Materialien 1968
Zu dem Prozess von Thomas Schmitz-Bender
und den Aktionen der Studenten gegen die politische Justiz
»Als ein zu statuierendes Exempel wurde in der Öffentlichkeit das Urteil des Amtsgerichts Mün-
chen vom 7.6.1968 gegen den Studenten Schmitz-Bender empfunden. Er hatte während einer De-
monstration mit einer Autolack-Sprühdose die Zahl 114 an das Gebäude des griechischen General-
konsulats gesprüht (Artikel 114, der durch die gegenwärtige griechische Militärdiktatur beseitigten Verfassung, garantiert das Widerstandsrecht). Das Urteil bezog sich auf Tateinheit von Aufruhr, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung sowie Bannkreisverletzung und lautete auf acht Monate Gefängnis ohne Bewährung, weil der Angeklagte als Demonstrationstäter bereits früher verurteilt worden war und die „Gewähr“ künftigen Wohlverhaltens nicht bot. Ein wichtiger Satz aus dem Urteil: „Das Recht der freien Meinungsäußerung besteht nur im Rahmen der sonstigen Gesetze; der Angeklagte ist durch nichts gehindert, seine Meinung ohne Verstoß gegen Strafgesetze kund-
zugeben.“ (Amtsgerichtsrat Hummel) „Aus Loyalität“ wies der Kölner Amtsgerichtsrat Gatzweiler einen Demonstranten auf dieses Münchner Urteil hin, der gegen einen 240.- DM Strafbefehl Einspruch erhoben hatte. Der Angeklagte zog den Einspruch zurück.«
Ansgar Skriver: »Gerechte Sühne oder Einschüchterung«, Zeitschrift für Rechtspolitik Nr. 2 in NJW 14, 11.68
DIENSTAG, 12.11. AKTION
Um 8 Uhr früh ziehen etwa 100 bis 200 Studenten mit dem Angeklagten Thomas Schmitz-Bender in ihrer Mitte von der Universität zum Justizpalast. Dieser ist von Polizei völlig abgeriegelt. Selbst der Angeklagte und Entlastungszeugen werden erst nach längerem Hin und Her in den Gerichts-
saal gelassen.
DIENSTAG, 12.11. PROZESS
Im schon überfüllten Gerichtssaal stellt Schmitz-Bender namens der draußen Wartenden den AN-
TRAG AUF AUFHEBUNG DER EINSCHRÄNKUNG DER ÖFFENTLICHKEIT. Das Gericht lehnt es ab, einen größeren Verhandlungsraum zu bestimmen. Schmitz-Bender beantragt, dass dann die interessierte Öffentlichkeit wenigstens die Möglichkeit bekommen soll, den Prozess über eine Ton-
bandaufzeichnung zu verfolgen. Das Gericht lehnt ab. In der Frage, dass Schmitz-Bender für seine Arbeit während des Prozesses die Anklagebank für ungeeignet hält und dass über sein Aufstehen oder Sitzenbleiben er selber entscheiden will, ist das Gericht liberal.
DIENSTAG, 12.11. AKTION
Die vor dem Justizpalast wartenden Studenten ziehen nach einer halben Stunde geschlossen zur Uni zurück. Während des Rückmarsches sind sie damit beschäftigt, die Popo’s (politische Polizei in Zivil), welche mindestens 10% des gesamten Zuges (ca. 20 von 200 Studenten) ausmachen, am Fotografieren zu hindern und aus ihren Reihen an die Seite des Zuges zu drängen.
In der Uni angekommen agieren die Studenten im Lichthof und in Hörsälen. Sie drucken und ver-
teilen Flugblätter, schreiben Wandzeitungen, weisen auf die Ereignisse des frühen Morgens und auf das für 13 Uhr angesetzte teach-in hin. Um 12 Uhr stimmen in einer Strafrechtsvorlesung des Prof. Bockelmann ca. zwei Drittel der Jurastudenten für eine Diskussion über den Schmitz-Ben-
der-Prozeß. Prof. Bockelmann ignoriert die Abstimmung und hält ohne Kommentar seine Vorle-
sung ab.
DIENSTAG, 12.11. PROZESS
Schon einige Tage vor Beginn der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende den BEWEISANTRAG ÜBER DEN FASCHISMUS IN GRIECHENLAND UND ÜBER DIE MITTELS DER KONSULATE UND BEI DEN DEUTSCHEN ARBEITSÄMTERN ZUGELASSENEN ARBEITSKOMMISSIONEN BETRIEBENE AUSDEHNUNG DER GRIECHISCHEN MILITÄRDIKTATUR AUF DIE z.Z. IN DER BRD LEBENDEN GRIECHEN abgelehnt; und zwar mit der Begründung, dass das in dem Antrag Ausgeführte »als wahr unterstellt wird«. Schmitz-Bender beantragt, dass dies jetzt ins Protokoll aufgenommen wird. Daraufhin meint der Vorsitzende, über den Antrag solle nun das gesamte Gericht entscheiden. Auch das Gericht unterstellt den Antrag als wahr. Schmitz-Bender läßt nun ins Protokoll aufnehmen, das Gericht betrachte also als nachgewiesen, dass die Bundes-
regierung die Anwendung faschistischer Methoden gegen die in der BRD lebenden Griechen dul-
det. Dieses wollte das Gericht nun wieder nicht; die Wahrunterstellung gelte nur in »prozessualer Hinsicht«. Die Wahrheit über faschistischen Terror hört also auf, eine Wahrheit zu sein, wenn der Terror beseitigt werden soll.
