Materialien 1992

Ausländerhass vor dem Pantoffelkino

Draußen vor den Toren der Stadt blasen kalte Novemberwinde Plastikwolken durch die Isarauen. Die große Stadt häuft Abfall auf Berge, und in den großen Klärbecken wird die Kloake verrührt. Ein haushoch blauer Wegweiser weist den Weg nach Nürnberg, aber auch zur „MÜLLDEPONIE“. Hier findest du – gerade noch die Sondermüll-Deponie in Sicht, lebhaft grün bepinselt, vertrauenerweckend der graue Beton des Sicherheitsbehälters – ein kleines. von Erdwällen umfriedetes Geviert, in dem Menschen wohnen.

Vor den Toren der Stadt

Sie haben einen eigenen Autobahnanschluss, die Menschen in der Siedlung an der Burmesterstraße – ihre einzige Straßenverbindung zur Zivilisation, mit Schule, Einkauf, Feuerwehr und Krankenwagen, mitbenutzt von der städtischen Abfallentsorgung und den vielen anderen LKW, die sich auf den mövenumschwärmten Müllkrater entladen. Die Verbindung mit dem Ort ist durch eine Barriere versperrt, die für deutsche Bürger den Verkehr beruhigt. Ein LKW überfuhr neulich einen Sinti-Jungen auf dem Weg zur Schule. Seitdem ist er gelähmt, der Krankenwagen fand zu spät hin. Die Siedlung liegt inmitten einer Mondlandschaft aufgetürmter Betonbrocken und anderem Aushub vom benachbarten Klärwerk, neben dem neuesten Asylbewerber-Lager und der Autobahn, auf dem Grund des Gutes Großlappen. In Jahrzehnten wurde hier Klärschlamm abgelagert. Der Siedlungsgrund ist im rechtsgültigen Bebauungsplan für das neueste Gewerbegebiet als Parkplatz für das modernste „Park&Ride-System“ Europas ausgewiesen. Fünfzig Menschen, die hier ständig in Wohnbaracken und Wohnwägen hinter Wällen versteckt leben, sind für die städtischen Planer Luft.

Unter Lagerverwaltung

Die Sozialarbeiterin Uta Horstmann setzt sich seit Jahren für die Sinti und Roma ein. Sie kommentiert die Abschiebungsvereinbarung zwischen Innenminister Seiters und der rumänischen Regierung. Eingereiste Roma werden ohne Verfahren wieder abgeschoben. Rumänien erhält für ihre Wiederaufnahme 30 Millionen Mark Kopfgeld. Um ihre Schlepper bezahlen zu können, betteln sie auf deutschen Straßen und verkaufen auch ihr Gold. Ein Schreiben an die Stadt erinnert an die fehlende Straßenanbindung. „Man hat vergessen, dass hier Familien wohnen“, meint Gusti Michl. Eine Diskussion entsteht über die Frage, ob die Frauen an der Demonstration zum 9. November teilnehmen sollen. Nach langer Diskussion um das Für und Wider ist schließlich die Teilnahme freigestellt. Sie werden mit einer Gruppe Sinti an der Großdemo teilnehmen und danach feststellen, dass die Angst weg ist und das Erlebnis der freundlichen Menschenmenge ihnen Mut gemacht hat.

Menschen vom Zirkus

Die Leute vom „Zirkus Melanie“ lebten seit 1959 in der Kranzfelder Allee unterhalb des Müllbergs. Die deutschen Nachbarn nannten sie aus Gewohnheit und wohl wegen der bunten Zirkuswagen, in denen sie lebten, „die Landfahrer“ und ihre Siedlung „das Landfahrerlager“. Weil ihr Standplatz gebraucht wurde – der Platzbedarf wuchs mit dem Müllaufkommen – versprach ihnen die Stadtverwaltung 1974 einen Lagerplatz mit neuen Wohnwagen aus Holz und mit neuen Küchen auf den Klärschlamm-Feldern des Guts Großlappen. Sie stimmten zu, und als eintausendzweihundertfünfzig Leute am Umzugstag an den neuen Platz kamen, standen dort alte Bauwagen, von den Arbeitern verschmäht, daneben ihre Möbel auf der Straße. Darin lebten sie zehn Jahre. Dann wehrten sie sich mit einer Hausbesetzung. „Wir wollen leben wie Menschen“. Die Presse bekam Wind, Karin Friedrich, Edith von Welser und Dr. Körber vom Wohnungsamt setzten sich ein. So wurden Baracken gebaut, in denen sie heute leben. Für eine Wohnung (48 qm, warm) zahlen sie 300.- Mark.

