Materialien 1992

Sind Sie durchgeknallt oder im Dauerrausch, Herr Schmitt?

Am Abend des 23. Januar 1992 erhebt sich im Residenztheater der Ministerialdirektor Rudolf Schmitt, Amtsleiter der Bayerischen Staatskanzlei, während der Vorstellung von seinem Platz und zerrt den Intendanten Günther Beelitz auf den Flur. Schmitt ist die Musik zu laut. Die Tageszeitungen berichteten. Wolfgang Spielhagen meint, dass wir den Fall noch nicht zu den Akten legen sollten.

Soso, Herr Rudolf Schmitt, Sie pflegen also nicht in Pop-Konzerte zu gehen! So steht es jedenfalls in der „Abendzeitung“ vom~4.Januar. Ehrlich gesagt, ich würde es Ihnen auch nicht empfehlen. Die haben da nämlich Ordner, die sind fast genauso groß und stark und schwer wie Sie. Und wissen Sie, was die mit Ihnen machen würden, wenn Sie es wagen sollten, dort so eine miese Show wie neulich im Residenztheater abzuziehen? Einen Satz heiße Ohren würden die Ihnen verpassen, und wenn Sie dann immer noch nicht ganz still vom Platz schleichen, wäre gut und gern noch ein Tritt in die Eier drin.

Nicht, dass ich das richtig fände – ich bin gegen Gewalt, und ich habe meine guten Gründe: 67 Kilo und ’ne leptosome Hühnerbrust. Sie verstehen. Andererseits verstehe ich, dass Sie mit Ihren ca. 100 Kilo Lebendgewicht und annähernd 200 Zentimetern Scheitelhöhe meinen guten Gründen wohl kaum etwas abgewinnen können. Mir passen ja auch viele Gestalten nicht (nehmen wir nur mal Sie als Beispiel), und bei Ihrer Statur würde auch ich manchmal ganz anders rangehen. Sie wissen, was ich meine. Nun ist es aber eben mal so, dass Sie der Riese sind und ich der Zwerg. Also bin ich auch derjenige, der das Gespräch eher sucht, als den Faustkontakt. Möglicherweise sind Sie da anders gepolt, denn unterhalten wollten Sie sich ja partout nicht mit mir. Dabei hätten wir so vieles klären können. Na, Schwamm drüber. Habe ich eben die anderen gefragt. Und diesen Brief werden Sie ja nun garantiert lesen.

Sie trafen, wenn ich richtig informiert bin, am Abend des 23. Januar rechtzeitig zu Beginn der Vorstellung im Residenztheater ein. Korrigieren Sie mich nur! Platz nahmen Sie – na, wo schon – auf einem der teuren Freiplätze, 2. Reihe, Mitte. Wahrend des Stückes und auch während der Pause verhielten Sie sich unauffällig. Über Ihren inneren Zustand während dieses Zeitraumes ist nichts bekannt. Selbst aus der Staatskanzlei, der Sie ja vorstehen, hört man nichts als Gerüchte und Vermutungen. Ich darf mal zitieren: „Sie wissen ja, wie das ist, der Mann hat einen anstrengenden Tag hinter sich, kommt nicht mal zum Abendessen, in der Pause trinkt er vielleicht ein Glas zuviel …“ Vielleicht war es das. Vielleicht bewog Sie auch etwas ganz anderes, sich kurz vor Schluß der Vorstellung (Ibsens „Gespenster“, Sie erinnern sich?) von Ihrem Platz zu erheben, von der Mitte der 2. Reihe nach rechts bis zum Gang durchzuruckeln, sich wiederum nach rechts zu wenden und drei Reihen zurückzueilen, bis Sie vor dem Dienstplatz des Intendanten Günther Beelitz standen (Reihe 5, rechts außen, gleich neben der Tür).

Sie ahnen sicher schon, worauf ich hinaus will, Herr Schmitt: Bis Sie endlich zum Angriff auf Beelitz übergehen konnten, hatten Sie einen Anmarschweg … Kommen Sie mir also bloß nie mit dem „Affektstau-Trick“! Mal im Ernst: Sie wußten doch genau, was Sie taten.