Ein Genosse wird für 2 Tage nach Stadelheim geschickt, weil er bei der Vereidigung nicht aufge-
standen ist und erklärt hat, dass er vor diesem Gericht nicht aufstehen kann.
DIENSTAG, 12.11. AKTION
Um 13 Uhr beginnt im überfüllten Hörsaal 101 das teach-in. Schmitz-Bender, der gleichzeitig Prozeßpause hat, ist anwesend und berichtet über den Prozeß. Die Versammlung beschließt, den Angeklagten zum Justizpalast zu begleiten und anschließend vor dem griechischen Konsulat zu demonstrieren, um zu dokumentieren, dass wir nicht bereit sind, vor der politischen Justiz zu weichen.
Um 14 Uhr begleiten über 500 Menschen den Angeklagten zum Justizpalast, der wiederum von Polizei abgeriegelt ist. Im Gericht stellt Schmitz-Bender erneut den Antrag auf einen größeren Saal, der später erneut abgelehnt wird.
300 Demonstranten ziehen nach einer halben Stunde Wartezeit zum griechischen Konsulat. Schon vor dem Justizpalast versucht ein Greiftrupp der Polizei einen Demonstranten festzunehmen. Der Gefangne jedoch wird von entschlossenen Demonstranten befreit. Während der Demonstration werden Polizeifotografen von Demonstranten immer wieder am Fotografieren gehindert. Journali-
sten sind auf unsere Initiative hin zum ersten Mal mit Armbändern gekennzeichnet.
Die Demonstration wird außer Hör- und Reichweite des griechischen Konsulats von starken Kräf-
ten der Bereitschaftspolizei abgeblockt. Die Demonstration formiert sich zu einem Block aus Ket-
ten und drängt mehrmals gegen die Polizeifront an. Obgleich ein Durchbruch möglich wäre, ver-
zichten die Demonstranten darauf, um nicht in eine Kesselschlacht zu geraten. Poliziasten werden teilweise mit Farbeiern beworfen, einigen die Mützen heruntergestoßen. Noch zwei Demonstran-
ten werden den Greiftrupps entrissen. Der Entschlossenheit der Demonstranten ist es zu danken, dass dies die erste größere Demonstration in München war, bei der die Polizei keinen Gefangenen machte.
Nach ca. anderthalb Stunden zieht sich die Demonstration geschlossen zur Uni zurück. Unterwegs kommt es zu Zwischenfällen mit Popo’s. Eine Demonstrantengruppe jagt ein Rudel Popo’s in die Flucht. In der Uni angekommen besetzen die Demonstranten das Audi-Max und dikutieren ihre Demonstration. Später weigern sie sich, einer Vorlesung des Staatsrechtlers Prof. Lerche zu wei-
chen. Prof. Lerche verläßt sogleich den Saal. Es kommt zu einer längeren Diskussion zwischen De-
monstranten und Jura-Studenten.
MITTWOCH, 13.11. PROZESS
Die Verteidigung gibt zu Protokoll, dass es offenbar zwei Arten von Öffentlichkeit gibt. Denn am Dienstag-Nachmittag wurde eine Gruppe von 14 Polizeibeamten gesondert in den Saal geführt. Der Staatsanwalt sieht sich daraufhin befleißigt, ein SDS-Flugblatt zu zitieren. Er stellt als strafbare Tatbestände fest, dass die Studenten dazu aufgefordert werden, keine zeitungslesenden Konsu-
menten zu bleiben, sondern geschlossen zum Gericht zu kommen und ihren Anspruch auf Herstel-
lung der Öffentlichkeit zu vertreten. Weiter stellt er als strafbaren Tatbestand fest, dass in diesem Flugblatt dazu aufgefordert wird, die »Hure Justiz« zu »bespringen« (den genauen Straftatbestand gab er allerdings nicht an) und den Justizterror zu bekämpfen.
