann ja seine Steuerhinterziehung gestanden, ansonsten sich nur für seinen guten Verdienst eingesetzt und nicht etwa für den Kommunismus. Sollte nach diesem Krieg die irakische Seite nicht mehr in der Lage sein, das noch bei deutschen Rüstungsherstellern fällige Blutgeld in Höhe von 2.5 Milliarden DM abzuliefern, so ist vorgesorgt. Für entstehende Verluste kommt das Volk der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Handel mit dem Irak wurde durch Hermes-Bürgschaften von der Bundesregierung abgedeckt, da er ihrer Meinung nach im Interesse der BRD war.

Die Politik hat nicht versagt, sie zeigt nur ihr ungeschminktes, brutales Gesicht

Dies alles waren keinesfalls Mißbräuche oder Mißstände des ökonomischen und politischen Systems der BRD, keine Regelverletzungen. Es ist die Regel selbst. Es ist der einzige Sinn des Kapitalismus selbst, für Profite zu sorgen. Dessen Haltung Mensch und Natur gegenüber ist deshalb notwendigerweise ausbeuterisch, ist kriegerisch. Die Produktionsweise dieser angeblich „sozialen Marktwirtschaft“ lebt von der Zerstörung der Natur. Deshalb kann es auch keinen friedlichen oder ökologischen Kapitalismus geben, mit dem grüne Berufspolitiker Parlamentsrentner werden wollen. Es gibt hier nur Zugeständnisse, die dem Kapital und dessen staatlichen Vollstreckern abgerungen werden können und die, soweit sie nicht aufs Ganze gerichtet sind, doch nur die nötige Basis an Ruhe schaffen, um das Aussaugen anderswo effektiver gestalten zu können. Die Bomben fielen im Nahen Osten, aber die kapitalistische Kriegsmaschine ist so groß wie die Welt.

Ihr Frieden und ihr Krieg sind wie Wind und Sturm

So wie sie Krieg und Völkermord als Schutz der Menschenrechte verkauften, so verkaufen sie die alltäglichen Schweinereien als Frieden. Frieden nennen sie die Fortsetzung ihrer Kriege als Geschäft. „Es herrscht Friede“, sagen die Herrschenden, wenn wir, ohne uns zu wehren, uns von ihnen benutzen lassen.

Der Krieg existierte schon immer in der kapitalistischen Weltökonomie. Er ist kein „Wahnsinn“, sondern logischer Ausdruck kapitalistischer Rationalität. Die allerdings ist der Wahnsinn, der alltägliche.

Mordvorbereitungen laufen in dieser Stadt seit Jahren ab. Trotzdem sollen uns diese Jahre als Friedenszeit verkauft werden. Frieden bedeutet für sie zum Beispiel
◘ der Verkauf appetitanregender Pillen an Hungernde,
◘ das Abladen ihres Giftmülls in den Ländern ihrer 3. Welt,
◘ das Zerstören ihrer Selbstversorgungswirtschaft dort,
◘ das Finanzieren von Foltersystemen.

Frieden nennen sie hier
◘ die Vertreibung von Menschen aus ihren Wohnungen und ihrer Stadt durch Spekulanten,
◘ den pausenlosen Lärm- und Giftterror durch Flugzeuge und Autos,
◘ das Zubetonieren von Frischluftschneisen,
◘ das Sterben von Flüssen und Wäldern.
◘ die Krankheiten, in die sie uns mit Leistungsdruck und Arbeitsstress hineintreiben.

Frieden nennen sie ihren Krieg gegen uns!

Friede für uns heißt,
◘ dass jeder Mensch selbst bestimmen kann, wie und mit wem er wohnen will,
◘ Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,
◘ im Einklang mit der Natur leben zu können,
◘ nicht auf Kosten anderer Menschen zu leben,
◘ ein Ende der alltäglichen Gewalt,
◘ ein Ende des psychischen und physischen Hunger und Elends,
◘ eine Produktion, die allen dient
und so, so vieles mehr noch.

Alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,
ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist!

