Materialien 1993
Kafe Kult über sich
Sonntagabend. Der Duft der großen weiten Welt kommt heute aus dem Kochtopf. Mit roten Bohnen gefüllte Enchiladas warten auf die hungrigen Mäuler, die pünktlich um 19 Uhr vor der Theke des Kafe Kult wilde Haufen bilden. Die Kulisse ist gigantisch. In der Küche, die auch immer Teufels Küche und Gerüchteküche ist, rödeln mindestens acht Leute. Die sind gleichzeitig Zwiebelschneider, Teigkneter, Erbsenzähler, Bierverkäufer, Cassettenjockeys, Mobiltelefonsüchtige oder Chefkoch.
„Ist nich Punsch da?“ — „Ne, ich mach welchen. Hier riecht’s irgend wie komisch. Wo ist eigentlich das Salz?“ — „Mach mal andern Sound“ — „Hey, Wolfi, Telefon, irgend ne Band“ — „Ja, im Juni z.B. suchen wir noch Bands fürn riesiges Straßenfest…“ — „Der Walter weigert sich, Hohenkammern zu trinken“. Sie rödeln, aber sie rödeln irgendwie relaxed.
Der Kafe-Raum selbst strahlt Gemütlichkeit aus. Eine Szene von Altlinken und Jungpunks, Musikern, Bauwagenfreaks und verwirrten Nachtfaltern hockt an runden Tischen. Dies waren früher einmal Kabeltrommeln. Ein Zimmer weiter sind die Kartoffelschalenberge der Küche und die in der Kafe-Stube kommunizierenden Kartoffelkäfer vergessen. Hier befindet sich die Koordinatenachse für Kafe kult-urelle Aktivitäten. Mit Hilfe von Computer, FAX und Fon gräbt der Programmgestalter Bands aus — manchmal auch wieder ein — macht Kleinkünstlern die Gage abspenstig und schießt wild mit Veranstaltungshinweisen und Faltblättern um sich.
Nach der ersten heißen Phase zwischen 19 und 21 Uhr kehrt für den Kern des Kults kurz Ruhe ein. Die Teigkneterin greift zum Augustiner, der Chefkoch geht mit Freunden spazieren und der Programmgestalter darf endlich Liebesbriefe faxen. Aber so richtig knorky wird es im Kult erst gegen halb vier, wenn die übrig gebliebenen Feuerspucker nach getaner Arbeit um den letzten Tisch versammelt um die Wette shakern &. gelassen die Züge in den Montagmorgen abfahren sehen …
Das Kafe Kult befindet sich im Bürgerpark Oberföhring, ein städtisches Gelände, das so unterschiedlichen Gruppen wie dem Jodlverein und der Hard-Core-Szene Platz bietet. Gegründet im April 1990, ist das Kult mittlerweile ein Ort, um sonntags alte und neue Bekannte zu treffen, gut zu essen und der Live-Musik oder den Botschaften von Dichtern oder gar Revolutionären zu lauschen. Bunt & billig: Ein Essen kostet 3 Mark 50, ein Bier 2 Mark 50, der Eintritt ist in der Regel frei. Getragen wird das Projekt von einem fünfzehnköpfigen Kafe-Kollektiv, ohne Chef, dafür eben mit Chefkoch. Die Bands spielen kostenlos, die Mitarbeiter spülen kostenlos. Sie wissen, wofür.
Denn das andere München lebt vom Idealismus & von der Energie derer, die es sich anders wünschen. So ist das Kafe Kult eine Nische, die nicht alleine bleiben will. Und tatsächlich scheint sich etwas zu regen im Stadtgetriebe: etwa in der Egon Bar, die in unregelmäßigen Abständen in einer Privatwohnung veranstaltet wird. Oder im Feierwerksgelände, wo sich ein leerstehendes Haus in den samstäglichen Nächten in eine Soul-Disko verwandelt. Ohne Kohleabzock, versteht sich.
In der Gerichtekiche des Kafe Kult wird sogar gemunkelt, dass in den Katakomben unter dem Viktualienmarkt mächtig gefeiert werden soll und sogar in der Staatskanzlei. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine, die Benni mit den Ewig-Morgigen in irgendeiner der nächsten Sonntagsnächte am Tisch der Träume verfeuern wird.
fufu
KAFE KULT, OberföhringerStr.156, 8 M 81, Tel. 957 98 36.
Jeden Sonntag ab 17 Uhr
KAFE KULT -2-JAHRESFEST AM 25. APRIL
Stadtratte 14 vom Mai 1993, 16.