Nachdem der Polizeizeuge Mühldorfer eine echt dramatische Vorstellung von der damaligen De-
monstration vor dem griechischen Konsulat gibt, wobei ein Höhepunkt den anderen jagt (was ihm niemand verübelt, denn sicher hat er im Dienst und Privatleben wenig Möglichkeiten sich zu ent-
falten), beantragt Schmitz-Bender, dass Prof. Kentler aus Berlin als Gutachter dazu gehört wird, wie die militärische Ausbildung von Polizisten und Fronteinsatz gegen Demonstranten ihr Wahr-
nehmungsvermögen und ihre Aussagen bestimmen. Der Antrag wird abgelehnt.
Schmitz-Bender beantragt, obwohl er grundsätzlich gegen Ordnungsstrafen ist, aus Gleichheits-
gründen 2 Tage Ordnungsstrafe für einen Beamten der politischen Polizei, der sich erst als Pres-
severtreter ausgab und die Aussagen der Demonstranten mitschreibt. Es ist der gleiche Staatsan-
walt, der sich jetzt für den Popo stark macht und der in einem anderen Verfahren eine Ordnungs-
strafe beantragte, weil ein Zivilist sich Notizen machte.
Am Dienstag,dn 19.11., wird der Prozeß fortgesetzt PROF. NOLTE soll als Zeuge darüber aussagen, wie sich kritische Soziologie zur praktisch-politischen Aktion vermittelt; also über das Problem, inwiefern einerseits der Gegenstand des Soziologiestudiums (»Gesellschaft« bzw. Funktions- und Handlungszusammenhänge sowie Herrschaftsverhältnisse in der Gesellschaft) praktisch-politi-
sches Engagement bei kritischen Studenten erzeugen kann (Schmitz-Bender ist Soziologie-Dokto-
rand bei Prof. Bolte); wie aber andererseits solches praktisches Engagement die wissenschaftliche Methode und die Problemstellungen der Soziologie im Hinblick auf deren kritische Funktion korri-
gieren bzw. relativieren kann. Weiterhin werden die politischen Beweisanträge gestellt, die in die-
sem »paper« wiedergegeben sind.
MITTWOCH, 13.11. AKTION
Etwa 50 Studenten machen vor der Bockelmannvorlesung ein go-in in den Hörsaal, um über den Prozeß zu diskutieren. Prof. Bockelmann erscheint nur kurz und zieht ohne ein Wort wieder ab. Es kommt zunächst zu starken akustischen Auseinandersetzungen zwischen einem Teil der Jurastu-
denten und den Diskussionswilligen. Die Situation beruhigt sich jedoch bald zugunsten einer ratio-
nalen Diskussion. Die Diskussion hat zum Inhalt: die Berechtigung des go-ins, das Problem politi-
scher Justiz, Struktur und Inhalte der Lehrveranstaltungen in der Juristischen Fakultät.
Am Nachmittag malen einige Studenten Hinweise auf ein teach-in und Parolen gegen die politische Justiz an die Fassade der Uni (bisher wurden Wandzeitungen aus Papier sofort wieder abgerissen). Ca. 50 Studenten begleiten und schützen die Malenden. Es kommt zu größeren Diskussionsgrup-
pen vor der Mensa und vor dem Haupteingang der Uni. Kurz darauf erscheinen mehrere Bereit-
schaftswagen der Polizei. Polizeitrupps patroullieren um die Uni.
Gegen 19 Uhr betreten etwa 100 Studenten den Hörsaal 133, in dem gerade ein rechts-politisches Kolloquium mit Prof. Lerche und Prof. Steindorf zu Ende geht. Durch Polizeifunk fordern Polizi-
sten Popo’s auf, in das teach-in, das nun in Hörsaal 133 veranstaltet werden soll, »einzusickern«. Es kommt mit den Professoren zu einer Diskussion über die Anwesenheit von Popo’s in der Uni. Die Professoren geben keine verbindliche Stellungnahme ab. Schon im Lichthof wurden 3 Popo’s entlarvt. Später werden die Professoren aufgefordert, sich erstens dafür einzusetzen, dass die Uni einen Raum als Gerichtssaal für die Fortsetzung des Schmitz-Bender-Prozesses zur Verfügung stellen soll; und zweitens sollen die Professoren auf einem teach-in zu diesem Problem am Montag, den 18.11., um 20 Uhr erscheinen. Die Professoren geben zu beidenForderungen keine verbindli-
chen Zusagen. Prof. steindorf erklärt sich bereit, am Dienstag, den 19.11., die Fortsetzung des Pro-
zesses zu besuchen und auf einem teach-in am Mittwoch, den 20.11., zu den Beweisanträgen der Verteidigung bzw. deren Ablehnung durch das Gericht Stellung zu nehmen …
SCHMITZ-BENDER-PROZESS IN DIE UNIVERSITÄT!
…
SDS
Eigendruck im Selbstverlag
Verantwortlich: Brenner, Braun, Sommerrock, Winter, Müller, Schmitz-Bender, Heeren, Rühle, Gregor – Heinz Rhein, Ligsalzstr. 2
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung