Materialien 1993
Kritik ja, aber nicht an uns!
Etwa Tausend Menschen protestierten am 27. April in München gegen die Abschaffung des Asyl-
rechts. Die Kundgebung war vom Bündnis gegen Rassismus als Auftakt der Aktionen zum Tag X gedacht. Am Tag X – höchstwahrscheinlich am 26. Mai (nach Redaktionsschluss) – wird eine große Koalition im Bundestag das Asylrecht ändern, so dass es Flüchtlingen nahezu unmöglich gemacht wird, legal in die BRD zu kommen und zu bleiben. Sie kann dabei auf die rassistische Grundstruktur der weißen Gesellschaft bauen. Damit setzte sich die Rede der Initiative Schwarze Deutsche/Schwarze in Deutschland (ISD) auf der Kundgebung auseinander.
Als die ISD zu einem Treffen des Bündnisses gegen Rassismus kam, um diesen Redebeitrag anzu-
melden, entstand eine heftige Kontroverse. Manche meinten, eine Rede, die auch Kritik an der „eigenen“ Anti-Rassismusbewegung übt, passt nicht ins Redekonzept einer Veranstaltung gegen die Änderung des Asylrechts.
Wir hoffen, in der nächsten Ratte einen eigenen Artikel der ISD veröffentlichen zu können, und dokumentieren Auszüge ihrer Rede vom 27. April:
„Die Initiative Schwarze Deutsche ist eine seit etwa sechs Jahren bundesweit arbeitende Bewegung schwarzer Frauen und Männer. Wir sind Teil des weltweiten Kampfes schwarzer Menschen um Selbstbestimmung. Wir werden oft gebeten, uns an der sog. Anti-Rassismusbewegung aktiv zu be-
teiligen. Einer der maßgeblichen Gründe, warum dies in der Vergangenheit nicht geschehen ist und auch in Zukunft für uns kaum vorstellbar sein wird, ist die Tatsache, dass die weiße Gesell-
schaft mit allen ihren Teilen – da schließen wir die Linke nicht aus – bisher nicht bereit ist, eine wirklich ernsthafte und vor allem auf sich selbst gerichtete Auseinandersetzung mit ihrem gesell-
schaftlich tief verwurzelten Rassismus zu führen. (…) Schwarze Menschen in der weißen Gesell-
schaft leben in einem Zustand, der einem unerklärten Kriegszustand gleicht, den der größte Teil der weißen Gesellschaft nicht wahrnimmt oder ignoriert.
Dies zu akzeptieren und als Grundlage für jeden antirassistischen Kampf zu begreifen, ist die not-
wendigste Voraussetzung für alle Teile der weißen Gesellschaft. Sie überfordert aber selbst diejeni-
gen, die dieser Gesellschaft kritisch gegenüberstehen. Es ist allerhöchste Zeit, dass auch sie erken-
nen, dass sie Teil des rassistischen Systems sind. Es ist Zeit, dass auch sie begreifen, dass sie von Kind an mit Rassismus genährt worden sind, von dem ersten Haar ihres Kopfes bis zum letzten Zeh ihres Fußes.“
muf
Stadtratte 15 vom Mai/Juni 1993, 5.