„Das ist Körperverletzung!“ sind Ihre ersten Worte an Beelitz. Sie meinen angeblich die laute Musik. Doch das ist im Grunde völlig gleichgültig. Entscheidend ist vielmehr, dass Sie im nächsten Augenblick dem verdatterten Intendanten auch schon an der Wäsche sind und ihn ein wenig angelupft haben.

Ich versteh’s ja: Sie wollen, dass Beelitz „mal kurz vor die Tür“ mitkommt, und der Feigling macht Anstalten zu kneifen. Da zappelt man dem halt ein wenig am Anzug rum.

Mensch, Schmitt! Ich sage Ihnen nur das eine: Ihr Schienbein wäre heute noch in Gips, wenn Sie sich diesen Scherz mit mir erlaubt hätten. Schnell und hart zutreten – eine andere Chance hat man ja bei solchen Brocken wie Ihnen nicht, wenn die plötzlich mit flackerndem Blick vor einem stehen.

Zum Glück sitzt neben Günther Beelitz dessen Frau, womit in Ihrer kleinen Inszenierung unplanmäßig die einzige positive Heldin die Bühne betritt. Diese Frau spricht nämlich den einzigen richtigen Satz in Ihrer Aufführung: „Günther, bleib doch sitzen!“

Haben Sie in diesem Augenblick eigentlich ein wenig fest zugepackt? „Günther, bleib doch sitzen!“ Dieser einfache Satz hätte doch auch Sie bewegen müssen, wehrhafter Demokrat, der Sie sind! „Drehen Sie sofort die Musik leiser!“ haben Sie den Intendanten angeraunzt und irgendetwas von Sorgfaltspflicht des Staates und Schadenersatzklage geschimpft. Selbst den Ministerpräsidenten wollten Sie unterrichten!

Das ist der Augenblick, in dem Beelitz sich entspannt. Zum Glück nur ein harmloser Irrer! denkt der Intendant erleichtert. Eine doppelte Fehleinschätzung, gewiß. Denn erstens sind Sie nicht irre und zweitens sind Sie nicht harmlos.

Doch all das kann der Beelitz zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen, denn er ahnt ja immer noch nicht, wer da vor ihm steht: Rudolf Schmitt. Immerhin. Amtschef der Staatskanzlei, der Hausel vom Premier gewissermaßen.

Na, hoppla! Höher kann man ja kaum fallen! Sie wollen Klarheit schaffen und zücken etwas, was Ihrem Gegenüber als „Hundemarke“ erinnerlich ist: Staatskanzlei! Stillgestanden! Ratazong!

Steht auf diesem Ding eigentlich Ihr Name drauf? Beelitz jedenfalls weiß genau, dass er keinen gesehen hat. Und nun mal ehrlich, Herr Schmitt: Nehmen Sie dem guten Mann übel, dass der als erstes vermutet, der Streibl habe seinen Chauffeur zur Strafe ins Theater geschickt?

Stellen Sie sich doch einfach das nächste Mal, wenn Sie jemanden von A nach B ziehen, vor, und Sie ersparen sich solche Mißverständnisse.

Und eines dürfen Sie auf gar keinen Fall wieder tun: Lassen Sie die Dienstmarke und den Streibl außen vor. Sie wissen ja besser als ich, wie sauer der Alte reagiert hat: „Der Herr Ministerpräsident wünscht auf gar keinen Fall, mit dieser Sache befaßt zu werden!“

Jetzt mal unter uns, Herr Rudolf Schmitt: Was ist bloß an diesem Abend in Ihrem Kopf vorgegangen? Nichts? Fast nichts? Dummes Zeug? Ich kenne das ja von mir selbst: Abspannen! Mal raus aus der harten Wirklichkeit und zum Tagesausklang rein in den weichen Freikartensessel und ‘nen schönen Schuß Kultur reinziehen. Kost’ ja nix! „Unser Chef fühlte sich wohl sehr persönlich gefordert“, hat man mir aus Ihrem Amt in den Telefonhörer gelächelt. In meiner Wohngegend drückt man das kürzer aus: Durchgeknallt!