Weitere Milliarden für den Völkermord — das ist an einem Tag entschieden. Der notwendige Bau von Kindergärten entscheidet sich meistens nicht einmal innerhalb von 5 Jahren. Milliarden werden für die Zerstörung irakischer Wohngebiete ausgegeben. Dieselbe Regierung bringt es nicht fertig, genügend Geld für den Wohnungsbau bereitzustellen.

Es könnte alles zum Besten aller eingerichtet sein. Die Erfahrungen dafür besitzen wir längst. Aber das Leben ist zu einer Maschinerie der Zerstörung geworden, deren Ablauf ein einziges Leiden hervorruft. Sie wird aufrechterhalten durch Einpeitscher und Folterknechte, die viele SELBER wählen, die viele in Verblendung noch anfeuern.

Seit Wochen wird versucht uns einzureden, dass die deutsche Verantwortung in einer noch größeren Beteiligung an den Metzeleien besteht.

Die Verantwortung von allen, die glaubhaft für den Frieden sein wollen, ist es aber, sich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften den Kriegen zu wiedersetzen und dafür zu sorgen, dass ihnen nicht als Teil des normalen Alltags ungerührt zugesehen wird. Die Ruhe an der Heimatfront ist ein Beitrag zum Funktionieren der Kriege. Die Kriegsbetreiber brauchen unsere Loyalität und resignative Ohnmacht.

Das Wort Gerechtigkeit auf der Zunge plündern sie ganze Regionen aus! Während sie was von Christentum daherlabern, führen sie den Massenmord durch (Mensch erinnert sich: „Du sollst nicht töten“). Diese Leute haben uns nichts zu sagen. Ihre Gesetze haben sie gemacht, um uns in Schach zu halten. Ihre Kultur ist die Kultur des Völkermords. Sie sind dabei, unsere Herzen, unsere Gehirne in kleine Banktresore zu verwandeln, umgeben von blutigem Matsch und Werbegedusel aller Art.

Die Welt als ihr Selbstbedienungsladen, als PI EX der westlichen Herrscherklassen. Ihre Wirtschaftsordnung — eine gigantische Maschine zur Umverteilung von Reichtum aus den Ländern des Südens in die Länder des Nordens und Westens.

Ihre Politik, sei es in einem UN-Sicherheitsrat oder in einem Gemeindeparlament ist nicht Teil einer Lösung, sondern Teil des Problems. Wir werden immer zu Zuschauern degradiert, manchmal erkennend, wie Politiker nur ihre eigenen Interessen verfolgen.

Wir brauchen eine weltweite Solidarität, damit die vielen winzigen Rädchen zum Sand im Getriebe werden. Es ist nicht ausreichend, scheinbar in der 1. Reihe zu sitzen und gebannt zuzugucken oder bloß das Kotzen zu kriegen! Wir sind nicht hilflos ihrer Gewalt ausgeliefert!

Wir alle müssen einen Druck von unten aufbauen, dürfen ihnen keine Ruhe lassen, müssen den tauben Schlächtern ihre Messer und Schleifsteine, Viehwagen und Schlachthöfe, Telefone und Rechnungsbücher nehmen.

Und wir müssen zusammen überlegen, wie wir auf lange Sicht die Wurzeln des Militarismus und der Kriegsmaschinerie ausreißen können.

Wir dürfen denen, die gegen die Völker der Welt die Kriege betreiben,
nicht mehr länger zuhören!

Keinen Mann, keine Frau, keinen Pfennig für Staat und Kirche!

Verweigert alle Kriegsdienste!

Stopp dem Völkermord an den Kurden!

Keine Produktion mehr für den Tod! Arbeiten und faulenzen für das Leben!

„Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und großgezogen worden sind, merken wir nicht mehr, dass wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum frohnenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angetan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann.“
Georg Büchner (1833)
_ _ _

Arbeitskreis Kultur und Widerstand


Handschriftlich datiert: 25. Januar 1991, gedruckt ohne Impressum, Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1991
Bereich: Internationales