Materialien 1993
Streifschusser
Eine Angst geht um in Bayern, in Sonderheit dem weiblichen. Bedrohliches braut sich in München — seit einiger Zeit heimliche Hauptstadt der politischen Plakatkunst – zusammen. Da verkündet ein Mann im Schießer-Baumwoll-Leibchen, düster, entschlossen und nachgerade ultimativ von jeder zweiten Wand: Ich küsse keine Frau im Pelz. Der Mann heißt Uwe Ochsenknecht, ist schon deshalb eingeschworener Tierfreund und wirbt mit der ganzen Autorität, die ihm durch seine ge-glückte „Schtonk“-Rolle als Kujau-Hitler zugewachsen ist, für Animal 2000, die Tierversuchsge-gner Bayerns.
Keine Frage, der Mann meint es gut und er meint es ernst. Wie überhaupt die Tierversuchsgegner, eine jener erfrischend radikalen single-issue-Bewegungen sind, die die politische Kultur in der postrevolutionären Buntsreplik so mannigfaltig beleben. Eine ganze Legion von Prominenten und solchen, die es werden wollen, ist sich, und das finden wir alle prima, nicht zu schade, öffentlich und gratis (oder sogar mit beigelegter Spende) zu sagen, wofür und wogegen sie sind. Meistens sind sie für das Gute und gegen das Schlechte. Artists United for Nature, Ärzte gegen den Atom-
krieg, Rocker gegen Rechts, Laienpriester für das Leben und so fort. Bisweilen versammeln sie sich auf diesen ganz- oder halbseitigen Anzeigen für oder gegen was ganz Wichtiges zu Tausenden im Kleindruck mitsamt akademischen Graden von A bis Z und man kriegt vom vielen Nachlesen, ob jemand dabei ist, den man kennt (es ist immer jemand dabei), eine Sehschwäche. Und dann schämt man sich, dass man selber wieder nicht dabei ist (meistens hat einen keiner gefragt) und trägt die gesparten paar lumpigen Märker betrübt und reuevoll für die Lesebrille in die nächste Fielmann-Filiale.
Jetzt aber, wie gesagt, hat Animal 2000 (nachdem sie uns jahrelang mit Horrorbildern von Tier-
versuchen zu Recht gequält haben) im plakativen Politanzeigengeschäft den echt persönlichen Dreh gefunden. Aus den Prominenten ist noch viel mehr rauszuholen. Jetzt wird geklotzt. Der neue demokratische gesellschaftliche Diskurs (Habermas?) überschreitet den platten Ablasshandel und wird zum veritablen coming out. Hosen runter, Leibchen rauf, ihr Großen dieser Welt. Mit wem treibt ihrs, worin, worauf, warum und vor allem, warum nicht? Wie sieht eure private erotische Ökobilanz aus? Baumwolle (Aralsee-Versandung, Lohnsklaverei in Singapur) oder Pelz (KZ-Nerze, Massentierhaltung), Nylon (Chemie) oder Leder (Gülle plus Chemie)? Jetzt heißt es Textil beken-
nen, Konsequenzen ziehen – oder wenigstens androhen – und nicht mehr kleingedruckt im Strom mitschwimmen. Wirkliche Prominenz beweist sich heute im ideologisch begründeten erotischen Materialismus.
Arme Münchner Maderl. Boris Becker: „Ich knutsche keine Frau in Nylon.“ Franz Beckenbauer: „Ich kugle mich mit keiner Frau in Leder.“ Theo Waigel: „Ich geh keiner Frau an die Seidenwäsche“ (Finanzminister gegen Seidenraupenmissbrauch). Ein kalter, einsamer Wind wird Euch umwehen. Wiastas machst, machstas foisch. Des is hoit des Gschiß mit dera singl isschu Ökorotik.
tp
Schwabing extra. Zeitung der Schwabinger Friedensinitiative 2/93, 1.