Durchgeknallt? Das kommt doch wohl von Knall und kann somit nur einen zeitlich eng begrenzten Vorgang umschreiben. Richtig? Wenn es sich nämlich so verhält, dann ist das Wort „durchgeknallt“ in Ihrem Fall völlig fehl am Platze. Knallte es doch, nimmt man Ihre Äußerungen in der „Abendzeitung“ für bare Münze, bei Ihnen auch in den nächsten Tagen noch heftig. War das vielleicht so etwas wie ein Nachknallen? Sie sagen da: „Ich habe ihn (gemeint ist der Intendant Beelitz) daraufhingewiesen, dass der Vorfall zuständigkeitshalber dem Ministerpräsidenten zur Kenntnis gegeben wird. Es wäre nämlich zu prüfen, ob die neue technische Anlage des Hauses mit solchen akustischen Zumutungen mißbraucht wird.“ Als Sie diesen Blödsinn von sich geben, stehen Sie – das nehme ich zu Ihren Ungunsten an – weder unter Strom, noch sind Sie von Ihren Affekten hingerissen. Keine mildernden Umstände diesmal. Oh, oh!

Ein paar Sätze weiter knallt’s dann gleich schon wieder. Ich darf Sie zitieren: „Der Fall (!) wird jetzt vom Umwelt- und Kultusministerium beurteilt. Es muß künftig gewährleistet sein, dass die Aufführung für das Publikum erträglich ist.“

Soso, Herr Rudolf Schmitt, da haben Sie nun gleich zweimal die Unwahrheit gesagt, einmal wissentlich und einmal, wie ich annehme, unwissentlich.

Zuerst zur wissentlichen Flunkerei: Die Musik im Residenztheater war Ihnen am 23. Januar zu laut, am28. Januar plaudern Sie in der AZ den obigen Mumpitz, und drei Tage später weiß man im Umweltministerium immer noch nichts von einer „Beurteilung“ des „Falles“.

Sollten Sie in dieser Sache nochmals ansetzen wollen, prägen Sie sich bitte ein: Das Umweltministerium ist in gar keinem Fall zuständig. Das Arbeitsministerium hingegen könnten Sie belästigen, wenn Sie glauben, dass Schauspieler durch Lärm geschädigt werden. Bei Ihrem Anliegen jedoch, der Gesundheitsfürsorge also, wäre der richtige Ansprechpartner das Innenministerium gewesen. Sicher verstehen Sie jetzt mein Unwohlsein angesichts dieses volkstümlichen „durchgeknallt“ besser. Wäre es nicht passender, von einem Dauerrauschen zu sprechen? Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich all jenen, die nicht das Glück haben, von Leuten wie Ihnen verwaltet zu werden, versichern: Sie sind nicht der Buhmann der Bayerischen Nation, und Sie werden es wohl auch nie werden. Sie haben die Amtsanmaßung nicht erfunden und das Verhältnis zur Kunst jenseits der Gräfin Mariza war schon bei Ihrem politischen Ziehvater ein sehr verworrenes. Mir will eher scheinen, sie wohnt Ihnen inne, diese herrische Haltung des eifrigen Dieners, der seinen Herren noch zu übertrumpfen trachtet. Ja, doch. Gewiß. Solche wie Sie gibt’s hierzulande im Dutzend.

Was Sie im Residenztheater inszeniert haben, würde Ihnen in den Scheichtümern am Persischen Golf zweifellos zur Ehre gereichen. In der Bundesrepublik Deutschland jedoch geht so etwas nicht, wissen Sie. Was dort mannhaft und kühn, ist hier schäbig und jämmerlich: der Staatsbeamte mit dem Künstler am Schlafittchen.

Das werden Sie doch wohl begreifen. Nein?

Dann sage ich es anders: Wir sollten einfach mal klarstellen, wer hier wen bezahlt. Jetzt kapiert?

Wie auch immer: Tun Sie mir den Gefallen und entschuldigen Sie sich, um der Sache willen, öffentlich. Die Kinder beginnen schon zu fragen.

Als unverbesserlicher Optimist auf Ihre späte Einsicht hoffend

Wolfgang Spielhagen

P.S.: Und denken Sie dran: Im Theater immer hübsch die Füße stillhalten …


Münchner Stadtmagazin 5 vom 19. Februar 1992, 36 ff.

Überraschung

Jahr: 1992
Bereich: Kunst/Kultur