Materialien 1992

Leben in Containern

Beispiel Theresienwiese

Von Januar bis April lebten auf der Theresienwiese Flüchtlinge aus verschiedensten Herkunfts-
ländern. Vor Krieg und politischer Verfolgung in ihren Herkunftsländern geflohen, wurden sie in München Opfer eigensüchtiger Konflikte zwischen der Stadt und dem Freistaat Bayern. Die Stadt, in einer Atmosphäre täglich wachsenden Rassismus selber noch eine „Asylantenkatastrophe“ inszenierend, suchte einen möglichst spektakulären Unterkunftsort für die ihr zugewiesenen Flüchtlinge und fand ihn auf dem Wiesngelände. Die Bedürfnisse der Betroffenen waren den Bürokraten dabei gleichgültig.

Um das „Problem“ möglichst augenfällig zu gestalten, wurden die Wohncontainer nicht an den wesentlich geeigneteren Rand der Theresienwiese plaziert, sondern unmittelbar an Haupteingang und U-Bahnausgänge. Für die Bewohner bedeutete dies eine zusätzliche Verschärfung ihrer Situa-
tion. Zu den „normalen“ Problemen, die das Leben in Containern mit sich bringt, das zusammen-
gepferchte Wohnen zu viert auf 12 Quadratmetern, der fehlenden Kommunikation infolge der verschiedenen Sprach- und Kulturkreise, aus denen die Flüchtlinge stammen, der völlig fehlenden Unterstützung bei Behördengängen, die nötig wäre, da die meisten Betroffenen über keinerlei Deutschkenntnis verfügen und die Sprache auch in den Lagern nicht lernen dürfen, kamen auf der Theresienwiese noch fehlende Koch- und ungenügende Waschmöglichkeiten. Nicht einmal die Versorgung mit Trinkwasser war ständig gewährleistet; häufig tröpfelte aus den Hähnen eine trübe Brühe, die im Glas einen fingerdicken Satz hinterließ. Damit nicht genug, riefen Art und Ort der Unterbringung eine für die Flüchtlinge kaum erträgliche Atmosphäre hervor. Da die Theresienwie-
se ein beliebter Platz für Spaziergänge war und ist, fanden sich rund um die Container immer wieder wahre Menschenscharen ein. Zum Teil verbreiteten sie eine Stimmung, die die Container-
bewohner an Zoobesuche erinnerte. Es wurde in das abgezäunte Gelände hineingestarrt, aber keinerlei Versuche unternommen, mit den Menschen darin Kontakt aufzunehmen. Häufig wurden Fotoapparate gezückt und hemmungslos herumgeknipst. Einen besonderen Hohn stellte der Zaun dar, der das Gelände angeblich schützen sollte: Dessen Spitzen waren nach innen abgesenkt, verhinderten also das Herauskommen, nicht das Eindringen. Das machte die Käfigatmosphäre komplett.

Die Stimmung, die unter den Bewohnern des Containerlagers herrschte, drückt der Brief eines nigerianischen Flüchtlings aus, den wir im folgenden wiedergeben. Er zeigt, wie die Stadt München Menschen im Westend leben ließ. Wir befürchten, dass die’ Existenzbedingungen in anderen Containerlagern, z.B. an der Hansastraße, um nichts besser sind und sein werden.
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„Save these dying foreign souls“
Rettet diese sterbenden Menschenseelen

Ich möchte dieses Medium nutzen, um meine Ansicht über die wahllose, unsensible Vorgehenswei-
se zu äußern, mit der Krankheit, Frustration, Not, unmenschliche Behandlung und Einschüchte-
rung vorprogrammiert sind – Ausdruck rassistischer Diskriminierung – was sich jetzt beim Containerlager auf der Münchner Theresienwiese, wo Flüchtlinge leben, zeigt.

Auch wenn ich die Freundlichkeitsgeste der bayrischen Staatsregierung schätze (zu schätzen weiß), Asylsuchenden vorläufiges Bleiberecht zu gewährleisten, glaube ich fest, dass die verantwortlichen Behörden für die Zuteilung von Wohnräumlichkeiten nicht kurzsichtig sein sollten bezüglich grundlegender notwendiger Infrastruktur und der Menschenrechte, die uns in den besagten Containern offen verweigert werden.

Zum ersten. Die für die Versorgung dieser Sammelunterkunft zuständige Vertragsfirma, die die Fertiggerichte liefert, hegt Voreingenommenheit, wenn nicht negative Gefühle uns Fremden gegenüber, indem sie uns mit Lebensmitteln versorgt und diese uns zu essen zwingt, die nicht
im geringsten (mindestens) unserer gewohnten Nahrung entsprechen. Und nicht nur das. Die Frischequalität des Essens, das uns täglich geliefert wird, ist von sehr geringem (Nähr)wert und sehr eingeschränkt in den Mengenproportionen – wenn man von dem vereinbarten Preis einer Mahlzeit pro Person ausgeht, der dafür bezahlt wird.

Der Lebensmittellieferant sollte sich den Behörden gegenüber der Tatsache bewusst sein, dass „des einen Essen des anderen Gift ist“. Daher musste jetzt einigen von in diesen Containern Lebenden von Ärzten eine spezielle Diät verordnet werden – was auf dieses Essen zurückzuführen ist.

Zweitens. Es gibt keine Waschmaschine für uns in dieser Sammelunterkunft, um unsere Kleidung zu waschen.

Drittens. Täglich, um Mitternacht, kontrollieren die der Sammelstelle zugewiesenen Sicherheits-
kräfte Container für Container, stören und belästigen unschuldige Menschenseelen in ihrem Schlaf.

Ferner. Man findet keine Worte dafür, die Art und Weise von beschämender Verlegenheit zu beschreiben- mit der unsere Besucher von den Sicherheitsbeamten am Eingangsgitter behandelt werden (Anmerkung des Übersetzers: Bevor man überhaupt das Gelände betreten darf, muss man den Personalausweis bei den Sicherheitskräften abgeben.)

Und schließlich, es sind unter allen aufgestellten Containern in der Innenstadt nur diese hier, die nicht mit Kochmöglichkeit und Küchengeräten ausgestattet sind.

Jeder der schwarzen und weißen Fremden, die in diesen Containern leben, ist derselben Meinung, dass die Möglichkeit, für uns selbst kochen zu können, uns vor diesen traumatischen Erfahrungen bewahren würde – und auch die Kosten für die Regierung vielleicht auf ein Mindestmaß lindern würde.

Eine sterbende Seele
Theresienwiese, Februar 1992


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 1 vom November/Dezember 1992, 5 f.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Flüchtlinge

Referenzen