Materialien 1992

Am 2. und 4. Dezember ...

demonstrierten Tausende Menschen gegen das Verbot der PKK und 35 kurdischer Vereine. Die größten Demonstrationen fanden in Hamburg, Hannover, Stuttgart und München statt. Nachdem im ganzen Bundesgebiet nach einer großangelegten Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion der Polizei die Räumlichkeiten der verbotenen Vereine geschlossen worden waren, sind die meisten von ihnen inzwischen wiedereröffnet und unter strengen Auflagen an (neugegründete) kurdische Vereine zurückgegeben worden; in München dagegen darf bis heute kein kurdischer Verein in die Vereinsräume; sogar Kostüme einer kurdischen Folkloregruppe wurden beschlag-
nahmt. Im Zuge der Proteste und Besetzungsaktionen von Kurden gegen diese Maßnahmen sind
in Hamburg noch immer vier Kurden, die bei einem Polizeisatz am 30. November festgenommen wurden, als sog. „illegale Ausländer“ in Haft …

Kurdische Front: Wir fordern die sofortige Aufhebung des Verbots!

Gemeinsame Erklärung der kurdischen Organisationen PKK, PSK, KUK, Hevgirtin-PDK, KAWA, KKP, PIK, PRNK, PRK/Rizgari, Tekosin Sosyalist, TSK, PSK, YekbÞun vom 26. November.

Am Morgen des 26. November wurden 35 kurdische Vereine, Organisationen und Einrichtungen mit der Begründung, sie stünden der PKK nahe, geschlossen. Dies geschah aufgrund eines poli-
tischen Beschlusses, der dem Wunsch des türkischen Staates entspricht. Die westlichen Mächte haben während des Ersten Weltkrieges bei der Aufteilung Kurdistans auf vier Staaten mitgewirkt. Sie haben der 70jährigen Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegen das kurdische Volk den Rücken gestärkt. Sie unterstützen die kolonialistischen Regimes militärisch, wirtschaftlich und politisch und sie tragen Mitverantwortung an dem derzeitigen schmutzigen Krieg des türkischen Staates gegen das kurdische Volk. Das kurdische Volk hat in der Vergangenheit für seine natio-
nalen demokratischen Rechte gekämpft und tut es bis heute. Es will, wie jedes andere Volk, ein freies und ehrenvolles Leben führen. Aber es ist immer versucht worden, diese Forderungen mit der Gewalt der Bajonette zu ersticken. Die Regierungen der Republik Türkei haben es abgelehnt, das Problem auf dem Weg des politischen Dialogs auf friedliche Weise zu lösen und haben die Gewalt zu ihrer einzigen Methode gemacht. Der jüngste Beweis dafür wurde im März und April dieses Jahres erbracht. Trotz der intensiven Bemühungen der kurdischen Seite um eine friedliche und demokratische Lösung der Kurden-Frage beharrte der türkische Staat auf dem Einsatz von Gewalt und förderte ihre Intensivierung und Verbreitung. Nach Aufhebung des Waffenstillstandes wurden Hunderte von Dörfern dem Erdboden gleichgemacht, wie zuletzt in Lice geschehen, wur-
den ganze Städte und Ortschaften völlig zerstört und in Trümmerfelder verwandelt. Hunderte, Tausende von Menschen verloren ihr Leben, Zehntausende wurden gezwungen, ihre Wohngebiete zu verlassen, und flohen in den Westen. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit findet ein Vernich-
tungskrieg gegen das kurdische Volk statt. Es handelt sich um Ausrottung, um ein Vergehen gegen die Menschlichkeit. Deutschland und andere westeuropäische Staaten, die bisher im Hinblick auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu dieser Vernichtung geschwiegen haben und durch ihre militä-
rische, wirtschaftliche und politische Unterstützung zu Mitschuldigen geworden sind, geben einige Aktionen in ihren Staaten als Begründung für ein Verbot an. Dadurch werden sie die Lösung des Problems erschweren. Solange die Kurden-Frage nicht gerecht gelöst wird, werden derartige Pro-
bleme überall auftauchen, wo Kurden leben. Die Lösung des Problems kann nur eine politische sein, und sie kann nur darin bestehen, dass der türkische Staat seine reaktionäre, chauvinistische und gewalttätige Politik aufgibt und die Rechte des kurdischen Volkes anerkennt. Die einzige dafür notwendige Voraussetzung ist die Eröffnung des politischen Dialogs. Deutschland und die anderen Westmächte haben die Pflicht, eine klare Haltung in diesem Sinn einzunehmen, den Druck auf den türkischen Staat zu verstärken und so zur friedlichen Lösung des Problems beizutragen. Es ist un-
bedingt nötig, die direkte Unterstützung durch Waffen- und Wirtschaftshilfe zu stoppen und eine derartige Hilfe von der Einhaltung der Menschenrechte, der Einhaltung demokratischer Verhält-
nisse und der Lösung der Kurden-Frage abhängig zu machen. Das kurdische Volk möchte in die-
sem Vernichtungskrieg des türkischen Staates keine deutschen Panzer und Tanks eingesetzt sehen. Das kurdische Volk erwartet von einem mächtigen Staat wie Deutschland, das eigene Erfahrungen als geteiltes Land hat, Unterstützung und Solidarität. Die zeigt sich nicht darin, dass Deutschland dem türkischen Staat den Rücken stärkt, und auch nicht darin, dass es ihm mit Waffen und Geld hilft. Die unterzeichnenden Parteien, die sich im Prozess der Gründung einer national-demokra-
tischen Front befinden, fordern von der deutschen Regierung, den Verbotsbeschluss zurückzu-
nehmen, ihre Beteiligung an der Schaffung der Voraussetzungen einzustellen, die, vor allem in Kurdistan, Gewalt entstehen lassen, und in den internationalen Organisationen wie KSZE, Euro-
parat, EG und NATO, deren Mitglied sie ist, initiativ zu werden, damit die Kurden- Frage auf der Basis der Gleichheit friedlich gelöst wird.


Angehörigen Info 134/1992. Hg. von Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD, www.nadir.org/nadir/periodika/angehoerigen_info/ai-134.html.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Internationales

Referenzen