Der Zirkus hat Publikum

Vor einem Jahr ist mit einer engagierten Freimannerin, Bärbel Häfele, die „Arbeitsinitiative Burmesterstraße“ gegründet worden. Auf der letzten Bürgerversammlung fordern sie nun geschlossen, die Frauen in bunten langen Röcken, die Männer etwas aufgeregt und würdig, ihren Straßenanschluß, bejubeln dann – die Bürger recken die Hälse – die mehrheitliche Annahme des Antrags. Ihr erster öffentlicher und erfolgreicher Auftritt seit mehr als dreißig Jahren, seit sie vor zahlendem Publikum durch die Zirkuskuppel flogen. Der Mut, sich zu zeigen, hat Früchte getragen. Auf der alten Schüttfläche für Klärschlamm aus dem Gut Großlappen ist eine „F-Fläche“ für sozialen Wohnungsbedarf ausgewiesen worden; hier sollen die Leute von der Burmesterstraße wohnen dürfen. Denn sie wollen zusammenbleiben und freie Luft atmen. Gestank und Lärm, auch kontaminierte Böden nehmen sie dafür klaglos in Kauf.

Die lieben Nachbarn

Nun droht neues Ungemach. Das Interesse der Öffentlichkeit ist aufgewacht, die Nachbarschaft wird sich des „Problems“ bewusst. Im Norden einer kleinen Freimanner Siedlung aus der 30er Jahren – kleine Hexenhäuschen mit Apfelbäumen im schönen Garten – , der „Reichskleinsiedlung“, hat sich der „Siedlervorstand“ der „Siedlergenossenschaft“ an die Stadt und die Nachbarschaft gewandt. Man erhebt Einspruch gegen die „F-Fläche“. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu verhindern, dass der Landfahrerlagerplatz an den von Ihnen vorgesehenen Standort kommt … Bitte verstehen Sie uns, wir können doch nicht hinnehmen …, dass der Landfahrerlagerplatz an ein Wohngebiet – an unser Wohngebiet – angeschlossen wird.“ Auch Prominente wie der Fernsehunterhalter Schmitt-Thiel haben sich bei der Unterschriftenaktion engagiert. Sie unterstützen mutig das Argument, die Ansiedlung der Sinti und Roma am Stadtrand vergrößere das Verkehrsaufkommen auf unzumutbare Weise.

Siedlermoral

Und dies geschieht gleichzeitig mit den Lichterketten und moralisierender Ausländerfreundlichkeit. Hass und Fremdenfeindlichkeit – hier Rassismus – versteckt sich als wohlanständig-behäbige Bürgerlichkeit hinter der Sorge für die Umwelt: Die „Landfahrer verursachen Verkehr“; im Klärschlamm, der „F-Fläche“, hat sich ein „Biotop“ gebildet, für die Siedler ein „Naherholungsgebiet“ Man fordert Anspruch auf Feierabendruhe mit Bier und Fernseher, wehrt sich aufrecht und anständig gegen die Unterstellung von „unterschwelligem Ausländerhass“’. Der Kampf für eine lebenswerte Umwelt ist zum billigen Ablenkungsmanöver für bornierte Interessen verkommen. Fehlte noch, dass man die unwillkommenen Neusiedler unmittelbar zur Umweltverschmutzung erklärt.

ep


Schwabing extra.  Zeitung der Schwabinger Friedensinitiative 2/1993, 3.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: AusländerInnen

Referenzen